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Advokat der neuen Geldordnung

Der neue britische Premier ist ein Verfechter einer digitalen Zentralbankwährung. Das liegt auch an seinen Verbindungen zum Finanz- und Philanthrokapitalismus. Warum das Projekt nicht zu mehr Freiheit führt. (Teil 1)

Wenn's um Geld geht, Sunak: Großbritanniens neuer Tory-Premier ist mit einem geschätzten Vermögen von 730 Millionen Pfund (knapp 840 Millionen US-Dollar) nicht nur steinreich, Rishi Sunak blickt auch auf eine bewegte Karriere im Finanzbusiness zurück.

So war er nach seinem Abschluss in Philosophy, Politics and Economics (PPE) an der renommierten Universität Oxford – den er übrigens mit seinen Vorgängern Liz Truss und David Cameron gemeinsam hat – von 2000 bis 2004 als Analyst für die Investmentbank Goldman Sachs tätig, die von Transparenzinitiativen wie Open Secrets aufgrund ihrer Nähe zu US-Regierungen, inklusive mehrfacher "Drehtür"-Personalbesetzungen, scherzhaft "Government Sachs [1]" genannt wird.

Nach der Kündigung seiner Stelle bei der berüchtigten Investmentbank erhielt Sunak ein Stipendium für ein zweijähriges Studium als Master of Business Administration an der Stanford Business School – ein Studiengang, den der ehemalige Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger gegenüber dem Spiegel einmal als "das ideologische Transport-Vehikel des Finanzkapitalismus" bezeichnet hat:

Diese Schulen sind voll und ganz auf den Homo oeconomicus fixiert, der stets nur als rationaler Akteur handelt [2], um seinen Nutzen zu optimieren. Es fehlen andere, ebenso wichtige Sichtweisen: beispielsweise Geschichte, Soziologie oder Psychologie, auch die relativ neue Disziplin der Behavioral Economics, der Verhaltensökonomik.

Mit dem Vorwurf, er habe die letztgenannte Disziplin vernachlässigt, dürfte man dem neuen Premier allerdings Unrecht tun.

Erste Schritte im Philanthrokapitalismus

Im Anschluss an seinen MBA trat Sunak dem Londoner Hedgefonds Children's Investment Fund bei, der im Auftrag der dazugehörigen Foundation agiert, ein vom Hedgefonds-Milliardär Christopher Hohn gegründetes Unternehmen, das sich der venture philanthropy for global development verschrieben hat.

Das Konzept der Venture-Philanthropie, also der risikokapitalfinanzierten (Entwicklungs-)Hilfe wurde 1969 von John D. Rockefeller III. geprägt. Die Stiftung der Öl-Dynastie ist noch heute unter den einflussreichsten Playern der sogenannten Philanthrokapitalisten, zusammen mit solchen aus dem Hause Ford, Buffet, Omidyar, Soros oder Gates. Das Konzept ist eng verzahnt mit dem aufstrebenden Wirtschaftszweig des Impact Investing – Investitionen, die sozialen oder auch ökologischen Zwecken dienen sollen.

Einer wohlhabenden Familie entspringt Sunaks Ehefrau Akshata Murty. Ihr Vater Narayana gründete 1981 die IT-Servicefirma Infosys, die 41 Jahre später einen Jahresumsatz von 16 Milliarden US-Dollar verzeichnet. Der Reichtum des Premiers gründet in erster Linie auf dem seiner Ehefrau, die Firmenanteile im Wert von rund 790 Millionen US-Dollar besitzt. Das macht sie – und im Vereinigten Königreich ist das nun mal ein Maßstab – "reicher als die Queen [3]".

Glühender CBDC-Verfechter

Noch in anderer Weise dreht sich in der Welt der Sunaks viel ums Geld. Der britische Premier und ehemalige Schatzkanzler unter Boris Johnson ist glühender Verfechter einer digitalen Zentralbankwährung (Central Bank Digital Currency, CBDC), wie sie derzeit an allen Enden der Welt – ob Europa, USA, Saudi-Arabien [4], Südkorea [5] oder Russland [6] – immer nachdrücklicher auf den Weg gebracht wird: Laut dem Jahreswirtschaftsbericht [7] der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der "Zentralbank der Zentralbanken", erproben weltweit 90 Prozent aller Notenbanken die Einführung von CBDC.

Eine CBDC ermöglicht es, Zentralbankgeld direkt an Personen und Unternehmen auszugeben, ohne den Umweg über Geschäftsbanken und Giralgeld [8] zu nehmen. Bei einer CBDC werden jegliche Werte (mithilfe der Blockchain-Technologie und sogenannten "Smart Contracts [9]") als virtuelle "Tokens" (engl.: Wertmarken) abgebildet.

Diese Tokens können Vermögenswerte und Besitzansprüche repräsentieren, aber auch ökologische und soziale Werte, etwa im Sinne der immer bedeutenderen ESG-Kriterien [10] (Environmental, Social, Governance) – und ihrerseits gehandelt werden. Manche sprechen deshalb auch von einer "Tokenisierung" der Ökonomie.

Im April 2021 kündigte der damalige Schatzkanzler Sunak auf dem Innovate Finance Global Summit in London die Gründung einer gemeinsamen Taskforce aus Finanzministerium und der Bank of England an, welche die Einführung einer CBDC untersuchen sollte [11]. Sunak sprach von einer "ganz neuen Marktinfrastruktur" und verkündete eine unmittelbar bevorstehende Revolution des Finanzmarkts.

Eine Revolution, die weniger aus Idealismus denn aus Verzweiflung geboren wurde – und nicht zu mehr Freiheit führt, sondern in einen totalitären Überwachungsstaat. Zumindest, wenn man Edward Snowden beim Wort nimmt [12]. Warum?

"Going Direct"

Im August 2019 veröffentlicht das BlackRock Investment Institute – hauseigene Denkfabrik des weltgrößten Kapitalverwalters – ein Dokument [13], das bis heute viel Anlass für Spekulationen bietet. Es trägt den Titel Going direct: How central banks could deal with the next downturn. Es wird von einer "noch nie dagewesene Koordinierung zwischen Geld- und Steuerpolitik" gesprochen.

Unter den Autoren sind bezeichnenderweise der bis 2017 stellvertretende Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Stanley Fischer, sowie der ehemalige Chef der Schweizerischen Nationalbank Philipp Hildebrand, mittlerweile stellvertretender Vorsitzender von BlackRock. (Ergänzung, 15. November 2022: Mitautorin ist auch die ehemalige Leiterin des globalen Volkswirtschafts- und Kapitalmarktresearchs bei BlackRock, Elga Bartsch, die Robert Habeck am 15. November 2022 zur neuen Chefökonomin im Bundeswirtschaftsministerium [14] ernannte.)

Bevor die Autoren ihr Allheilmittel präsentieren, ergründet der Bericht zunächst die (bald erreichten) Grenzen der unkonventionellen Geldpolitik. Deren policy space, so die Meinung der vier Autoren, reiche nicht aus, um einen "dramatischen" Abschwung abzufedern.

Dass manche Beobachter meinen [15], der Bericht lese sich in weiten Teilen wie eine Vorhersage der Finanzstrategien in der Corona-Krise verwundert insofern nicht, als hier auch die – eben: präzedenzlosen – Unternehmensanleihe-Käufe der Fed vom Juni 2020 sowie die allmähliche Hinwendung zum sogenannten Vollreserve-System [16] vorweggenommen werden, das die Zentralbanken in den Mittelpunkt des alltäglichen Bankgeschäfts stellt.

"Wenn die Mittel der Geldpolitik erschöpft sind und die der Fiskalpolitik allein nicht ausreichen, ist eine präzedenzlose Reaktion erforderlich. Teil dieser Reaktion wird wahrscheinlich going direct sein: Going direct bedeutet, dass die Zentralbank Wege findet, das Zentralbankgeld direkt in die Hände der öffentlichen und privaten Geldgeber zu bringen."

Und weiter:

"Going direct, das unterschiedlich organisiert werden kann, funktioniert durch:

  1. Umgehung des Zinskanals, wenn dieses traditionelle Instrumentarium der Zentralbank ausgeschöpft ist, und
  2. eine Koordinierung der politischen Maßnahmen (policy coordination), die dafür sorgt, dass die fiskalische Expansion nicht zu einem gegenläufigen Anstieg der Zinssätze führt. (…) Die Reaktion auf den nächsten Abschwung wird unweigerlich die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik verwischen."

Im Jahr des Berichts, 2019, klagen die BlackRock-Vertreter noch über eine zu schwache Inflation, die "weit hinter den Zielen der Zentralbanken zurückbleibt" und so einerseits verfehle, die Konjunktur zu beleben sowie andererseits die Verschuldung zu bremsen [17] – ein Problem, das sich mit Corona- und Ukraine-Krise vorerst erledigt haben dürfte (Alle Telepolis-Artikel zum Thema Inflation [18]).

Wiedergänger digitale Identität

Die Politik-Koordinierung, die dem BlackRock-Think-Tank vorschwebt, sieht deshalb eine "Einrichtung" vor, die darauf "kalibriert" ist, das Inflationsziel zu erreichen – und womöglich auch vergangene Inflationsverfehlungen auszugleichen. Gepaart mit CBDC würden, wie von Blackrock angekündigt, "die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik" denn auch endgültig verwischt. In der Ukraine-Krise sieht Blackrock-Geschäftsführer Larry Fink eine Chance [19], deren Einführung zu beschleunigen. So schrieb er im März 2022 in seinem regelmäßigen "Brief an die Aktionäre":

Ein weniger diskutierter Aspekt des Krieges sind seine potenziellen Auswirkungen auf die Beschleunigung [der Einführung] digitaler Währungen. Der Krieg wird die Länder dazu veranlassen, ihre Währungsabhängigkeiten neu zu bewerten. Schon vor dem Krieg waren mehrere Regierungen bestrebt, eine aktivere Rolle bei digitalen Währungen zu spielen und den regulatorischen Rahmen zu definieren, unter dem sie operieren. […] Ein globales digitales Zahlungssystem kann, wenn es gut durchdacht ist, die Abwicklung internationaler Transaktionen verbessern und gleichzeitig das Risiko von Geldwäsche und Korruption verringern.

Die Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schließt sich dem Kapitalverwalter in seiner Begeisterung für CBDC an. Allerdings nicht uneingeschränkt: In ihrem Jahresbericht [20] hebt die BIZ hervor, dass sie an einer anonymen Tokenisierung der Ökonomie nach Vorbild der Kryptowährungen (Bitcoin, Ethereum etc.) nicht interessiert ist. Vielmehr spricht sie sich für CBDC aus, die "auf digitaler Identifikation basieren" – und beteuert, dass diese mit "institutionellen und technologischen Schutzvorrichtungen zum Schutz der Privatsphäre" verbunden sein sollen, wie es im Jahresbericht heißt.

Die wichtigsten Kryptowährungen (12 Bilder) [21]

[22]
Bitcoin. Start: 2009. Marktanteil: 57,9 Prozent. Marktkapitalisierung: 197,855 Mrd. USD. Mining: SHA-256. Stand: Oktober 2020. Quelle: Wikipedia [23]

Begründet wird diese Hinwendung zu einer Zentralbankwährung auf dem Fundament einer digitalen Identität [24]– wie in den meisten Fällen, wenn es darum geht, (dauerhafte) Alternativen zum "schmutzigen" Bargeld zu entwickeln – mit der Eindämmung von Geldwäsche, Steuerhinterziehung sowie Terrorismusfinanzierung. So argumentiert auch die BIZ, die in ihrem "Nordic Centre Innovation Hub" in Stockholm an den Möglichkeiten der Eindämmung forschen lässt, wie es im Jahresbericht heißt.

CBDC sollen außerdem zur "finanziellen Inklusion" von Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen.

Hat das jetzt noch so viel mit dem britischen Premier zu tun? Ja, hat es. Mehr dazu im zweiten Teil des Artikels.

Teil 2: Mit dem digitalen Geld in die Unfreiheit? [25]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7334693

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.opensecrets.org/news/2017/03/revolving-door-goldman-sachs/
[2] https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/versagen-der-uni-oekonomen-warum-bringt-uns-keiner-krise-bei-a-803953.html
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/taxonomie-atomkraft-eu-kommission-101.html
[4] https://gulfnews.com/world/gulf/saudi/saudi-arabia-launches-digital-ids-1.76280910
[5] https://www.nfcw.com/2022/10/20/379863/south-korea-to-roll-out-digital-national-id-cards-that-citizens-can-store-on-their-mobile-phone/
[6] https://www.aljazeera.com/economy/2022/3/17/russia-gives-sberbank-licence-to-issue-exchange-digital-assets
[7] http://web.archive.org/web/20220626094857/https://www.bis.org/publ/arpdf/ar2022e.pdf
[8] https://www.rechnungswesen-verstehen.de/lexikon/giralgeld.php
[9] https://www.heise.de/select/ix/2018/8/1533360092588114
[10] https://www.heise.de/tp/features/Nachhaltig-ausbeuten-4849379.html
[11] https://www.finextra.com/newsarticle/37875/rishi-sunak-announces-uk-treasury-and-bofe-fintech-taskforce-to-explore-cbdc
[12] https://edwardsnowden.substack.com/p/cbdcs
[13] http://web.archive.org/web/20210221225805/https://www.blackrock.com/us/individual/insights/going-direct-how-central-banks-could-deal-with-the-next-downturn
[14] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/blackrock-oekonomin-bartsch-soll-ins-wirtschaftsministerium-wechseln-18462782.html
[15] https://www.youtube.com/watch?v=JFl-gcCaL4s
[16] https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-beitraege-zur-wirtschaftspolitik/vollgeld-und-vollreserve-was-bringt-eine-neue-geldordnung-10816/
[17] https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/entschuldung-ueber-inflation-die-staaten-muessen-sich-bei-vermoegenden-bedienen/6166354-2.html
[18] https://www.heise.de/tp/thema/Inflation
[19] http://web.archive.org/web/20220324100911/https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-chairmans-letter
[20] http://web.archive.org/web/20220626121020/https://www.bis.org/about/areport/areport2022.pdf
[21] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6140569.html?back=7334693
[22] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6140569.html?back=7334693
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kryptow%C3%A4hrungen
[24] https://www.heise.de/tp/thema/Digitale-Identit%C3%A4t
[25] https://www.heise.de/tp/features/Mit-dem-digitalen-Geld-in-die-Unfreiheit-7334709.html