Aktualisierung der Wählerverzeichnisse
In Hamburg wurden, wie in anderen Bundesländern zuvor, Tausende Deutsche türkischer Herkunft aufgefordert, ihre Staatsbürgerschaft offen zu legen
"Es gibt keinen Grund zur Sorge, wir wollen Ihnen helfen", schreibt die Hamburger Innenbehörde in Briefen, die sie Anfang Juni an rund 6.000 Deutsche türkischer Herkunft verschickt hatte. Sie fordert die Empfänger auf, bis zum 7. Juli Auskunft über ihre Staatsangehörigkeit zu geben.
Grund ist eine Mitteilung der türkischen Regierung an die Bundesregierung, nach der etwa 50.000 Personen türkischer Herkunft, die in Deutschland leben, seit dem 1. Januar 2000 wieder einen türkischen Pass bekommen haben. Damit haben sie laut Gesetz ihre deutsche Staatsangehörigkeit verwirkt.
Die deutsche Staatsangehörigkeit ging schon seit 1914 aufgrund eines Gesetzes automatisch verloren, wenn auf Antrag eine andere Staatsangehörigkeit erworben wurde. Doch Ausnahmen waren und sind möglich, etwa wenn Länder wie Marokko oder Griechenland keine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft vorsehen. Auch bei hier geborenen Jugendlichen bis 23 Jahren ist ein Doppelpass möglich, danach müssen sie sich allerdings für einen Staat entscheiden.
Eine wichtige Ausnahmeregelung, die so genannte Inlandsklausel, galt bis zum 31. Dezember 1999 auch für Personen, die weiterhin ihren Wohnsitz in Deutschland hatten: Auch wenn sie ihre frühere Staatsangehörigkeit wieder annahmen, blieb danach ihre deutsche Staatsangehörigkeit bestehen. Wer wollte, konnte nun aus der alten Staatsangehörigkeit austreten, die deutsche annehmen und dann wieder seine vorige erwerben, solange er seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Viele der 622.000 zwischen 1991 und 2003 eingebürgerten Türken machten davon Gebrauch, zumal sie wegen der Einbürgerung gezwungen waren, ihren alten Pass aufzugeben. Auf türkischen Konsulaten wurde in der Regel zusammen mit der Ausbürgerungsurkunde das Antragsformular für die Wiedereinbürgerung überreicht.
Diese Vorgehensweise ist nun nicht mehr möglich. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrecht am 1. Januar 2000 gibt es eine andere Rechtslage: Seither geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, wenn jemand eine andere Staatsangehörigkeit annimmt, egal ob sich die betreffende Person im In- oder Ausland aufhält. Selbst wenn sie noch einen deutschen Pass in Händen hält, ist sie damit bereits rechtlich zum Ausländer geworden.
Die Konsequenzen sind enorm. Darauf weist Mahmut Erdem hin. Der Hamburger Rechtsanwalt ist Mitglied in der bundesweiten Initiative Kein Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft. Mit dem Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft gehen zugleich alle daran geknüpften Rechte und Pflichten verloren. Die Betroffenen werden dann in Deutschland grundsätzlich als Ausländer betrachtet, sie benötigen einen Aufenthaltstitel und eine Berechtigung für ihre Erwerbsarbeit.
Scharfe Kritik übt Erdem an der Vorgehensweise des Hamburger Innenbehörde, die ihre Maßnahme auch in einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegeben hatte. Das Schreiben verunsichere Tausende Deutsche türkischer Herkunft, die vom Verlust der Staatsangehörigkeit gar nicht betroffen seien. Auch vermittele der Massenversand an die Eingebürgerten den Eindruck, dass sie hier nicht hin gehörten, dass sie "Deutsche zweiter Klasse" seien, sagt Erdem. Die Behörde hätte besser "leise und unbürokratisch" agiert. Der Rechtsanwalt schätzt, dass mindestens ein Drittel der Betroffenen nicht die Kriterien für eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erfüllt. Diese erhält nur, wer keine staatliche Hilfe bekommt und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Neben Empfängern von Arbeitslosengeld II, denen die Abschiebung drohe, seien aber auch Ärzte und Beamte in ihrer Existenz gefährdet, da deren beruflicher Status an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden sei.
Kritik an "Stigmatisierung" der Deutschen türkischer Herkunft
Außerdem verlieren die Betroffenen ihr Wahlrecht. Man wolle sicherstellen, so die Hamburger Innenbehörde, dass vor den anstehenden Bundestagswahlen das Melderegister und das darauf basierende Wählerverzeichnis auf den aktuellen Stand gebracht werde.
"Das Gesetz gilt für alle", sagt Erdem. Dass nicht alle Deutschen, sondern nur die Deutschen türkischer Herkunft angeschrieben wurden, darin sieht er eine "Stigmatisierung". Im Prinzip könnte es zahlreiche andere Deutsche geben, die seit 2000 eine zusätzliche Staatsangehörigkeit bekommen haben, etwa Aussiedler, die zwischenzeitlich die russische Staatsbürgerschaft wieder erhalten haben.
Nur von der Türkei habe man eine entsprechende Mitteilung bekommen, begründet Reinhard Fallak, der Sprecher der Hamburger Innenbehörde, das Vorgehen. "Von anderen Regierungen haben wir derartige Auskünfte nicht erhalten.. Wer nicht bis zum 7. Juli antworte, werde erneut mit einem Postzustellungsschreiben angeschrieben, so Fallak. Wer sich dann immer noch nicht melde, werde "automatisch aus dem Wählerverzeichnis gelöscht und als Türke weitergeführt".
Der frühere Justizminister in Hessen, Rupert von Plottnitz, bemängelte in der Frankfurter Rundschau, dass seine Partei, die Grünen/Bündnis90, vergessen hätte, eine Übergangsregelung zu schaffen. Er hält es für verfassungswidrig, dass "das Fallbeil Ausbürgerung auch die trifft, die den türkischen Pass im Vertrauen auf das alte Recht beantragt haben."
Bereits im Januar dieses Jahres wurden über 70.000 Deutsche türkischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen angeschrieben. Fast alle antworteten, knapp 4.000 von ihnen gaben an, die türkische Staatsbürgerschaft nach 2000 wieder angenommen zu haben. Auch in anderen Bundesländern wie Bayern und Berlin sind die Behörden aktiv geworden, denn bis Mitte August sollen die Innenministerien die Wählerverzeichnisse aktualisiert haben.
Doch über das genaue Prozedere, vor allem was das Verfahren zur Wiedereinbürgerung anbelangt, herrscht in den Ländern Uneinigkeit. Die Kränkung bei den Betroffenen (die die Hamburger Innenbehörde nicht Bürger, sondern "Mitbürger" nennt) sitzt tief, die Verunsicherung ist groß, ebenso die Empörung bei deutsch-türkischen Verbänden und Gemeinden. Für Klärung des Problems sollen die Innenministerkonferenz am 21. Juni und Gespräche auf Staatsratebene mit Vertretern deutsch-türkischer Organisationen sorgen.