Afrika: Die Furcht vor dem Virus und der "Kur"

Die Zahlen der Corona-Infizierten steigen - Sars-CoV-2 in einem hochreaktiven Mix von Problemen

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Die Zahlen der Infizierten sind auch auf dem afrikanischen Kontinent schnell gestiegen. Am heutigen Mittwoch werden 4.613 bestätigte Fälle aus 48 afrikanischen Ländern und 131 Tote gemeldet. Vor einer Woche berichtete die französische Zeitung Le Monde noch von insgesamt 600 Fällen "in ganz Afrika".

Auch wenn auch bei diesen Zahlen (die ohnehin je nach Publikation abweichen) gilt, dass sie nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, da sie von den verfügbaren Tests, von deren Durchführung und von der Informationspolitik der jeweiligen Länder abhängen, so ist die Steigerung der Fallzahlen unverkennbar, was Befürchtungen auslöst.

Keine "Nebensache" mehr

Noch vor wenigen Wochen wurde die Verbreitung des Coronavirus in Afrika mehr oder weniger als Nebensache behandelt. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich ganz auf Asien und Europa. Vor einer Woche schickte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyes einen Weckruf an die afrikanischen Länder. Sie sollten trotz der bislang relativ wenigen Fälle (er nannte 640) schnell Maßnahmen ergreifen, angesichts dessen wie schnell sich das Virus in anderen Ländern ausgebreitet hat.

Der Kontinent müsse sich "aufs Schlimmste" vorbereiten, ist seither die "Parole", die in sämtlichen Berichten zum Corona-Problem in Afrika auftaucht. Umso mehr als es in den 54 (bzw. 55, wenn man die Westsahara einschließt) afrikanischen Ländern nicht an Problemen mangelt, die auch ohne den "Disruptor" covid-19 schon genug an die Substanz gehen.

Ein Beispiel: Für die Republik Kongo etwa werden gegenwärtig 98 Fälle von Covid-19 Infektionen registriert, mit schnell steigender Tendenz, zugleich hat das Land mit einer Masern- und Cholera-Epidemie sowie mit Malaria zu kämpfen.

Seit 2019 seien im Kongo 5.300 Kinder an Masern gestorben, es werden 31.000 Cholera-Fälle gezählt, in 540 Fällen mit tödlichem Ausgang (darunter geschätzt 45 % Kinder), wie Unicef aktuell berichtet. Im vergangenen Jahr gab es 16,5 Millionen Malaria-Fälle mit 17.000 Toten.

Das sind Dimensionen, die man sich im europäischen Alltag nur schwer oder gar nicht vorstellen kann. Dazu kommt die Unterversorgung. Geschätzt 3,3 Millionen Kinder brauchen medizinische Hilfe; 9,1 Millionen benötigen humanitäre Hilfe.

Hilfe?

Das Gesundheitssystem vieler afrikanischer Länder wird mit der Ausbreitung von Sars-CoV-2 auf große Probleme stoßen. In den Ländern südlicher der Sahara kommen auf 10.000 Bewohner ein Arzt und 10 Krankenhausbetten, rechnet ein Leitartikel in Le Monde vor. In Frankreich sind es demnach 32 Ärzte und 61 Betten für dieselbe Bevölkerungszahl.

Der Appell des Leitartikels ist naheliegend: Die internationale Gemeinschaft und besonders Europa müssen, wenn sie aus dem "Corona-Albtraum" herauskommen wollen, Afrika helfen, weil der Kontinent vor den Türen Europas liegt und ein Ausbreiten auf dem benachbarten Kontinent auf Europa zurückfallen wird.

Allerdings ist ein Appell leichter geschrieben, als Hilfe zu leisten. Was das einfachste Mittel, Geld, betrifft, so wiesen die Diskussionen über Entwicklungshilfe in den letzten Jahr(zehnt)en schon auf grundlegende Probleme. Eins davon ist das dysfunktionale Bankensystem, das nach Rezepten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank funktioniert und im Wesentlichen nur einer bessergestellten Schicht Vorteile gebracht hat. Die Korruption kommt zum Corona-Problem dazu.

"Die Kur ist schlimmer als die Krankheit"

Eine andere große Schwierigkeit ist die Schattenwirtschaft in vielen afrikanischen Ländern. Maßnahmen zur Ausgangsbeschränkung, zur Schließung von Geschäften, von Transportmöglichkeiten treffen eine große Zahl von Beschäftigten, die so wenig verdienen, dass an Ersparnissen nicht zu denken ist, sie halten sich mehr oder weniger von Tag zu Tag über Wasser.

Wenig überraschend schlägt die Abwägung, ob Gegenmaßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, nicht noch größeren Schaden anrichten als das Virus selbst, in afrikanischen Staaten hohe Wellen.

Für Südafrika, wo mit 1.326 die meisten Fälle gezählt werden und mit einem 21-tägigen Lockdown besonders harte Maßnahmen getroffen werden, hat Seán Mfundza Muller einen weithin beachteten Kommentar verfasst, der die Existenzgefährdung eines großen Teils der Bevölkerung durch die Maßnahmen in den Blick rückt: Die vermeintliche Kur könnte schlimmer sein als die Krankheit, so sein Fazit.

Inwieweit Muller damit Interessen der bessergestellten Schicht vertritt, wäre eine eigene Vertiefung von Südafrika-Kennern wert; bemerkenswert ist, dass seine Aussage, wonach die "Kur" alles noch verschlimmern könnte, großes Echo in Medien findet, die über Afrika berichten. Dies zeigt auch an, wie schwer die Dimensionen der Schattenwirtschaft in afrikanische Länder zu fassen sind. Der große Sektor von informell Beschäftigten hat eine gewissen Ähnlichkeit zu Indien, wo die Aussichten des Lockdowns von großen Befürchtungen begleitet werden.

Ausschreitungen, Terroristen und Flüchtlinge

Erste zum Teil gewalttätige Reaktionen gegen die Ausgangsbeschränkungen und gegen die Polizei in Burkina Faso, der Elfenbeinküste und im Senegal sind Signale dafür, dass sich der Unmut in manchen Ländern gegenüber den Maßnahmen der Regierung und den nicht immer beliebten Polizei- oder Sicherheitskräften gewaltsam Luft verschaffen kann.

In Burkina Faso ist die Lage ohnehin von Gewalt geprägt, die Dschihadisten von al-Qaida haben dort ihren Einflussbereich ausgedehnt. Militärisch hat der Einsatz der französischen Truppen wie auch in Mali und im Niger zu keinem nennenswerten Erfolg geführt (unbeirrt werden aber Manöver auch zuzeiten der Corona-Epidemie weiter abgehalten). Die Ausbreitung des Corona-Virus wird den Kampf gegen die islamistischen Terrorgruppen nicht einfacher machen.

Das Virus eignet sich, wie der politische Showman Trump in der großen Öffentlichkeit zeigte, hervorragend zur politischen Instrumentalisierung, indem man Konkurenten abwertet und dem Virus eine nationale Herkunft anheftet. Das kann man auch auf Ethnien und Konfessionen übertragen - al-Qaida betreibt Diffamierungen, die darauf setzen, in der Sahelzone schon lange.

In Burkina Faso wird die Zahl der Binnenflüchtlinge auf 765.000 geschätzt. Die Sorge, dass covid-19 afrikanische Flüchtlingslager heimsucht, kommt zu den angedeuteten Problemlagen im Nachbarkontinent Europas noch hinzu.

"Gewürze helfen" und "Ägypter sein"

Ägyptens Machthaber al-Sisi verstärkt in der Coronakrise repressive Maßnahmen gegen Journalisten und Kritiker. Mit bislang 656 Fälle von Infizierten gehört das nordafrikanische Land zu den am stärksten betroffenen Ländern. In Ägypten, wo allerhand erlaubter Unsinn in Medien über das Virus verbreitet wird (Gewürze helfen, Ägyptisch-Sein hilft, Tee-Trinken hilft), wird sich zeigen, ob sich die oft gehörte Ansicht, wonach autoritäre Systeme prinzipiell besser mit der Coronakrise zurechtkommen, als richtig herausstellt.