Äthiopien taumelt einer ungewissen Zukunft entgegen
Seite 2: Die Reaktion der USA
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Mittlerweile gibt es Reaktionen der USA auf die zunehmenden Berichte über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Anfang März forderte der neue Außenminister Antony Blinken Abiy Ahmed Ali auf, binnen 72 Stunden den Abzug der eritreischen Truppen und der amharischen Milizen zu veranlassen.
Außerdem soll ein ungehinderter Zugang für die humanitäre Hilfe durch NGOs gewährleistet werden, und es wird eine unabhängige Untersuchung der Kriegsverbrechen gefordert. Ähnliche Äußerungen gibt es von Seiten der UN.
Was ist von diesen Äußerungen der amerikanischen Regierung zu halten angesichts der Tatsache, dass doch gerade die USA den Regimewechsel in Äthiopien und damit Abiy Ahmed Ali unterstützt und gefördert haben?
Es ist nicht davon auszugehen, dass die USA ihren Zögling Abiy Ahmed Ali fallen lassen wollen. Schließlich erhofften sich die USA mit dem Machtwechsel ein Zurückdrängen des chinesischen Einflusses und eine Öffnung des äthiopischen Marktes. Er soll nur schnell für Ruhe sorgen und die schlimmsten Exzesse abstellen. Für die USA stehen nicht die Menschen Tigrays oder Äthiopiens im Mittelpunkt, sondern ihre Geschäfts- und Machtinteressen am Horn von Afrika.
Das 72 Stunden Ultimatum der USA ist mittlerweile verstrichen, eritreische und amharische Truppen wüten unverändert in Tigray und der Zugang für NGOs und Journalisten ist weiterhin stark eingeschränkt. Mittlerweile ist ein Sonderbeauftragter der USA, Chris Coons, in Äthiopien eingetroffen.
Das Kalkül von Abiy Ahmed Ali sieht vermutlich so aus, dass er Zeit hat folgendes Szenario umzusetzen:
• Eritrea und Amhara werden mit Zustimmung der Regierung ihre Gebietsansprüche gegenüber Tigray realisieren, und die tigrayische Bevölkerung wird aus diesen Gebieten auf Dauer vertrieben werden.
• Es wird einige Alibiuntersuchungen zu Kriegsverbrechen geben. Möglicherweise wird dabei das eine oder andere Bauernopfer unterer Chargen in Kauf genommen, während die beiden Hauptverantwortlichen Isias Afewerki und Abiy Ahmed Ali sich unbeschadet aus der Affäre ziehen.
• Der Zugang für NGOs wird nach und nach unter Aufsicht der Regierung in kontrollierte Gebiete gestattet werden und möglicherweise wird man Wege finden dies propagandistisch auszuschlachten.
• Eritrea wird Gebiete in Tigray auf Dauer zugesprochen bekommen mit der Begründung, dass sie historisch irgendwann einmal zu Eritrea gehörten.
Am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass die Forderung nach Rückzug eritreischer und amharischer Truppen aus Tigray seitens der USA fallen gelassen wird. Die USA werden eine solche Entwicklung auf dem Rücken der Bevölkerung Tigrays akzeptieren, Hilfsgelder seitens der USA und der EU werden wieder fließen, die von Abiy Ahmed Ali angekündigte neoliberale Wirtschaftsagenda wird umgesetzt und Abiy Ahmed Ali wird als Statthalter amerikanischer und westlicher Interessen seine Macht festigen.
Wie Abiy Ahmed Ali Washingtons Mann bleibt
Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist allerdings eine rasche Niederschlagung des militärischen Widerstandes der TPLF. Dass dies so schnell gelingen wird, ist allerdings fraglich. Abiy Ahmed Ali hat verstanden, dass die USA Ruhe am Horn von Afrika wollen und auf eine rasche Lösung des Konfliktes drängen.
Als Reaktion droht Abiy Ahmed Ali an, den Druck auf die TPLF und die Bevölkerung zu verschärfen, sollte nicht baldigst jeder Widerstand aufgegeben werden. Schafft er es, den Widerstand rasch zu brechen, bleibt er Washingtons Mann. Im Juni kann er dann bei den angekündigten Wahlen seiner Macht den Anschein von Legitimation geben. Er geht ungefährdet in diese Wahlen, da er jegliche wirkliche Opposition und freie Presse ausgeschaltet hat.
Sofern Abiy Ahmed Ali keine Ruhe herstellen kann oder sich Eritrea möglicherweise nicht mit dem ihm zugedachten Stück vom Kuchen zufriedengibt, ist seine Zukunft und die Zukunft der ganzen Region ungewiss.
Bereits im Sommer 2020 - also noch vor dem Einmarsch in Tigray und anlässlich der geplanten Wahlen in Tigray - hatte Abiy Ahmed Ali in einem Statement gesagt: "Die Jungen sollten nicht sterben, Mütter sollten nicht weinen, Häuser sollten nicht zerstört und Menschen nicht vertrieben werden."
Bitterkeit und ethnische Zerrissenheit
Abiy Ahmed Ali spricht hier unverhüllt eine Drohung gegen die TPLF und Tigray aus und bezieht sich dabei auf den Plan der TPLF, wenigstens in Tigray Regionalwahlen abzuhalten. Die Bereitschaft einen Krieg gegen Tigray zu beginnen war deutlich vor dem 4. November erkennbar, geplant wurde er wahrscheinlich schon mit den sogenannten "Friedensvereinbarungen" mit Eritrea.
Abiy Ahmed Ali hat seine Drohung vom Sommer 2020 auf eine Weise wahrgemacht, die in dieser Brutalität und zu diesem Zeitpunkt kaum jemand für möglich gehalten hätte. Er hat damit ethnische Gräben vertieft, Teile seines Volkes an den Diktator eines Nachbarlandes verraten und den Boden seines Landes mit Blut und Leid getränkt. Ein hoher Preis, den nicht nur die Menschen, sondern ganz Äthiopien für den Machthunger Abiy Ahmed Alis und seiner amharischen Helfershelfer zahlt.
Die Wunden, die in den letzten Monaten zwischen den Ethnien Tigrays und Amharas geschlagen wurden, werden eine Bitterkeit und ethnische Zerrissenheit in Äthiopien hervorrufen, von der sich das Land auch in Generationen nicht erholen wird.
Nach all dem was den Menschen in Tigray von ihrer eigenen Zentralregierung, ihren amharischen Landsleuten im Bündnis mit dem eritreischen Diktator angetan wurde, ist es kaum vorstellbar, dass sich Tigrayaner jeweils wieder als Teil Äthiopiens fühlen können. Tigray hat seine äthiopische Identität verloren, und Äthiopien wird die Region zerstört haben, deren alte Zivilisation und Geschichte wohl das Fundament der Idee von Äthiopien selbst ist.
Abiy Ahmed Ali hat einen Prozess in Gang gesetzt, der ganz Äthiopien auf lange Zeit in eine Spirale des Hasses und der Gewalt versetzen wird. In der Hölle, die Abiy eröffnet hat, werden nicht nur die Menschen in Tigray lange leiden.
Abiy Ahmed Ali hat Äthiopien, das unter den Vorgängerregierungen eine beachtliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung vorzuweisen hatte, auf lange Zeit zurückgeworfen. Nicht nur Mütter in Tigray werden weinen - wie Abiy Ahmed Ali in seinem oben zitierten Statement vom Sommer 2020 sagte - es werden Mütter in ganz Äthiopien weinen.