"Alien-Leichen" im Parlament von Mexiko– was war da denn los?

Präsentation der zweifelhaften Mumien während der UFO-Anhörung vor dem mexikanischen Abgeordnetenkammer. Bild: Canal del Congreso México (Screenshot)

Anhörung in Abgeordnetenhaus von fragwürdigen Akteuren gekapert. Wie es dazu kam. Und was eigentlich auf der Agenda stand.

Eine öffentliche Anhörung im Abgeordnetenhaus des mexikanischen Parlaments hat in der vergangenen Woche für weltweites Medieninteresse gesorgt, aber auch für Kritik aus den Reihen der UFO-Forschung. Der Grund: Die Veranstaltung wurde von einigen Teilnehmern dazu genutzt, das eigentliche Thema "Unidentifizierte Flugobjekte und Phänomene im mexikanischen Luftraum" mit fragwürdigen Behauptungen rund um angebliche "nichtmenschliche Mumien" zu vermengen.

Dieses Vorgehen stieß selbst bei einigen der eingeladenen Teilnehmer auf Irritation und Unverständnis. Einige UFO-Forscher sprachen sogar von einem herben Rückschlag in ihrem Bemühen um einen seriösen und wissenschaftlichen Umgang mit ihrem Thema.

Am 12. September hatte das mexikanische Abgeordnetenhaus, die Cámera de Diputados, eine öffentliche Anhörung zum Thema eingeladen. Anwesend waren Experten aus Wissenschaft und Luftfahrt aus den USA und Mexiko.

Eingeladen waren unter anderem der Harvard-Astronom Avi Loeb, der von der Suche nach außerirdischen Objekten in der Atmosphäre und im Sonnensystem im Rahmen seines "Galileo Projects" berichtete, jedoch nur online zugeschaltet war.

Zudem trat der ehemalige US-Navy-Pilot und UFO-Zeuge Ryan Graves auf, der schon zuvor in der UFO-Anhörung vor dem US-Repräsentantenhaus ausgesagt hatte und der zivilen Militärpiloten-Organisation "Americans for Safe Aerospace" vorsteht, die sich mit der Untersuchung von UFO/UAP-Sichtungen durch Piloten und Fragen der damit einhergehen Flugsicherheit befasst.

Eingeladen war auch Michael Vaillant, französischer UFO-Forscher von der staatlichen französischen UFO-Untersuchungsgruppe Geipan und der ehemalige US-Luftwaffenoffizier Robert Salas, der seit Jahren UFO-Sichtungen über Atomstützpunkten der USA erforscht und Vertreter mexikanischer Fluglotsen sowie südamerikanischer ziviler wie staatlicher UFO-Forschungsorganisationen.

Sie alle waren darum bemüht, die jüngsten Ergebnisse ihrer Untersuchungen und laufenden Forschungsprojekte zu unidentifizierten Flugobjekten und anomalen Phänomenen im Luftraum möglichst sachlich zu präsentieren. "Das Ziel der Anhörung war es, Piloten, Abgeordnete und Wissenschaftler anzuhören, um Gesetzgebungsmaßnahmen in Mexiko im Hinblick auf die sichere Luft- und Raumfahrt zu ändern", so der brasilianische Journalist Ronny Vernet.

"Alien-Leichen" im mexikanischen Kongress

Gegen Ende der Veranstaltung nahm die Veranstaltung jedoch eine selbst für einige der anwesenden Gäste unerwartete Wendung, als der mexikanische UFO-Journalist Jaime Maussan, unterstützt durch Vorträge seines Kollegen Jois Mantilla, des Forensikers José Benitez und Ricardo Rangel Martinez, eines Experten für Immunogenetik und Histokompatibilität, zwei angeblich mumifizierte Körper kleiner, humanoider, aber offensichtlich nicht menschlicher Wesen präsentierte.

Zu diesen Exponaten erklärten die Referenten, dass "wissenschaftliche Analysen" ihre Echtheit beweisen würden und es sich nicht um Fälschungen, sondern um Beweise für "nichtmenschliche Wesen" handele, "die nicht Teil unserer menschlichen Evolution sind".

Was diese Mumien, unabhängig von der Frage ihrer Natur und Herkunft, konkret mit dem eigentlichen Thema der Veranstaltung zu tun haben, blieb unklar.

Das Problem: Obgleich Maussan, Martinez und Benitez also die nichtmenschliche Natur und Herkunft dieser Körper als wissenschaftlich gesichert darstellten, sind diese sogenannten Mumien tatsächlich alles andere als wissenschaftlich gesicherte Beweise für außerirdisches Leben auf der Erde.

Die beiden gezeigten Exponate sind in Wirklichkeit nur zwei von mehreren angeblichen Funden, die vor Jahren in der Nähe der Hochebene von Nazca in Peru gemacht worden sein sollen, weshalb die Mumien auch als "Weiße Mumien von Nazca" bekannt wurden.

Während sich Maussan und seine Kollegen auf wissenschaftliche Untersuchungen berufen, zeigen frühere, vielfältige und detaillierte Analysen – die er freilich nicht zitierte –, dass es sich vielmehr um zum Teil plumpe Fabrikate aus tierischen und menschlichen Geweben handelt, die zum Teil anatomisch falsch und bewegungsmechanisch unmöglich zusammengeklebt und zerschnitten wurden, um das angeblich charakteristische außerirdische Aussehen zu erhalten.

Maussan selbst blickt auf eine lange Geschichte ähnlicher "Alien-Behauptungen" zurück, die sich bisher immer als fehlgedeutete archäologische Funde (z.B. die einer indigenen Anasazi-Mumie in einem US-Museum) herausstellten, die er als "Leiche eines Außerirdischen von Roswell" präsentierte.

Keine politische Anhörung

Zunächst gilt es jedoch, die Form dieser mehrstündigen Veranstaltung am 12. September 2023 richtig einzuordnen: Zwar handelte es sich tatsächlich um eine offizielle Veranstaltung des mexikanischen Abgeordnetenhauses, doch ist die Veranstaltung nicht mit den bisherigen Anhörungen vor Ausschüssen des US-Kongresses zu vergleichen.

Die Veranstaltung in Mexiko-Stadt wurde maßgeblich von Privatpersonen organisiert und eben nicht von einer Behörde oder – wie unlängst in den USA – einem politischen Ausschuss. Es handelte sich also eher um eine Art öffentliches Podium mit Vorträgen als um eine politische Veranstaltung oder gar eine Anhörung vor einem politischen Ausschuss.

Es ist daher festzuhalten, dass auch die hier von den mexikanischen Anwesenden vorgetragenen Statements keine offizielle Position der mexikanischen Regierung darstellen, auch wenn dies mancherorts im Internet anders kolportiert worden ist.

Unverständnis und Kritik der Anwesenden

Tatsächlich stieß die unerwartete Präsentation der beiden "Mumien" durch Maussan und seine Kollegen nicht nur bei vielen mit der Materie vertrauten Beobachtern, sondern auch bei einigen der anwesenden Redner auf Unverständnis.

Während Robert Salas nach wie vor von der Echtheit der "Mumien" überzeugt ist und dies auch auf seiner Website und in sozialen Kanälen kundtut, nimmt Prof. Avi Loeb eine deutlich distanziertere Haltung ein und erklärte gegenüber der Seite Grenzwissenschaft-Aktuell.de:

Ich habe 15 Minuten online über das Galileo-Projekt gesprochen und dann 5 Minuten später einen Vortrag im Smithsonian gehalten. Ich bin nicht verantwortlich für das, was die anderen Redner gesagt haben.

Ähnlich positioniert sich auch Michael Vaillant: "Ich bin sehr skeptisch, aber ich bin in keinster Weise in diese Behauptungen involviert! Ich war dort, um meine Erfahrungen im Kontext der Erforschung von UFO-Fällen in Frankreich zu präsentieren. Ich bleibe jedoch offen, solange ich selbst nicht mehr über diese Vorfälle weiß, und würde gerne eine unabhängige Prüfung sehen."

Ryan Graves brachte seine Entrüstung wie folgt auf den Punkt:

"Nach der UFO-Anhörung im US-Kongress habe ich eine Einladung angenommen, vor dem mexikanischen Kongress auszusagen, in der Hoffnung, das Momentum des Interesses der Regierung an den Erfahrungen von Piloten mit UAP aufrechtzuerhalten. Leider war die gestrige Demonstration ein großer Rückschritt für dieses Thema. Meine Aussage konzentrierte sich darauf, meine Erfahrungen und die UAP-Berichte, die ich von kommerziellen und militärischen Flugzeugbesatzungen durch das ASA-Zeugen-Programm erhalte, zu teilen. Ich werde weiterhin das Bewusstsein für UAP als eine dringende Angelegenheit der Luft- und Raumfahrtsicherheit, nationalen Sicherheit und Wissenschaft fördern. Von den Ereignissen in Mexiko, wo all dies für eine wissenschaftlich unbegründeten Inszenierung geopfert wurde, bin ich zutiefst enttäuscht."

Der Seti-Astronom Bruce R. Fenton, Direktor der "Alien Technosignatures Research Group" (nicht Teilnehmer der Veranstaltung), bringt die Einschätzungen und Enttäuschung vieler, UFO-Forscher und am Thema ernsthaft interessierter Wissenschaftler in einem Tweet auf den Punkt: "Es ist nichts Geringeres als eine Katastrophe für die Ufologie und der Forschung nach Außerirdischen. So wird die Stigmatisierung dieser Forschungsfelder in großem Maßstab vorangetrieben."

Andreas Müller, Jahrgang 1976, studierte Kommunikationsdesign an der HBK Saar und arbeitet als Journalist mit Schwerpunkt anomalistischer Phänomene. Er ist Herausgeber des Nachrichtenportals GrenzWissenschaft-Aktuell.de, assoziiertes Mitglied am Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) an der Universität Würzburg, der Society for UAP Studies (SUAPS) und Autor des 2021 erschienen Buches Deutschlands Ufo-Akten – Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Thema in Deutschland. Sein aktuelles Buch Deutschlands historische UFO-Akten erschien im Juli 2023.

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