Achtbeinige Genies
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Oktopoden und Spinnen faszinieren mit hoher Intelligenz, die aus völlig andersartigen Gehirnen entsteht
Ob es an den Beinen liegt? Vermutlich nicht. Aber ein unbefangener Beobachter - etwa von einem fremden Planeten -, der ergründen wollte, welche Tiere besonders intelligent sind und warum, könnte allerlei Korrelationen aufstellen und zum Ergebnis kommen, dass, sobald man das Reich der Wirbeltiere verlässt, die Intelligenz ihr Maximum bei acht Beinen erreicht: Oktopoden und Spinnen.
Tatsächlich wird das wohl Zufall sein. Ein anderer Zusammenhang ist schlüssiger. Vegetarier müssen jetzt ganz tapfer sein, aber es ist so: Schaut man sich im Tierreich um, dann sind die Jäger meist heller als die Pflanzen- (und Plankton-)fresser. Zahnwale übertreffen die Bartenwale (von Seekühen ganz zu schweigen), Wölfe die Schafe, Würfelquallen die Ohrenquallen, Raben die Hühner. Das liegt einfach an den unterschiedlichen Anforderungen der Nahrungsgewinnung. Eine grüne Weide braucht man nicht zu umzingeln, Krill muss man nicht austricksen, an einen reifen Apfel muss man sich nicht anpirschen, und es ist auch nicht nötig, aufzupassen, dass der Grünkohl einen nicht sieht. Es ist die Jagd, die Strategiebildung, Vorausschau und Perspektivwechsel fordert.
Spinnen (14 Bilder)
Doch es sind die Achtbeiner unter den Jägern, die am meisten faszinieren. Sie gleichen Aliens, die mitten unter uns leben; unabhängig evolvierte Intelligenzen, deren letzter gemeinsamer Vorfahr mit uns vor rund 560 Millionen Jahren lebte - oder noch früher - und so einfach strukturiert war, dass ein Regenwurm im Vergleich dazu wie Einstein wirkt. Aus ein paar über den Körper verteilten Nervenbahnen und einem Augenfleck entstand mehrfach ein leistungsstarkes Gehirn, das seine Umwelt mit mehreren Sinnen erfassen, lernen, Pläne schmieden und erinnern kann.
Oktopoden: Geistig und körperlich flexibel
Die Oktopoden (und ihre zehnarmigen Verwandten, die Sepien und Kalmare) sind uns insofern ähnlich und daher vielleicht verständlicher, als sie Intelligenz mit Hirngröße koppelten. Und auch ihre mit Pupillen versehenen zwei Linsenaugen tragen vielleicht dazu bei, dass wir mit ihnen in Blickkontakt kommen.
Das Gehirn eines Oktopus ist ungefähr so groß wie das einer Ratte, doch vermutlich noch leistungsfähiger. Mühelos eignet er sich die Fähigkeit an, ein Deckelglas zu öffnen - wenn darin ein lebender Krebs ist. Auch das Problem, den umklammerten Krebs durch einen engen Flaschenhals zu bugsieren, bewältigt das Weichtier. Und wenn ein Oktopus eine Aufgabe nicht auf Anhieb lösen kann, dann ist er imstande, sich bei einem Aquariennachbarn abzugucken, wie es geht. Dieses Lernen durch Nachahmung, und die Aufregung, die das Tier dabei zeigt, wirken sehr menschlich. Und so wirkt der Oktopus verstehbar.
Oktopoden (11 Bilder)
Allerdings nur auf den ersten Blick. Der Sporttaucher und Philosoph Peter Godfrey-Smith hat in einem sehr lesenswerten Buch ("Other minds") darüber sinniert, was es für die Selbstwahrnehmung eines Tieres bedeuten mag, dass ein Drittel des Nervensystems in den Beinen steckt, so dass jedes Bein sogar eigenständige Entscheidungen treffen kann. Hat so ein Tier ein fest umrissenes Ich oder fühlt es sich mehr so wie ein Gremium?
Und wie können wir uns hohe Intelligenz ohne Überlieferung vorstellen? Und überhaupt: in einem so kurzen Leben? Alle Kopffüßer leben nicht länger als ein, zwei Jahre. Viele pflegen noch ihre Brut. Doch sie sterben, wenn diese schlüpft. Nichts können kleine Oktopüssel von ihren Eltern lernen, nichts diese ihnen tradieren. Wäre es anders, vielleicht hätten die Oktopoden längst die Weltherrschaft übernommen. Aber ohne Brutpflege und Familie entwickelten sich auch keine sozialen Verbände, kein Altruismus, keine Kooperation. Jeder Oktopus jagt und stirbt für sich.
Trotzdem sind ihre Intelligenzleistungen frappant. In Aquarien sind Oktopoden als Ausbrecherkönige gefürchtet. Dass sie ihren weichen Körper durch noch so kleine Löcher bugsieren können, hilft ihnen dabei. Und sie haben auch einen geradezu boshaften Humor. Smith erzählt von gefangenen Oktopoden, die mit einem gezielten Wasserstrahl aus ihrem Siphon die Glühlampe im Raum ausschossen. Oder auch einen solchen Wasserstrahl in den Nacken eines Tierpflegers zirkelten, den sie nicht mochten.
Eine Geschichte aus Smiths Buch klingt so unglaublich, dass ich sie hier weitererzählen muss. Er betont, dass er sie von einer angesehenen, nüchtern beobachtenden Forscherin hat. Sie ging den Gang mit den Aquarien hinab und fütterte die Oktopoden mit aufgetauten Sepienstücken. Sowas essen Oktopoden zwar, aber nicht gerne. Sie bevorzugen lebende Krebse. Der Forscherin fiel auf, dass der Oktopus im ersten Becken seine Ration nicht verspeiste, sondern abwartend festhielt und ihr dabei mit den Augen folgte. Sie kehrte vom Ende des Ganges zurück, und noch immer beobachtete das Tier sie. Und als sie neben seinem Aquarium war, da nahm er die ungeliebten Futterstücke - und warf sie in den Überlauf des Aquariums.
Zufall? Überinterpretation? Vielleicht. Aber eigentlich will man das gar nicht so sehen.