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Agroforst: Pickende Hühner unter Bäumen

Besser für Tiere und Klima: Hühnerhaltung unter Bäumen und Sträuchern. Foto: cicitony auf Pixabay (Public Domain)

Agroforstwirtschaft ist ökologisch sinnvoll und bringt vielfältige Erträge. Um sie für Landwirte attraktiver zu machen, müsste sie mehr beworben und vor allem entsprechend gefördert werden

Zwischen Apfelbäumen rennen Hühner und gefleckte Schweinchen herum. Sie wühlen den Boden auf, so dass neue Pflanzen wachsen können. Auch die Hühner scharren rund um den Baumstämmen im Boden. Wo der Fadenmäher nicht hinkommt, picken sie die Bäume frei. Manchmal springen sie auf die Äste, um Spinnen oder Insekten zu fangen, erklärt Stefan Bächli in einem Interview [1]. Entlang der Baumreihen hat der Landwirt Leguminosen eingesät. Denn mit ihren unterschiedlich langen Wurzelarten fördern diverse Kleearten die Bodenlebewesen und damit die biologische Vielfalt.

Der Bächlihof [2] in Rapperswil am Zürichsee ist Teil eines Netzwerkes, bestehend aus vier Höfen mit insgesamt 150 Hektar Land und 80 verschiedenen Kulturen. 600 Produkte werden ab Hof bzw. über die Gastronomie vermarktet. Zum Bächlihof, der im Frühjahr mit dem Prix Climat [3] ausgezeichnet wurde, gehören sieben Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Davon sind fünf Hektar mit Apfelbäumen mit insgesamt 25 Sorten bepflanzt. Hinzu kommen Birnen und Zwetschgen. Drei Schweine und 60 Hühner sind im Obstbau integriert.

Im Hühnerstall wird Pflanzenkohle in die Einstreu gemischt. Jedes Mal, wenn der mobile Stall an einen neuen Platz kommt, wird der Mist-Kompost direkt aufs Feld verbracht. Hier bindet die Pflanzenkohle den Stickstoff samt Ammoniak. Damit fördert sie den Humusaufbau. Pflanzenkohle entsteht über Holzvergasung mittels Pyrolyse [4], wobei die Hälfte des Kohlendioxids darin gebunden wird. Pflanzenkohle ist extrem stabil, sie überdauert jahrelang auf dem Feld und trägt enorm zur Bodenverbesserung bei, schwärmt Martin Jucker. Und sie schützt das Klima.

So entzieht ein Kilo Pflanzenkohle im Boden der Atmosphäre langfristig drei Kilo Kohlendioxid-Äquivalente. Neben den Äpfeln wird jeden Tag ein Korb voller Eier im Hofladen verkauft. Statt eine teure Sortiermaschine zu kaufen, um die normgerechten Äpfel herauszusortieren, wird Obst von minderwertiger optischer Qualität verarbeitet - mit weniger maschinellem Einsatz, dafür nahezu pestizidfrei in geschlossenen Kreisläufen.

Darüber hinaus werden Kürbisse aller Sorten, die auf dem nahe gelegenen Spargelhof geerntet werden, in einer hofeigenen Kürbisausstellung präsentiert. Zu kleine, zu große oder beschädigte Kürbisse werden zu einer leckeren Suppe verkocht. "Wir regenerieren zuerst die Böden, welche gesunde Pflanzen hervorbringen. Diese ergeben gesunde Nahrungsmittel und diese ergeben gesunde Menschen", erklärt Martin Jucker. Diese hochwertigen Lebensmittel haben ihren Preis. In der Schweiz sind offenbar viele Kunden bereit, ihn zu zahlen.

"Hühnerwälder" bieten Schutz vor Raubvögeln

Auch Jochen und Hilke Hartmann in Rettmer bei Lüneburg halten ihr Geflügel in einem sogenannten Hühnerwald [5]. Im Frühjahr 2016 pflanzten sie 1500 Pappelstecklinge und Weiden. Bereits nach einem halben Jahr war die größte Pappel 3,70 Meter hoch, erinnern sie sich. Bei der zweiten Pflanzaktion ein halbes Jahr später wurden zusätzlich Wildobst, Nussbäume und diverse andere Sträucher vor die Baumstreifen des Hühnerwaldes gesetzt.

Im Frühjahr 2020 bepflanzten sie weitere vier Hektar überwiegend mit Weiden und einigen Pappeln. Mit zehn Quadratmetern pro Tier bietet der Hühnerwald doppelt so viel Platz, wie gesetzlich für die Freilandhaltung vorgeschrieben. Unter den Bäumen verteilen sich die Tiere nicht nur besser beim Scharren und Picken. Sie bieten auch Schutz vor dem Habicht und anderen Beutegreifern.

Nicht zuletzt trägt die bunte Mischung an unterschiedlichen Sträuchern, Bäumen, Wildblumen und diversen Futterpflanzen zu einem vielfältigen und gesunden Ökosystem bei. Wild- und Honigbienen werden von Weidenkätzchen und den Blüten des Pfaffenhütchens angezogen. Dessen Beeren und Samen wiederum werden im Winter von Rotkehlchen und anderen Vögeln gefressen. So suchen Heckenbrüter gerne unter den Dornen des Weißdorns, dessen Beerenfrüchte sie auch fressen, Schutz vor Raubvögeln.

Hühnerwälder sind wertvolle Refugien, gerade vor dem Hintergrund immer länger werdender Hitzeperioden. Denn die Bäume haben eine kühlende Wirkung auf die Tiere, die unter ihnen ruhen. Sie strukturieren die Landschaft, halten die Feuchtigkeit im Boden, bauen Humus auf, speichern Kohlenstoff, liefern Futter, Holz und Nahrungsmittel – von Honig und Nüssen bis hin zu Apfelsaft und Obstschnäpsen. Sie bereichern die Artenvielfalt und bieten Lebensraum für selten gewordene Arten wie Neuntöter, Steinkäuze, Wiedehopf, Rebhühner sowie Fledermäuse, Bilche, Wildbienen, Laufkäfer oder Eidechsen. Allein in den norddeutschen Knicks leben rund 7000 Tierarten. In einer einzigen süddeutschen Hecke wurden 900 Arten gezählt.

Daneben bieten Weiden, Holunder-, Johannis- und Apfelbeeren, Birnen-, Mirabellen-, Pflaumen- , Hasel- und Walnussbäume, Liguster, Erbsensträucher und Vogelbeeren den Hühnern einen vielfältigen Speiseplan. Über ein saisonal unterschiedliches Angebot an Blüten und Früchten erhöht sich gleichzeitig die Artenvielfalt. Über den anfallenden Hühnerdung, die Biomasse der Gehölze, in den Boden eingearbeitete Frischzweigehäcksel sowie Waldboden-Pilzkulturen verbessert sich gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit. Die Bäume auf Pappeläckern werden zusätzlich als so genannte Energiepflanzen genutzt.

Ackerbaumstreifen bremsen den Wind aus

Die Tradition von parkartigen Hutewäldern [6], in denen Schweine und Rinder weiden, liegt Jahrhunderte zurück. Bereits die wilden Vorfahren der Haushühner lebten in lichten Wäldern und an Waldrändern. Kein Wunder, dass sich auch domestizierte Hühner, Gänse und Puten gerne unter Bäumen aufhalten. Neben dem Schutz vor Raubvögeln und dem vielfältigen Nahrungsangebot zeigen die Bäume eine enge Verbindung von Land- und Forstwirtschaft.

Lange Zeit gab es in Mitteleuropa keine strikte Trennung zwischen Wald und Feld, es war eher ein fließender Übergang. Man kultivierte Getreide unter Bäumen oder auf kleinen Flächen im Wald. In parkartigen Hutewäldern weideten Schweine und Rinder auf ausgedehnten Streuobstwiesen. Obstbäume, Hecken und Gehölze an Wegesrändern und auf Äckern ergaben ein buntes Mosaik. Reste dieser vielfältigen Kulturlandschaften finden sich in unseren heutigen Streuobstwiesen, den norddeutschen Wallhecken (sog. Knicks) oder in der oberbayerischen Haglandschaft mit ihren Feldgehölzen.

In Agroforstsystemen werden meist schnell wachsende Baumarten wie Pappel, Weide und Erle in mehreren Reihen, aber auch Obstbäume, Sträucher oder Hecken gepflanzt. Der Abstand zwischen den Grünstreifen kann entsprechend variiert werden, so dass die dazwischen liegenden Ackerflächen bewirtschaftet werden können. Im windreichen, relativ trockenen Brandenburg sind die Bäume doppelt nützlich. Wie eine Studie [7] der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus-Senftenberg [8] zeigt, können starke Windböen, die den fruchtbaren Oberboden wegblasen, durch Bäume am Ackerrand nahezu vollständig verhindert werden.

Bei rund vier Meter Baumhöhe und einem Streifenabstand von 24 Metern verringert sich die Windgeschwindigkeit im Vergleich zum offenen Feld etwa um die Hälfte. Oft werden schnell wachsende Pappeln gepflanzt, die nach drei bis acht Jahren das erste Mal geerntet werden, bevor sie mit der Kraft des Wurzelstocks umso kräftiger austreiben. Die Hölzer werden entweder verfeuert oder in Biogasanlagen verwertet.

Thomas Domin, Mit-Autor der oben genannten Studie, investierte in eine Pyrolyseanlage, in der Holz und Gehölzschnitt in Pflanzenkohle verwandelt und welche dann zwecks Bodenverbesserung auf das Feld ausgebracht wird. Der Abstand zwischen den Gehölzen ist gerade so groß, dass der Acker dazwischen mit Maschinen bearbeitet werden kann. Wind sei bei der Austrocknung der Ackerpflanzen viel entscheidender als Sonneneinstrahlung, erläutert Rico Hübner, Mitbegründer des Deutschen Fachverbands für Agroforstwirtschaft (DeFAF e. V.) [9]. Dem Argument, Bäume würden den Ackerpflanzen Sonne, Wasser und Nährstoffe wegnehmen, widerspricht der Agrarwissenschaftler. Mögliche Konkurrenzeffekte würden durch die höheren Erträge auf den Feldern zwischen den Baumstreifen mehr als ausgeglichen, so sein Argument.

Konservierung von Futterlaub und Esskastanien

Felix Riecken [10] bewirtschaftet einen Öko-Milchbetrieb in der Nähe von Kiel. Für ihn waren der Hitzesommer 2018 der Auslöser für die Pflanzung zahlreicher Obstbäumen und Esskastanien, zudem pflanzte er eine Futterlaubhecke. Zwischen Weißdorn, Hasel und Holunder gedeihen Maulbeere, aber auch heimisches Wildobst wie Speierling, Wildkirsche, Schwarznuss und Baumhasel.

Unter der Hecke wachsen Knoblauch, Stangensellerie und Kürbisse. Bäume und Heckenpflanzen puffern den Nährstoffeintrag aus den Ausscheidungen der Rinder ab und entlasten somit die Gewässer. Das Laub, wie etwa die Blätter der Maulbeerbäume, sind für seine Kühe ein besonderer Leckerbissen.

Mit einer Trocknungsanlage will der Jungbauer bei der Heutrocknung vom Wetter unabhängiger werden. Auf der Anlage könnte er zudem geerntete Esskastanien und Walnüsse konservieren. Auch das Laub der Futterhecke, bestehend aus Werthölzern, kann dann hier getrocknet werden. Über die Maulbeerblätter werden die Milchkühe mit zusätzlichen Proteinen versorgt.

So liefern Hasel, Holunder, Esskastanie, Ahorn, Eberesche und Erle in erster Linie Mineralstoffe. Zusätzlich versorgt die Erle die Umgebung mit Stickstoff über ihre Wurzelsymbionten. Auf der Streuobstwiese mit Hochstämmen plant der Jungbauer Obstbaumschnittkurse. Auch will er Menschen zu Ernteaktionen einladen. Die Fläche, auf der Agroforstwirtschaft betrieben wird, soll Jahr für Jahr sukzessive wachsen. Langfristig soll die Nahrungsmittelproduktion durch biointensiven Gemüsebau, den Anbau von Speisepilzen, Legehennen im Mobilställen und die Haltung einiger weniger Mastschweine ganzheitlicher gestaltet werden.

Agroforst muss raus aus der Nische!

Trotz aller seiner genannten Vorteile investierten bisher nur einige Hundert landwirtschaftlichen Betriebe in moderne Agroforstsysteme. Die Gründe sind vielschichtig und auch nachvollziehbar: Jahrzehntelang wurden Hecken planiert, Flure bereinigt, Landschaften eingeebnet. Nun werden Bäume und Gehölze plötzlich nicht mehr als Störfaktoren wahrgenommen, sondern als natürliche Verbündete. Um das zu begreifen, müssen viele radikal umdenken.

Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft schätzt die Fläche aktiv betriebener Agroforstsysteme auf gerade mal rund tausend Hektar. Zwar sind diese bereits seit 2007 förderfähig, doch anders als zum Beispiel in Frankreich, wo der Agroforst-Anteil stark gestiegen ist, wurde die Verordnung in Deutschland nicht in nationales Recht umgewandelt. Dies erschwert es den Landwirten, Grünstreifen anzulegen.

Dazu kommt, dass im Rahmen flächenbezogener Direktzahlungen Gehölzkulturen bisher herausgerechnet wurden. Wollen Agroforstsysteme hierzulande einen Aufschwung erleben, müssten sie als landwirtschaftliche Nutzfläche anerkannt und entsprechend gefördert werden. Gerade in den ersten Jahren wäre eine Finanzspritze wichtig. Denn wegen kleinerer Ackerflächen fallen die Ernten zunächst geringer aus, und Pflanzung und Pflege der Bäume verursachen Kosten. Das verträgt sich selten mit dem meist knappen Geld- und Zeitbudgets der Landwirte. Am besten gelingt dies noch den jungen Landwirten - Hoferben und Quereinsteigern.

Denn von den Investitionen, die sie heute tätigen, würden sie am ehesten profitieren. Während die Politik eher zögerlich reagiert, werden bereits erste Studien zu Gütesiegeln in der Agroforstwirtschaft durchgeführt, wie zum Beispiel die 2021 veröffentlichte Forschungsarbeit an der Universität Bayreuth. Agroforstwirtschaft sei die natürlichste Art der Bewirtschaftung überhaupt, erklärt Biobauer Josef Braun [11].

Auch auf seinem Hof laufen Hühner zwischen Sträuchern und Bäumen herum und suchen die Rinder unter den Bäumen Schatten. Der Agroforst-Pionier, der seit mehr als zwanzig Jahren mit dem innovativen Anbausystem experimentiert, hält dieses ohnehin über kurz oder lang für alternativlos. Um möglichst viele Landwirte zum Mitmachen zu bewegen, hat er auch schon eine Idee: Lebensmittel aus Agroforst [12] sollen mit einem besonderen Qualitätssiegel ausgezeichnet werden. Damit könnten auch Landwirte höhere Preise erzielen.


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https://www.heise.de/-7079612

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5VK-2mFu3lQ
[2] https://www.juckerfarm.ch/hoferlebnis/baechlihof/
[3] https://www.prixclimat.ch/
[4] https://www.chemie.de/lexikon/Pyrolyse.html
[5] https://www.hühner-wald.de/
[6] https://www.spektrum.de/news/agroforst-die-renaissance-der-ackerbaeume/1981693
[7] https://agroforst-info.de/wp-content/uploads/2021/03/03__Windgeschwindigkeit.pdf
[8] https://www.b-tu.de/multiland/
[9] https://agroforst-info.de/agrobala/defaf-e-v/
[10] https://agroforst-info.de/im-portraet-felix-riecken/
[11] https://www.lebendigeerde.de/index.php?id=portrait_123
[12] https://www.sueddeutsche.de/wissen/agroforst-landwirtschaft-nachhaltigkeit-1.5005202?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE