Al Sahhafs Bart gegen Bushs Fell

Ein Nachmittag in einem chinesischen "Kriegs-Chatroom"

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  1. Ich bin wirklich erregt, dass die Amerikaner ins Zentrum von Bagdad vorgedrungen sind.
  2. Zu viel Erregung könnte zum Schlaganfall führen.
  3. Heutzutage ist es nicht einfach, ein paar Sinnesreize zu bekommen...

Dies ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch im sogenannten Kriegs-Chatroom des chinesischen Megaportal "Sina". Es ist der 9. April 2003. Der 21. Kriegstag dürfte sich für die militärische Auseinandersetzung im Irak als entscheidend erweisen. Das Regime in Bagdad zerfiel gewissermaßen ins Chaos. Selbst die tägliche Pressekonferenz von Informationsminister Al Sahhaf fiel aus. Am Mittag standen erste amerikanische Panzer am Ostufer des Tigris. Einer der Panzer kam schließlich zum Einsatz - allerdings nicht wie am Vortag gegen das Journalistenhotel, sondern gegen eine überlebensgroße Saddam-Statue. Mit einem Stahlseil wurde das Monument von Sockel gerissen. Mehrere Fernsehsender erklärten den Krieg zu diesem Zeitpunkt für gewonnen und den irakischen Diktator nach fast einem Vierteljahrhundert für entmachtet.

Der Autor dieses Textes hat an diesem Nachmittag in der Arbeitspause zweimal den Link zum Kriegs-Chatroom bei www.sina.com.cn angeklickt. Wie schon immer wurde dort heftig diskutiert. Natürlich geht es in diesem "Raum" um den Irak-Krieg, aber nicht nur. Die Diskussionen waren ziemlich interessant, daher habe ich sofort ein paar Seiten ausgedruckt. In diesem Sinne hat dieser Text eigentlich zahlreiche anonyme Autoren; und man kann ihn de facto als eine Übersetzung betrachten. Die Aufzeichnung ist authentisch, nur stellenweise wurden geringfügige Umstellungen - hinsichtlich der Reihenfolge - mancher Aussagen vorgenommen, damit der Zusammenhang noch deutlicher wird:

  1. Eben sah man im Fernsehen, wie ein alter Mann in Bagdad mit seiner Schuhsohle ein Saddam-Bild ohrfeigte!
  2. Hmm, ich hätt's auch getan, wenn man mir 10 US$ geben würde.
  3. Ich will 20!
  4. Bei 5 US$ tue ich's schon.
  5. Kannst du auch Arabisch? Der Mann hat dabei noch was geschrien...
  6. Wenn es ein Bush-Abbild wäre, würde die Schlange der Wartenden die Erde umkreisen.
  7. Bush würde nie sein Bild überall hängen lassen. Der Saddam ist geschmacklos.
  8. Der Volkswille der Irakis kommt nun zum Ausdruck und zeigt uns, was es heißt, Diktator zu sein.
  9. Das Volk sieht alles!

  1. Ist nun der Krieg schon zu Ende?
  2. Warte nicht mehr auf Spannung!! Welche Spannung war spannend?
  3. Lach mich nicht immerzu aus.
  4. Auslachen, ja! Diese lächerlichen Militärexperten analysierten gerade erst, wann der Kampf um Bagdad beginnen sollte... und heute ist der Krieg schon fast vorbei.
  5. Tja, ist wirklich der merkwürdigste Krieg in der Menschheitsgeschichte.
  6. Weißt du was? Das Kräfteverhältnis zwischen Saddam und den Alliierten ist vielleicht 100:1.
  7. Sorry, es ist 1:100.
  8. Leider, ihre Einschaltquoten werden wieder sinken.
  9. Wo ist Saddam?
  10. Schon befreit!
  11. Saddam könnte wie Ben Laden sein: live und lässt sich nicht blicken, dead aber keine Leiche.

  1. Ein irakisches Kind tritt gerade auf das Plakat von Saddam.
  2. Das nennt man 'Happening'.
  3. Im Filmedrehen sind die Amerikaner sowieso zu Hause. Jedes Jahr kriegen sie den "Oscar" für die beste Regie.
  4. Die Amerikaner machen oft aus ihrer Flagge ein Höschen, hast du das nie gehört?

  1. Eben sagte ein Bewohner in Bagdad zu einem amerikanischen Soldaten: "Warum hat es so lang gedauert? Was hat euch aufgehalten?"
  2. "Sars", antwortete der GI.
  3. Wie die Einwohner in Bagdad die Amerikaner willkommen heißen, das ist viel aussagekräftiger als in Basra!
  4. Hast du das denn mit eigenen Augen gesehen? Das ist amerikanischer Medienkrieg, nur Lügen.
  5. BBC sendet das gerade, und nicht zum ersten Mal.
  6. Seid ihr doof?! Es wurde doch schon längst ausgeplaudert, wie die Amerikaner die Kuwaitis gebeten haben, als Gefangene zu schauspielern. Schon am ersten Tag!
  7. DAS ist die "Pressefreiheit", die die Amerikaner an die große Glocke hängen.
  8. Amerikanische Pressefreiheit: im Vergleich zu den Fortgeschrittenen - mangelhaft! Mit uns verglichen aber durchaus zufriedenstellend!
  9. Du Stinker, ist es nötig, dass du deine Kriecherei so zeigst?
  10. Ein ganz einfaches Beispiel, hast du irgendwann mal eine andere Meinung bei CCTV [China Central Television] gehört?
  11. Hörst du das etwa in Amerika?
  12. Ich sag euch: richtige Freiheit gibt es erst im Paradies. Die Amerikaner sind gerade dabei, der ganzen Welt die Freiheit zu schenken.
  13. Wer möchte schon die Freiheit von Amerika haben?
  14. Es lebe die Freiheit!
  15. Du Anhängsel von Amerika! Wir brauchen das nicht, dass ihr für unsere Freiheit kämpft. Die herrischen Mandarine werden uns schon Freiheit geben.

Wie überall in der Welt sind die Teilnehmer in den chinesischen Chaträumen auch anonym, aber die Pseudonyme dort verraten normalerweise schon den Standpunkt des jeweiligen Teilnehmers - manchmal im ironischen Sinne. Die heißen selten Zhang oder Yang, sondern ganz anders. Originelle Namen sind gefragt. An diesem Nachmittag sah der Autor in dem besuchten Chatroom Namen wie "Saddams Vater", "US-GI", "3. US-Infanterie", "Bush ist ein Strohhund", "usa11.9Laden", "Antiterrorist", "Enthauptungsschlag", "Zungenfertiger", "freiwilliger Saddamverteidiger", "Wolken der Freiheit", "Ferner Drache", "Schimmelpilz" [chinesisch: meijun, gleichzeitig ein Homonym für "amerikanische Armee"], "Das Rote Kreuz in der Wüste", "Räuber im Irak", "101. Luftlandedivision", "Ich fürchte nichts, da ich an Nichts glaube", "Beschwichtiger", "Forum ist meine Wohnung", "Achse des Bösen", "Es lebe China2003", "Ich möchte auch was sagen", "Ich bin für unsere Regierung", "Büro für die Vernichtung Saddams", "Sars" usw.

Natürlich sieht man noch sehr viele andere Namen, die zum Teil sogar ziemlich literarisch klingen. Jeder will seine Meinung kundtun und, wenn möglich, im Chatroom auch durchsetzen:

  1. Amerika ist ziemlich demokratisch, und wir haben ja auch Sehnsucht nach Demokratie. Warum haben wir keine gemeinsame Sprache?
  2. Normalerweise sind die Menschen ja unzufrieden mit dem Despotismus. Warum eigentlich inzwischen auch mit der Demokratie?
  3. Kann jemand bitte mal Demokratie definieren?
  4. Mit ein paar Sätzen kann man es schlecht erklären, aber eins ist sicher...
  5. Entspricht die Invasion von Bush dem demokratischen Verfahren?
  6. Selbstverständlich, sonst hätte er sich in den USA nicht durchgesetzt.
  7. Du Blödmann! Kannst du nationale Angelegenheiten nicht von internationalen unterscheiden?
  8. Im Interesse des eigenen Landes! Was hat das mit anderen zu tun?
  9. Gut. Dann kann ich dich ja ruhig schlagen. Das geht andere nichts an?!
  10. Es gibt eine menschliche Logik, es gibt aber auch eine Logik von Räubern. Nützt es was, dass ihr so diskutiert?

  1. Dann über was Anderes. Jetzt werden Ferngläser teurer. Das Fernglas wird eine der sieben wichtigen Waffen sein.
  2. Warum? Ich versteh's nicht.
  3. Die Tötung der Journalisten soll eigentlich nur erreichen, dass sie alle abhauen und niemand dann von dem kommenden Massaker weiß.
  4. Das ist Terrorismus.
  5. Die Stadtbevölkerung niedermetzeln! Das ist der Grund, warum man nun auf Journalisten schießt.
  6. Bush veranschaulicht gerade die Definition von Terrorismus - vor den Augen der ganzen Welt!
  7. Menschen zerfetzen! Und versteht noch nicht, warum die anderen Widerstand leisten. Das ist Gerechtigkeit.
  8. Gerechtigkeit gibt es vielleicht nur im Märchen.
  9. Amerika, Amerika, du bist die Verkörperung der Gerechtigkeit.
  10. Seit eh und je ist Krieg barbarisch.
  11. Krieg hat auch eine herrliche Seite und zeugt von aller Intelligenz der Menschheit.
  12. Und der Krieg zeugt so auch einen neurotischen Menschen wie dich.
  13. Auch ohne Krieg bist du schon neurotisch.

  1. Wie schön, der Apache-Kampfhubschrauber.
  2. China hat 1,3 Milliarden Menschen. Wenn jeder nur 2 Yuan spart... wie viele Apaches hätten wir dann?
  3. Ist komisch, diese Rechnungsweise.
  4. Ist doch nicht nötig.
  5. Doch! In China gibt es so viele korrupte Kader. Wenn jeder nur einmal weniger trinken würde, wie viele Apaches hätte man dann?!
  6. DAS höre ich gern, nur die Korrumpierten hören es ungern.

  1. Wenn man mächtig sein will, muss man von den USA lernen.
  2. Wunderbar... zuerst Taiwan zurückerobern, dann Japan vernichten.
  3. Kann man nicht friedlich zusammenleben?!
  4. Einverstanden!
  5. Lernten wir von Amerika, würden wir schließlich zu Halbmenschen degenerieren, ja zum Halbtier.
  6. Wenn die anderen besser sind, sollen wir natürlich von anderen lernen.
  7. Was ist da besser?
  8. Wäre Amerika ein halbes Tier, dann wäre China das Tier par excellence!
  9. China ist ein Drache.

  1. Saddam scheint wirklich geschlagen zu sein. Selbst Sahhaf ist heute zum ersten Mal nicht erschienen.
  2. Werden sie gefangen genommen?
  3. Heute früh habe ich noch gehört, wie Sahhaf die Alliierten zur Kapitulation aufrief.
  4. Der Speichel von Sahhaf kann ohne Problem zwei Divisionen ertränken.
  5. Ich vermisse ihn.
  6. Im Vergleich zu Sahhaf ist der amerikanische Militärsprecher wie ein Roboter.
  7. Natürlich. Sahhaf braucht nicht zu wissen, was draußen passiert ist. Er braucht nicht zu denken, muss nur sprechen.
  8. Sahhaf ist ein Mann, ja ein Held! Guck mal den amerikanischen Militärsprecher an...
  9. Wen meinst du?
  10. Den Afroamerikaner [Brigadegeneral Brooks]. Wie ein Prügelknabe, immer mit dem gesenkten Kopf...
  11. Richtig! Schlapp und träge, rattengesichtig. Als ob er überhaupt kein Selbstwertgefühl hätte...
  12. Wenn Sahhaf einen Bart hätte... wäre der dann die schärfste Sache der Welt?
  13. Ich denke, weltweit hat Bush das dickste Fell.
  14. Sahhafs Bart gegen Bushs Fell, was ist stärker?

  1. Wie viele Menschen in der Welt (abgesehen von den kriegführenden Nationen) sind eigentlich für den Krieg?
  2. Kommt drauf an, wie man rechnet... Nach der amerikanischen Statistik...
  3. Die USA haben schon einen Fiskus made in Japan, nun wollen sie noch ein Öldepot im Irak.
  4. Der größte Kriegsverbrecher in der heutigen Welt ist: Saddam? No! Bush, Blair...
  5. Die amerikanischen Teufel werden schon die Strafe Gottes erfahren - Ist der 11. September nur ein Aperitif?
  6. Wenn ich jetzt sagen würde, dass du ein Schwein bist, wäre das eine große Verleumdung aller Schweine in der Welt.

Der Chatroom - angeblich ist es ein innovativer Weg, der zu gesteigertem Austausch jede Möglichkeit bietet. Man hat im Cyberspace nicht nur virtuelle Mitspracherechte, man hat oft ein geradezu animalisches Vergnügen an "Kommunikation". Halbmensch? Halbtier? Man diskutiert weiter:

  1. Manche sagen: lieber ein amerikanischer Pudel als ein Chinese.
  2. Zhang Xiaolin, mein Rat ist, dass du nach Amerika auswandern solltest.
  3. Haha, ich arbeite ja in den USA.
  4. Waa-haha, JETZT kapieren wir's endlich.
  5. Was heißt kapieren? Ich arbeite doch nicht in der Regierung.
  6. Du als Amerikaner, ich bewundere dich, so was zu sagen.
  7. Ich hoffe, dass ihr in bezug auf das staatliche Interesse China verteidigt, aber die Ideen... ja amerikanische Ideen...
  8. Leute, versucht nicht, die Amerikaner von etwas zu überzeugen.
  9. Richtig, ist genau so schwer wie bei den Chinesen.
  10. Ich tue meinen Job in den USA, aber noch bin ich kein amerikanischer Staatsbürger.
  11. Bemühe dich!
  12. Wenn man noch in China ist, soll man das Vaterland lieben. Aber, man soll sich schon um eine Greencard bemühen, wenn man bereits im Ausland ist.
  13. Wie man sieht, strengst du dich gerade an.
  14. Ich bin am Montag anti-amerikanisch, am Dienstag gehe ich wie geplant zum amerikanischen Konsulat, um ein Visum zu beantragen. Was gibt's daran auszusetzen?
  15. Uncle Sam Amerika: Entweder lass mich auswandern, oder komm mich befreien.
  16. Zhang Xiaolin, warum gehst du nicht in die Armee? Es ist doch kein Geheimnis, dass die Latinos in der amerikanischen Armee diesmal gern in den Golfkrieg ziehen, weil sie nach der Rückkehr aus dem Irak sehr leicht eine Greencard bekommen können.
  17. Ja richtig, Zhang Xiaolin. Bist du für den Krieg?
  18. Ja, selbstverständlich! Könnt ihr nicht einsehen, dass im Nahen Osten das erste demokratische Land entstehen wird?
  19. Nee nee, kann ich nich' einsehen. Ich hab gehört, Ben Laden ist ein paar Jahre mit den Amerikanern zurechtgekommen und man antwortete dann mit der Bombe...

  1. Ich habe auch gehört, dass Journalist ein faszinierender Beruf ist. Aber in meinen Augen hasst der Shui [CCTV-Korrespondent im Irak] DEN !
  2. Jaaa, man hat eine glänzende Zukunft!
  3. Du, behalte deinen Job.
  4. Journalisten sind...
  5. Du meinst im Ausland!?
  6. Shui ist nun sogar erschienen im Senderraum von CCTV. Schämt er sich nicht?
  7. Die ausländischen Korrespondenten befinden sich gerade im Kugelregen. Wo sind die Chinesen???
  8. Du kannst es beantragen.
  9. Er könnte nur beobachten, aber nichts schreiben.
  10. Gestern habe ich im Fernsehen tatsächlich Shui Junyi gesehen. So alt geworden, aber heil und gesund zurückgekommen.
  11. Ja, so alt wie China. Er hat das Gesicht Chinas verloren!!!
  12. Spaß bei Seite! In einem anderen Chatroom fragte einer: Sars... Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass es sich hier um einen Test einer amerikanischen Biowaffe handelt?

  1. Ein Phönix [Hongkonger Sender]-Bericht: Im Irak herrscht totales Chaos. Anarchie!
  2. Die Amerikaner nennen das Freiheit!
  3. Jetzt kapiere ich, warum unter uns immer noch so viele für den Krieg sind. Ja, ja, sie sind unzufrieden mit der eigenen Regierung und der Realität, sie sind extreme Anarchisten.
  4. Amerika blockiert Nachrichten, sagt aber, dass die anderen keine Pressefreiheit haben.
  5. Keine Propaganda mehr. Alle packen tüchtig an! Vernichte Amerika!
  6. Was hat das mit mir zu tun? Übrigens bin ich doch kein außerirdisches Wesen. Wie schafft man es denn, Amerika zu vernichten?
  7. Dann doch lieber Propaganda, ganz laut: damit die Außerirdischen kommen und Amerika vernichten...

Man sieht: auch Vernichtungswünsche kursieren in den chinesischen Chatrooms. Gespeist aus einem Gemisch von Angst und Aggression, sind sie nicht unähnlich den "Kill Saddam"-Schlagzeilen der westlichen Massenpresse oder manchen Kommentaren von US-Soldaten wie "Löscht die Kameltreiber nuklear aus" und "Macht einen Parkplatz aus Irak".

Aber zum Glück werden sie, mindestens durch den Hinweis auf die realen Kräfteverhältnisse, sofort hinterfragt. Der Lächerlichkeit preisgegeben, sind sie Teil eines ungeheuer lebendigen, vielfältigen Dialogs, den es so vorher in der chinesischen Öffentlichkeit lange nicht gab.

(Weigui Fang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des medienwissenschaftlich-sinologischen Forschungsprojekts "Das Internet in China" an der Universität Trier)