Ästhetisch oder authentisch?
Zustand und Zukunft öffentlicher Räume
Dass ihre Plätze die "lächelnden Augen" einer Stadt darstellen, ist eine so eingängige wie zutreffende Metapher, die gleichwohl an der Wirklichkeit erheblich gelitten hat. Bleibt man im Bild, dann wird man nämlich konstatieren müssen, dass viele dieser "Augen" leider "blind" geworden sind: Ohne klare räumlich Fassung, gefräst durch überbreite Straßen, von Autos entweder durchbraust oder zugeparkt, ungastlich und bar jeglicher Aufenthaltsqualität. Wer setzt sich schon gerne auf den Innsbrucker Platz in Berlin, um ein Buch zu lesen? Wer möchte seine Kinder zum Spielen zum Sendlinger Tor in München schicken? Und wer mag den Kölner Neumarkt zu einem frühsommerlichen Sonnenbad nutzen?
Ungeachtet dessen ist der Drang nach draußen ungebrochen. Allen Prophezeihungen zum Trotz haben Cyberspace und virtual reality dem realen Raum keineswegs den Rang abgelaufen. Je umfangreicher die fiktionalen Angebote werden, um so mehr scheint das Bedürfnis nach städtischen und landschaftlichen Lebensraum zuzunehmen. Massen von Fußgängern, In-Line-Skatern, Fahrrad- und Skateboardfahrern strömen jedenfalls auf die Straßen, Plätze und Grünflächen, sobald ihnen das Wetter nicht den Spaß dazu verdirbt. Der öffentliche Raum ist nach wie vor die Bühne, auf der bestimmte Ansprüche an gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung artikuliert werden.
Bildhaft wird dies in jenen Piazzas und Plätzen, die man aus Italien oder Spanien kennt: Klare räumliche Fassung, erkennbar historisch und gewachsen, und immer etwas los. Allein, die Wirklichkeit sieht anderes aus. Muss man doch zumindest unterscheiden zwischen dem "sozialen" und dem "gebauten", letzteren wiederum zwischen "grünen" und "grauen", also Parks und Grünanlagen auf der einen, Straßen und Plätze auf der anderen Seite.
Der öffentliche Raum ist ganz überwiegend Träger der technischen Infrastruktur; er war einmal die Infrastruktur der Stadt schlechthin; und noch immer kann er als zusammenhängendes, die ganze Stadt durchdringendes Primärsystem interpretiert werden. Allerdings: kaum je wird er so gesehen und empfunden. Augenscheinlich hat sich die Aufmerksamkeit unnötig beschränkt: Zum einen bleiben die diffusen Stadträume außer Betracht, d.h. der öffentliche Raum in Gewerbegebieten, in Einfamilienhaussiedlungen usw., der wohl eher eine Art Restraum ist.
Zum anderen blenden wir den Verkehr aus, der die meisten Räume dominiert. Womit wir zu akzeptieren scheinen, dass der öffentliche Raum – Beispiel Ausfallstraßen – in weiten Teilen nur Transitzone ist, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Oder der Raum, in dem all die Autos abgestellt werden, die für unser Leben unabkömmlich scheinen. Insofern ist wohl auch die Frage berechtigt, ob wir uns nicht ein Zuviel an öffentlichem Raum leisten - zumindest an einem öffentlichen Raum fragwürdiger Qualität und ausgesprochener "Unkenntlichkeit".
Das hat natürlich Gründe, über die zu spekulieren an dieser Stelle jedoch zu weit gehen dürfte, weil die Diskontinuitäten und Brüche, die die Stadtentwicklung seit der Industrialisierung durchziehen, damit zwangsläufig – und unzulässig – nivelliert würden. Lediglich auf einen Aspekt sei hingewiesen: Nicht nur die Anmutungsqualitäten des öffentlichen Raums, auch seine immanenten Gegebenheiten haben sich verändert – obschon er seinen Netz- und Strukturcharakter beibehalten hat.
Dem Wandel, dem die menschlichen Lebens-, Arbeits-, Wohn-, Verkehrs- und Kommunikationsformen im Lauf der Zeit unterlagen, spiegeln sich in der Nutzung des städtischen Raumes. Die Omnipräsenz des mobilfons hat beispielsweise das Telefonieren annähernd zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht, indem Ehezwistigkeiten oder Intimitäten freiwillig ins Publikum posaunt werden.
Das Private ist längst nicht mehr das Refugium, wie es so oft seit der Romantik beschworen wurde. Auch der private Raum wird mehr und mehr zu einem Zwitter: Man denke nur an die Sport- und Fitness-Studios mit ihrer ostentativen Präsenz in manchen Straßen; oder an die Arena auf Schalke, wenn ein Spiel gegen Dortmund ansteht – keine andere private Aktivität entfaltet eine solch öffentliche Wirkung. Zudem vollzieht sich ein "Strukturwandel der Öffentlichkeit" (Habermas) hin zu Teilöffentlichkeiten, die sich immer weniger über Politik, Diskurse, Bildung oder Soziales, dafür immer mehr über Bilder und Rituale, über Moden, Konsumverhalten, Lifestyles, Sport und Musik definieren.
Aber auch diese Gruppen, Szenen, Kreise "brauchen" ihr Territorium. Sie suchen bestimmte Räume auf, oder umgekehrt: bestimmte Räume ziehen vor allem gewisse Teilöffentlichkeiten an. Und sie artikulieren in ihnen ihre (wie auch immer geartete) Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, prägen den Raum mit ihren Zeichen-, Symbol und Repräsentationssystem. Obgleich sich nun also Bedeutung und Inhalt der Begriffe "Privat" und "Öffentlich" erheblich verändern, bleibt doch festzuhalten, dass die Polarität, das Aufeinandertreffen des Gegensätzlichen, das Spiel von Widerparts weiterhin konstitutiv ist für die Res publica.
Um sich der Antwort auf die Frage, was denn unter heutigen Bedingungen der "öffentliche Raum" sei und was ihn ausmache, anzunähern, scheint es vielmehr angeraten, vorerst bei ihrer innerstädtischen Spielart zu verweilen. Die aus dem Mittelalter überkommenen, die in der Renaissance oder im Barock geprägten Leerräume der Stadt verfügen offenkundig über eine Vitalität und Bildhaftigkeit, die jüngere Räume nicht aufweisen. Sie sind diesbezüglich im Vorteil, weil mit der entstehenden Moderne die Definition der Geschlossenheit der Stadt aufgegeben, die Kraft der raumdefinierenden Hülle in Frage gestellt und vor allem die soziale Verbindlichkeit dafür, die Eigenständigkeit der individuellen Bauwerke zugunsten eines übergreifenden Ganzen aufzugeben, vollends in Zweifel gezogen wurde – und damit die Einsicht, dass es für das Bauen im Kontext eines sozialen Konsenses bedarf, der durch die Bauordnung allein nicht herzustellen ist.
Geordnete und kontrollierbare Räume zu schaffen, war und ist das Ziel des Städtebaus. Dem eingeschrieben ist indessen eine wesentliche Ausnahme, stellt der freie städtische Raum doch – in seinem Wesen, nicht in seinem Erscheinungsbild – einen Multioptionsraum dar; und wie er genutzt wird, lässt sich nicht mit wenigen Begriffen klassifizieren.
Der Wert des öffentlichen Raumes liegt darin, eben keine feste und vorgeschriebene Nutzung, vielmehr eine unspezifische Multifunktionalität zu haben. Er ist Erlebnis-Raum, der vielerlei Formen des Freizeitverhaltens ermöglicht. Einkaufen und "Spaß haben" sind gängige Leitbilder urbaner Lebensweise, zugleich Teil unserer Selbstinszenierung im öffentlichen Raum. Und dass das Zurschaustellen von Luxus ein integraler Bestandteil von Stadtkultur sei, ja von vielen als gleichbedeutend mit ihr gesehen werde, hat Werner Sombart schon 1913 in seinem Essay "Luxus und Kapitalismus" brillant geschildert.
Die historische Stadt europäischen Zuschnitts erfand dafür Parks, Grünanlagen und Stadtplätze - noch immer Orte allgemeiner Akzeptanz in öffentlicher Obhut. Allerdings ist der Blick auf deren reales Erscheinungsbild eher ernüchternd. Denn trotz unseres Bedürfnisses, zu sehen und gesehen zu werden, ist der öffentliche Raum einer problematischen Entwicklung ausgesetzt, die indes in zwei unterschiedliche Richtungen drängt.
Einerseits ist vieles, was man heute in Städten als Platz bezeichnet und was einer öffentlichen Widmung unterliegt, vollgestellt mit Telefonzellen, Wartehäuschen, Kiosken, Masten, Schildern, Sammelcontainern, Abfallkörben, Blumenkübeln, Pollern, Bänken, Schaukästen oder Litfaßsäulen. In manch eingeschränkter Sicht mag er dadurch "funktionaler" wirken. Doch im gleichen Maße, wie er mit solch konkreten Zwecken und Möblierungen befrachtet wird, verliert der öffentliche Raum an Wert: nämlich funktionell offen und unbestimmt zu sein.
Andererseits wird er schleichend privatisiert. Denn der innerstädtische Einzelhandel, der seine Standorte heute noch oft entlang der Straßen und an Plätzen hat, verlagert sich zunehmend in Passagen; offene Marktplätze werden überdacht und abgeschlossen. Erlebnisräume werden künstlich geschaffen, Freizeitgestaltungen in abgekapselte Binnenwelten transponiert, Bahnhöfe mutieren zu Shopping-Centern.
Das CentrO etwa, Europas größtes Einkaufs- und Freizeitzentrum, hat in den ersten fünf Jahren seiner Existenz über 120 Millionen Besucher in der "Neuen Mitte" Oberhausens empfangen. Wer es besucht, der kommt nicht nur, um einzukaufen, sondern um sein urbanes Flair zu erleben. Eine von der Betreibergesellschaft vertraglich fixierte und austarierte Mischung an Boutiquen, Filialketten und Restaurants, in denen man von mexikanisch bis orientalisch alles probieren kann, ein Multiplex-Kino sowie die einem Hafenkai nachempfundene Promenade: Ein gelungener Ort von "öffentlicher" Wirkung, weil punktgenau geplant und entsprechend inszeniert, zudem unauffällig überwacht und gesichert.
Aber kein wahrlich öffentlicher Raum. Genauso wenig wie bei den Potsdamer Platz Arkaden oder im Sony-Center. Hier entstehen Surrogate des öffentlichen Raums, aus denen alle negativen Erscheinungen des städtischen Lebens ausgesperrt werden: Die Witterung und der Straßenverkehr, aber auch bestimmte Bevölkerungsgruppen. Sie "gehören" also nicht mehr allen, können nicht mehr von allen genutzt werden, weil es Zugangsbeschränkungen gibt, weil Hausregeln, Videokameras und private Sicherheitskräfte für den Schutz und die Sicherheit der Besucher sorgen.
Der öffentliche Raum war traditionell ein Bereich, der einer konkreten, vorbestimmten Nutzung entzogen war. Genau diese Unbestimmtheit droht in unseren Städten mehr und mehr zu verschwinden. An ihre Stelle tritt ein wohlkalkulierter Mix an Infrastrukturen, die reale oder vermeintliche Konsumbedürfnisse befriedigen, die einladend wirken und zugleich das Fortbestehen des Urbanen vortäuschen. Was in privater Bauherrschaft erstellt wird, bemüht zwar gern das Bild des öffentlichen Raums - und wird, wie viele der berühmten Passagen in Leipzig zeigen, von vielen auch unkritisch so erlebt. Gleichwohl aber dominieren bei Konzeption und Betrieb kommerzielle Interessen. Der Charakter öffentlicher Räume und die urbane Vielfalt werden durch die Wahrnehmung privaten Hausrechtes letztlich in Frage gestellt.
Weil diese Privatisierung des öffentlichen Raums eine gezielte Ausgrenzung darstellt, wird die gesellschaftliche Integrationsfunktion, die die öffentliche Räume bisher in den Städten ausgeübt haben, eingeschränkt. Zugleich schmälert sie den "Wert" des verbleibenden öffentlichen Raums. Denn dieser kann mit den privatisierten Bereichen nicht konkurrieren: Es sinkt das Interesse, sich in ihm aufzuhalten; er verliert als Kommunikationsraum an Bedeutung, wird schleichend hässlich und unattraktiv, verkommt zum Rückzugsort für ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen. Diese Entwicklungen schaukeln sich gegenseitig auf. Je unattraktiver der klassische Stadtraum wird, desto eher wird er gemieden, desto größer wird die Nachfrage nach geschützten geschlossenen Räumen.
Diesen fundamentalen, gesellschaftlichen Verlust scheint man nun allerdings mit einer geradezu obsessiven Gestaltung auffangen zu wollen. Um sich in der Konkurrenz mit den privatisierten Räumen zu behaupten, greift eine zunehmende "Verkunstung" so manchen öffentlichen Raums Platz. Dem Modell der Privaten folgend, wird auch die öffentliche Domäne, vornehmlich an ausgewählten Stellen in der City, von der Stadtverwaltung verschönt - und zugleich in eine enge Funktion gezwängt, die ihrem Charakter als Multioptionsraum nicht zuträglich ist. Sollte sich darin eine Art Beschwörung der kommunalen Handlungsfähigkeit an zentralen Schauplätzen ausdrücken, die doch nur klingt wie das sprichwörtliche Pfeifen im Wald?
Wer auf eine Revitalisierung öffentlicher Räume hoffte, der sieht sich mit anspruchsvollem Produktdesign konfrontiert. Kühl und gekonnt, bis ins Detail durchkomponiert, scheint das Konzept der Animateure aufzugehen. Die Besucher honorieren den Mix aus Unterhaltung, Shopping und Vergnügen - jedenfalls bis Ladenschluss. Unübersehbar nehmen sie zu, jene überinstrumentierten, mit Straßenmobiliar vollgestopften oder kunstvoll inszenierten "öffentlichen Räume", die allenfalls zum Staunen und begucken, nicht aber zu handfester Nutzung einladen. Kosmetik statt Therapie?
Weder ein zuviel an Gestaltung, noch die Tendenz, den öffentlichen Plätzen gar keine Aufmerksamkeit zu widmen und sie sich selbst zu überlassen, kann der richtige Weg sein. Die Politik hat für die Res publica Sorge zu tragen; Architekten und Bauherrn jedoch müssen konkrete Vorschläge machen. Die aber dürfen nun nicht auf eine bloße Verhübschung der Alltagswelt zielen. Denn dies lenke, so die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel, nur ab von gesellschaftlichen Problemen:
Ästhetisierung der Stadt schafft das Elend nicht ab, sondern nur beiseite.
Doch sie räumen zugleich ein, dass Ästhetik durchaus ein wichtiges Thema ist, denn "würde man daraus die Konsequenz ziehen, es dürfe solange nur hässlich gebaut werden, wie das Elend und die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht beseitigt sind, so wäre es Barbarei. Stadtgestaltung ist mehr und grundsätzlich anderes als das Spielen mit Räumen, Licht und Farbe. Sie ist immer auch konkreter Eingriff in Lebensweisen von Menschen."
Man kann nicht nicht gestalten. Wohl aber ignorieren, welche Auswirkungen Gestaltung auf die Lebensweisen von Menschen haben kann. Also muss man eine neue Balance finden, die die politische Diskussion nicht beschneidet oder unterbindet - sie ist ja nach wie vor nötig -, aber auch die aktive Gestaltung in ihr Recht setzt. Immerhin ist sie ein eigenständiger Bereich, der weder ausschließlich auf nichtästhetische Bereiche zurückgeführt werden kann, noch ausschließlich solchen Bereichen dient. Besonders wenn Architektur mehr und mehr die Sache von Investoren, von ihren Spekulationen und Gewinnabsichten ist, stellt sich die Frage, wie sie die Lebensbedingungen derer prägt, die nicht von ihr profitieren. Gestaltung von Plätzen zumindest kann mehr sein, als ein bloß verhübschendes Spiel mit Räumen, Licht, Farbe und Material. Indem jedoch die öffentliche Hand immer stärker in eine Rolle gleitet, die sie einem privaten Investor oder Developer ähneln läßt, verschieben sich die Gewichte.
So scheinen die öffentlichen Räume sich zunehmend zu verändern; sie werden uneindeutig und hybrid. Zum einen gerieren sich private Räume glaubwürdig als öffentliche. Zum anderen sind dezidiert öffentlich gewidmete offenbar so angelegt, dass sie niemanden interessieren oder gar zur Nutzung animieren. Das Hybride zeigt sich auch bei mehr oder minder prominenten Neubauvorhaben. Oder etwa am Ernst-August-Platz vor dem Hauptbahnhof in Hannover. Obgleich auf den ersten (und wohl auch zweiten) Blick nicht sichtbar, ist auch er ein Hybrid, weil zum großen Teil im Eigentum und unter der Kontrolle der Bahngesellschaft. Wobei die DB einerseits eine Art Eventmarketing auf dem Platz be-, andererseits die ortsansässige Trinkerszene recht rigoros vertreibt. Die in den Platz geschwungenen Straßenbahngleise deuten es zwar an, aber lediglich die hier sich aufhaltenden Bacchusgemeinde macht klar, dass zur City hin nicht mehr das Hausrecht gilt.
Wem der "öffentliche Raum" tatsächlich gehört, scheint im Alltag zweitrangig – wie die Milchstrasse, die studentische Amüsiermeile in Aachen, zeigt. Was wie eine historisch gewachsene Kneipenlandschaft rechts und links des Gehwegs wirkt, befindet sich, Verkehrsfläche inklusive, in privater Hand: Ein wohlkalkulierter Mix des Anarchischen, bis ins Detail durchkomponiert und von der Szene wohlgefällig goutiert. Wie ein Raum genutzt und empfunden wird, ist vermutlich entscheidender als eine de jure öffentliche Widmung.
Eine solche Entwicklung kommt natürlich nicht von Ungefähr. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen. Aber auch einer Mangelsituation der öffentlichen Hand. So stellt sich die Unterhalt-und Pflege-Problematik aus kommunaler Sicht heute weitaus schärfer denn je: Angesichts der städtischen Personalengpässe und Haushaltsnöte werden zum einen selbst solche Flächen nicht in öffentliche Obhut übernommen, die beispielsweise im Rahmen städtebaulicher Projekte von beteiligten Investoren angeboten werden (natürlich, weil sie sich selbst mit den haftungsrechtlichen und Unterhaltungskonsequenzen überfordert glauben).
Zum anderen darben viele öffentlich gewidmeten Flächen; sie werden sukzessive vernachlässigt, wenn sie nicht im Fokus der politischen Aufmerksamkeit liegen; die Diskussion um die sehr unterschiedlichen Maßstäbe in der gärtnerischen Betreuung der großen Berliner Parks "Tiergarten" und "Hasenheide" illustriert das sehr gut. Doch auch der Verkauf von Grundstücken und Flächen an Private oder die Kooperation von Kommunen und Investoren in PPP-Projekten, beides verbunden mit die Hoffnung auf "Belebung" bestimmter Orte und Quartiere durch eben diese, geht im Grunde auf die zunehmende Schwäche der Kommunen zurück.
Hier scheint der Blick auf den größeren Zusammenhang geboten: Einer Stadt, die noch keine Marke ist, die noch kein "Branding" hat, fällt es schwer, ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Image und Ruf stellen wichtigen Bestandteil ihrer strategischen Konkurrenzfähigkeit dar. Dass die Attraktivität einer Stadt, mithin ihr öffentlicher Raum dabei eine wichtige Rolle spielt, leuchtet ein. So weit, so gut; fatal jedoch ist eines: Im Bestreben, ihr Marken-Image zu verbessern, konzentrieren sich viele Städte mehr auf die Werte und Emotionen, die die Kunden und Bürger mit dem "Produkt" verbinden, als auf deren Qualität selbst.
Da alle Orte mit ununterscheidbaren Massenprodukten überschwemmt werden, versuchen Städte, gleichsam sich selbst zu individualisieren - aber eben alle auf die (fast) gleiche Weise, in bewährten Schablonen. Hauptsache, damit wird ein bestimmter Lifestyle befördert oder ein - wahlweise cooles, vorzugsweise behagliches - Image propagiert. Wohlfeile Sitzgelegenheiten, stählerne Kioske, ausgreifende Wasserspiele und opulente Plastiken reüssieren. Abgezielt wird auf ein Prestige, das durch Exklusivität entsteht; erreicht wird hingegen das rechte Gegenteil. Es entsteht ein "öffentlicher Raum", auf den man den Mythos-Begriff von Roland Barthes anwenden könnte: Er "organisiert eine Welt ohne Widersprüche, weil ohne Tiefe, eine in der Evidenz ausgebreitete Welt, er begründet eine glückliche Klarheit. Die Dinge machen den Eindruck, als bedeuteten sie von ganz allein."
Langlebigkeit, Sicherheit und Stabilität mögen als Werte gelten, an denen sich Stadtplanung und Architektur auch weiterhin orientieren. Aber sie sind es nicht allein, und sie können zu einer kitschigen Illusion von Identität und Gemeinschaft werden. Wenn es um "Öffentlichkeit" geht, dann auch um die Zwanglosigkeit des Rahmens, innerhalb dessen sich Kontakte ergeben (können). Gerade die Bandbreite des Möglichen ist nach Auffassung des Stadtsoziologen Hans Paul Bahrdt das eigentlich Spannende an der "urbanen" Situation.
"Trotz aller Kasuistik erlaubter Themen kann sich aus der Frage nach dem Weg ein Flirt entwickeln." Just das aber lässt sich nicht planen. Und dennoch - oder gerade deshalb - wird der öffentliche Raum geplant, ja auf Feinste gestaltet: Baumreihen und Blumenrabatten, Verkehrsschilder, Sitzbänke und, scheinbar unvermeidlich, Brunnen und Wasserspiele unterschiedlichster Provenienz. Als modische Apercus: Aufkantungen und Reliefverschiebungen, Spiel mit Ebenen und Schrägen, mit Niveauunterschieden, Materialien, Pflastertexturen. Indes, gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Und man steht vor eben jenem Dilemma, das der Schweizer Architekturtheoretiker André Corboz dem Städtebau in toto zuschreibt:
Es ist die Idee der Rationalisierung, im Sinne einer absoluten Kontrolle, der Ausschaltung des Unvorhersehbaren und der gleichzeitigen Errichtung einer ebenso perfekten wie definitiven Ordnung.
Und diese Idee verkennt die tatsächlichen Spielregeln: Die Gestalter (müssen) entscheiden, ohne die einzelnen Gegebenheiten des Problems zu kennen, von denen einige bekannt sind, andere zufallsbedingt, wieder andere unbestimmbar.
Freilich lässt sich auf diese komplexe Herausforderung keine einfache und überall gültige Antwort formulieren. Dass der urbane Raum keineswegs in einem System von Zeichen und flüchtigen Bildern verschwinden muss, demonstrieren ja vorhandene und durchaus gelungene Situationen. Der Winterfeldtplatz in Berlin etwa stellt einen öffentlichen Raum dar, den jeder sofort als solchen empfindet; gerade das Nicht-Bestimmte und Offene seiner Fläche schafft die Voraussetzung für seine Belebt- und Beliebtheit.
Recht eigentlich macht der öffentliche Raum, einerseits, die Stadt praktisch nutzbar. Er ermöglicht, andererseits, die zusammenhängende visuelle und haptische Wahrnehmung von Stadt und macht ihre baulich-räumliche Organisation verständlich. Er kann sowohl Produkt der ihn begrenzeden Gebäude, technischer Anlagen und Pflanzungen sein, als auch Vorgabe für deren räumliche Anordnung. Mit "Bedeutung" gefüllt wird er indes erst durch die darin stattfindenden sozialen Prozesse. Zwei Stichworte sind in diesem Zusammenhang als Wegzeichen der "Mutation" aktuell: Sicherheit und Vandalismus. Sie bilden eine Art antagonistisches Zwillingspaar. A
m sichtbarsten tritt Vandalismus im scheinbar anonymen, verantwortungsleeren "öffentlichen Raum" auf - als Zertrümmerung der Glaswand einer Bushaltestelle, als Graffiti an einem Brunnen, als Zerstörung einer Telefonzelle. Zwar mag er als provokatives Indiz für soziale und psychische Hilflosigkeit interpertiert werden, er bleibt aber ein so gravierendes wie ungelöstes gesellschaftliches Problem. Zwar mag er eine individuelle Reaktion auf eine Welt sein, in der alles "konsumierbar" wird, zum raschen, zum "alsbaldigen" Verbrauch bestimmt, und deren Bevölkerung bloß noch aus Konsumenten, Voyeuren und Produzenten, nicht mehr aus Bürgern, Citoyens oder Flaneuren besteht. Aber gerade diese Haltung trägt auch zum Unsicherheitsempfinden – die mindestens so entscheidend wie die real fehlende Sicherheit – im öffentlichen Raum bei. Diese Wechselwirkung, die hier allenfalls angedeutet werden kann und beileibe nicht die einzige ist, fördert implizit den Wunsch nach hermetischen öffentlichen Räumen, deren Gestalt und Nutzung einem klaren Regelwerk unterliegt.
Gesellschaftlich und baulich "richtig" kodiert, werden diese Räume öffentlich – und durchaus genussvoll - konsumiert. Und damit offenkundig auch als etwas Eigenes akzeptiert. Das wiederum setzt eine gewisse Vertrautheit mit dem Ort voraus. Die Vertrautheit mit einem Ort erzeugt Sicherheit. Man kann Verhalten prognostizieren und hat in gewisser Hinsicht einen Anspruch darauf, dass sich der andere gemäß dieser Prognose verhält. In der Shopping-Mall dürfte das in der Regel der Fall sein; an anderen Orten, etwa so manchem Bahnhofsvorplatz, sieht das ganz anders aus.
Zwar ist Unsicherheit etwas, das meist subjektiv empfunden, nicht objektiv vorhanden ist. Aber dem (Un-) Sicherheitsempfinden in öffentlichen Räumen muß konzeptionell begegnet werden. Die Gratwanderung, die hier gefordert ist, macht evident, dass der öffentliche Raum inmitten eines Spannungsfeldes liegt zwischen Liberalität und Toleranz einerseits und gesellschaftlicher Konvention und öffentlicher Ordnung andererseits – wobei die Grenzen immer fließende sind.
Es mag sein, dass die aktuellen Beschwörungen der Res publica den Bedürfnissen der Mittelklasse nach Eigenheim, Einkaufscenter und einem angeblich "naturnahen’ Umfeld kaum entgegen kommen. Es ist ja keine Polemik, wenn man konstatiert, dass die meisten Deutschen auf Theater, Konzert und Qualitätskino verzichten können. Urbanes Flair genießt man zwar gerne mal.
Aber den Unwägbarkeiten des öffentlichen Raums – die Konfrontation mit Fremden, die Anonymität, die Unsicherheit, wie man sich verhalten soll – setzt man sich nur ungern aus. Weil das der Gesellschaft als Ganzes nicht frommt, ist Vorsicht geboten, wenn nun ausgewählte zentrale Plätze als "gute Stube" der Stadt betrachtet und entsprechend herausgeputzt werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass plakative Versprechen von Öffentlichkeit einen Ort zur touristischen Sonntagsöffentlichkeit verurteilen. Was aber haben wir - als Stadtbürger - davon?
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