Aktienrente: Kritik leidet an ideologischen Wahrnehmungsfiltern?
Altersvorsorge mit Wertpapieren wird zur Glaubensfrage. Kennen die Börsen nur den Weg nach oben? Eine Reaktion auf einen Leserkommentar und ein Beitrag zur Debatte.
Auf den Artikel Schlechte Nachrichten für die Freunde der Aktienrente erhielten wir einen Kommentar, der es lohnt, für alle Interessierten beantwortet zu werden.
Zum besseren Verständnis der Sachverhalte ist die folgende Indexkurve hilfreich:
"Ideologische Wahrnehmungsfilter"?
Die Grafik steht konträr zur Bewertung des Leserkommentars:
Wer wirklich Wohlstand für alle erreichen will, aber breit gestreute Aktienfonds verteufelt, versteht Wirtschaft nicht oder hat ideologische Wahrnehmungsfilter.
Dieser Glaubenssatz von der Aktie als "Spekulation" und "Glückspiel" ist immens schädlich für die Vermögenslage aller Menschen, vor allem der wenig Verdienenden. Er ist nicht rational begründbar."
Leserkommentar
Der MSCI World Index bildet die Wertentwicklung von 1600 Aktien aus 23 Industrienationen ab. Breit gestreuter geht es nicht.
Anmerkung zu ETF:
ETF (Exchange-Tradet Fund) sind börsengehandelte Fonds, die in der Regel passiv verwaltet werden. In ihm werden beliebige Wertpapierindexe nachgebildet (z.B. DAX oder MSCI World) und deren Entwicklung sehr kurzfristig (im Minutentakt) über Rechenalgorithmen zu Indexwerten berechnet.
Die passive automatische Berechnung macht die ETF im Vergleich zu anderen, aktiv verwalteten Fonds, kostengünstig. Das ist aber auch der einzige Vorteil, denn die ETF folgen den Kursen der zugrundeliegenden Aktien 1:1. Sie unterliegenden den Kursschwankungen und den Haussen und Baissen an den Börsen, wie andere Wertpapiere auch.
Risikostreuung bedeutet deshalb durchaus nicht Risikominimierung, sondern eher einem Folgen der Herde, im schlimmsten Fall entsprechend dem Zug der Lemminge ins Verderben.
Die Blasenbildungen sind extrem und sehr deutlich erkennbar – haben nicht diejenigen, die das nicht zur Kenntnis nehmen, "ideologische Wahrnehmungsfilter"?
Und wie anders als durch Spekulation können solche Blasen entstehen? Dass sich primär "wenig Verdienende" in das Abenteuer stürzen sollten, benötigt keine Kommentierung.
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"Die Wirklichkeit verzerrt dargestellt"?
Sie greifen einzelne Beispiele von Verlusten heraus, die nachweislich in der Minderzahl sind, sodass die Wirklichkeit verzerrt dargestellt wird. Sie schreiben, dass der norwegische Staatsfonds 2022 ein Verlustjahr erleidet. Sie schreiben aber nicht, dass die mittlere Rendite von 1995 bis 2022 Schnitt 5,7 Prozent betragen hat. Sie werfen den Medien Verschweigen vor, greifen aber selbst Fakten heraus, die zu Ihrer These passen, verschweigen aber die Hauptsache.
Leserkommentar
Wieder der Verweis auf die obige Grafik: Nach dem Aktienboom in den Jahren 2020/2021 erfolgte der starke Einbruch im Jahr 2022. Die eingebrochenen Aktienwerte sind nachweislich nicht in der Minderheit, sondern bilden die Realität ab, und zwar weltweit.
Die in unserem Artikel aufgeführten Beispiele beziehen sich auf Werte bzw. Ereignisse zu Pensionsfonds.
Diese wurden zugunsten der propagandistischen Werbung für die Aktienrente von den großen Medien verschwiegen. Die T-Online-Redaktion beispielsweise konnte sich nach der Propaganda-Show von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu seinem "Generationenkapital" im Januar nicht bremsen und jubelte "Der Beginn einer großen Reform … Eine kleine Revolution für die Sparbuch-Nation Deutschland".
Übrigens wurde die Entwicklung des norwegischen Staatsfonds von uns nicht verschwiegen. In einem früheren Artikel hatten wir auf das Zitat des Fondschefs Nicolai Tangen vom Dezember 2021 verlinkt.
Im Durchschnitt haben wir in den vergangenen 25 Jahren eine Rendite von sechs Prozent erzielt. Jetzt bereiten wir uns auf ein Jahrzehnt mit niedrigerer Rendite vor. Vielleicht wird sie sogar negativ. Das müssen wir einfach akzeptieren.
Nicolai Tangen
Was ist "nicht rational begründbar"?
Aktien sind Anteile an Unternehmen. Unternehmen gehen Risiken ein. Wenn sie erfolgreich und produktiv sind, schaffen sie dauerhaft Arbeitsplätze und Einkommen. Wer sich an Unternehmen beteiligt, trägt dazu bei, dass sich Unternehmen als die einzigen Generatoren des Wohlstands für alle entwickeln können. Das nicht anzuerkennen, ist nicht rational begründbar.
Leserkommentar
Unbestreitbar sind wertschöpfende Unternehmen "Generatoren des Wohlstands" (wobei es auch eine Reihe von Unternehmen gibt, die Wohlstand vernichten). Aber was haben Aktienkurse mit den real wirtschaftenden Unternehmen zu tun? Rational begründbar ist der Zusammenhang offensichtlich nicht.
Wieder die obige Grafik als Interpretationshilfe genommen: Im März 2020 ereilte die Börsen der Corona-Schock – die Kurse brachen drastisch ein und das schien auch realistisch den Lockdowns im Wirtschaftsleben zu entsprechen.
Doch dann passierte Folgendes: Die Wirtschaftsleistungen brachen in den Jahren 2020 und 2021 weltweit ein. Im krassen Gegensatz dazu explodierten die Aktienkurse geradezu.
Und, um die "Rationalität" komplett zu machen: Im Jahr der wirtschaftlichen Erholung, 2022, brachen die Kurse im bereits erwähnten Umfang ein. Diese Vorgänge "rational" zu begründen, hat bis jetzt noch niemand geschafft. Oder?
"Verkaufe … so wie du es zum Leben im Alter brauchst"?
Der Schluss ist einfach: Es gibt nur sehr wenige Kombinationen von Kaufjahr und Verkaufsjahr, in denen man einen Verlust erzielt hätte. Einziger Grundsatz: Investiere regelmäßig. Verkaufe nicht in Verlustjahren, verkaufe über mehrere Perioden, so wie du es zum Leben im Alter brauchst.
Leserkommentar
Die realen Zahlen beweisen das Gegenteil. Im Ablauf der letzten 30 Jahre gab es nun wirklich viele und lange Zeiträume, in denen Verluste zu verzeichnen waren.
Natürlich gab es auch die Zeiträume, in denen kräftige Kursgewinne realisiert werden konnten. Was nützt da die "einfache" Empfehlung: "Verkaufe über mehrere Perioden, so wie du es zum Leben im Alter brauchst"?
Das hält der Autor dieser Zeilen mit Verlaub für blanken Zynismus: Das Leben richtet sich nicht an den Aktienkursen aus. Das Leben kann auch nicht unterbrochen oder reduziert werden, nur weil die Börsenkurse gerade im Keller sind.
Das Leben darf kein Glücksspiel sein, bei dem ich gewinne oder verliere, je nachdem, wann ich geboren wurde, wann ich in Rente gehe und wie lange ich Altersversorgung benötige.
Der Leserkommentar ist unter dem ursprünglich auf der Webseite RentenZukunft geposteten Artikel zu finden.
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