"Alien: Romulus": Schleimig, böse, unkaputtbar
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Der Feind in uns: Die Alien-Filmreihe zeigt Bilder des Schreckens und formuliert unsere eigene Frage als Gestalt. Für Fans der frühen Filme, wie für eine neue Kinogeneration.
Das schlimmste Monster der Kinogeschichte kehrt zurück: "Alien" hat 1979 einen unauslöschlichen Eindruck in der Popkultur hinterlassen. Eine ganze Generation von Science-Fiction-Horrorfans wurde in Angst und Schrecken versetzt.
Ein Monster, das nie sterben wird
Unter der Regie von Ridley Scott, der damals vor allem für seine Werbespots bekannt war, und mit der damals noch unbekannten Schauspielerin Sigourney Weaver in der Hauptrolle, übertraf der Film seine bescheidenen Ursprünge und schockierte und verstörte das Publikum bei seinem ersten Erscheinen.
Der Erfolg des Films führte zu drei direkten Fortsetzungen, zwei Prequels, einem "Mashup"-Franchise, und konnte doch nie ganz an den ersten Film anknüpfen. Das versucht nun "Alien: Romulus".
Horror Vacui: "Im Weltraum hört dich niemand schreien"
Mit absoluter Stille geht alles los: Keine friedliche Stille, sondern richtige Stille. Sehr böse und sehr gnadenlos; Horror Vacui. "Im Weltraum hört dich niemand schreien" – mit diesem Slogan warb der Verleih schon für den ersten "Alien"-Film, und vor allem atmosphärisch knüpft "Alien: Romulus" an Ridley Scotts Klassiker von 1979 an.
Dort im All zeigen die ersten Sekunden des Films ein Raumschiff, das offenbar die Überreste der "Nostromo", dem Raumschiff des ersten "Alien"-Films eingesammelt hat. Dann, plötzlich rattern im dunklen, kalten Weltraum die Bildschirme der Computer los – doch das signalisiert nicht etwa das Ende des Schlafs der Vernunft in diesem Film, sondern im Gegenteil die Geburt neuer Ungeheuer.
Dystopie mit Gen Z
Zuvor stellt der Film in den ersten 15 Minuten eine Handvoll Menschen vor. Die zentrale unter ihnen ist eine Vollwaise: Sie heißt Rain und soll die neue Ellen Ripley werden. Der erste Schnitt nach der Exposition im Weltall führt direkt auf ihr Gesicht – ein strahlender Auftritt.
Im Traum sitzt sie auf einem Bergrücken inmitten einer sonnenbeschienenen Gebirgslandschaft, wie sie sie in der Wirklichkeit noch nie gesehen hat – offenkundig ist dies ein Traumbild, das Rain sofort als strahlende Heldin und Hauptfigur inthronisiert –, der sich zwar leider als Traumsequenz entpuppen wird und doch den romantischen Kern berührt, der allem "Alien"-Filmen innewohnt, und der so das Publikum zum Komplizen ihrer Träume macht.
Denn Rain ist Teil eines Weltraum-Proletariats, das als Arbeitssklaven auf einer gottverlassenen Minenkolonie, 65 Lichtjahre von der Erde entfernt und ohne Sonnenlicht, sein Dasein fristet. Die ersten Minuten des Films erzählen von einer dystopischen Welt, die an "Blade Runner" erinnert, in der Ausbeutung universal ist und Freiheit nur eine Behauptung.
Diese Heldin wird von Cailee Spaeny gespielt, der neuen großen Entdeckung des englischsprachigen Kinos – letztes Jahr machte Sofia Coppola sie in "Priscilla" aus dem Nichts zum Star, danach spielte sie die Hauptrolle in "Civil War" an der Seite von Kirsten Dunst, und auch in diesem Fall lohnt allein schon ihr starker Auftritt den Besuch des Films.
Rains engster Gefährte ist Andy, ihr "Bruder", wie sie ihn nennt, der sich schnell als Android entpuppt. Die beiden begegnen vier weiteren Freunden, allesamt Proletarier-Kinder, ziemlich jung und divers, die auch sonst für eine "Generation Z" im Orbit stehen.
Zwanzigjährige ohne klare Zukunftsperspektive, die Zwang und Macht der Unternehmen fast hilflos ausgesetzt sind, und nicht so werden wollen, wie ihre Eltern (das immerhin werden sie auch nicht). Darum sehen sie ein herrenlos durch den Weltraum trudelndes Raumschiff als ihre Chance, um der Ausbeutung zu entkommen. Sie wissen ja nicht, was sie dort erwartet.
Unfassbar, glitschig, fies und schwarz: ein Monster, das nie sterben wird
Das Publikum hingegen weiß seit dem ersten Film dieser unnachahmlichen Filmreihe, was ihm bevorsteht: Ein perfektes Monster, entsprungen aus unserem Unterbewusstsein, dessen komplettes Arsenal an Perversionen, an Grauenerregendem, Erschütterndem, Widerlichen in diesem unfassbaren, glitschigen, schwarzen Etwas gebündelt zu werden scheint; ein Monster, das nie sterben wird, sondern ewig wiederkehren in immer neuen Variationen; so fies, so böse, so ungreifbar, wie es die Kinogeschichte zuvor noch nie gesehen hatte.
Schon äußerlich ist dieses "Alien", das begrifflich zwar für das Fremde, das ganz Andere, Außerirdische steht, das nichtmenschliche Äußere, doch vor allem der Ausdruck allzumenschlicher Schreckensvorstellungen: der irrationalen Urängste, die unser eigenes Unterbewusstes erzeugen kann.
Eine Mischung aus Krake, Schlange und Spinne, rasend schnell wie eine Ratte, ausgestattet mit den scharfen Zähnen eines Piranhas, glitschig und sabbernd. Das Alien sabbert allerdings eine ätzende Säure.
Natürlich fasst das alles auch andere menschliche Urängste zusammen: Es ist ein Wesen, das in den Menschen eindringt, sich dort fortpflanzt, ein Parasit, der aus uns zu einem Wirtstier degradiert.
Dieses unfassbare, extrem wandlungs- und anpassungsfähige "Alien" steht aber auch für vieles andere: Es ist Natur pur und reine Kraft, Monster gewordener Fortpflanzungstrieb; Psychoanalytiker vergleichen das Monster auch wahlweise mit einem Penis oder einer "Vagina dentata". Schon in den 1980er-Jahren entdeckten Kulturwissenschaftler hier eine Aids-Metapher, und heute kommen Erinnerungen an die Pandemie auf.
Opferstatus: Kein surviver, sondern final girl: "I’m a stranger here myself"
Und "Alien" ist natürlich eine feministische Reihe: Denn das "Alien" ist ein weibliches Muttertier, das Eier legt, und in der von Sigourney Weaver großartig gespielten Weltraumfahrerin Ripley eine ebenbürtige Gegenspielerin hat, die sie bald als Alter Ego erkennt. Nicht zuletzt, weil sie beide Mütter sind oder werden.
Wobei das Alien-Wesen ein Hermaphrodit ist und die Fähigkeit zur Sebstbefruchtung besitzt.
Der Computer des ersten Films heißt übrigens schon "Mother" – und es ist wahrscheinlich ein paar Leuten aufgefallen, dass man das auch "(M)Other" schreiben kann.
Ellen Ripley wurde so oder so zu einer weiblichen Ikone, zum Vorbild für Empowerment, für zahllose Frauen, die als Polizistinnen oder Soldatinnen oder einfach Menschen das Böse bekämpfen, und dabei alles das tun, was Männer im Kino schon lange tun durften.
Zugleich sind die brutalsten Momente in Ripleys Film-Existenz nicht die Kämpfe mit dem Monster, sondern die Konfrontationen mit sich selbst. In Jean-Pierre Jeunets "Alien Ressurection" gibt es eine Szene, in der Ripley die von den Toten durch ein Klonexperiment auferstanden ist, den ersten sieben Exemplaren jener Klon-Sequenz begegnet, deren achter Versuch erst geglückt ist.
Konfrontiert mit ihren verdrehten Doppelgängern erkennt sich ihre zerstörte Individualität und muss begreifen, dass Identität allenfalls beim Blick in den Spiegel existiert.
Ripley ist immer wieder eine Überlebende, das Vorbild weniger für die "Surviver", die heute in den sozialen Netzwerken ihren Opferstatus ein wenig zu eitel zur Schau tragen, als für jene "Final Girls", die "Last Women Standing", die etwa zur gleichen Zeit in den "American Nightmare"-Movies von John Carpenter, Wes Craven und George A. Romero auftauchten.
Sie waren die Einzigen, die es mit den Monstern aufnahmen – auch weil sie verweigerten, zum Opfer zu werden, oder sich diesen Status zuzuschreiben, weil sie stattdessen den Mut hatten, ihr Täter-sein, – gut katholisch gesprochen: ihre Erbsünde – anzunehmen und eigene Schuld, notwendiges Schuldig-werden qua Existenz anzuerkennen.
Diese Film-Frauen riefen nicht "Me Too!", sondern den viel ergreifenderen Ripley-Satz: "I’m a stranger here myself."
Nette unbedarfte Menschen zum Fraß vorwerfen
Man weiß auch, dass der Film diesem Monster nette, unbedarfte Menschen – und auch ein paar weniger nette, die es vielleicht sogar verdient haben –, im halben Dutzend zum Fraß vorwerfen wird, und dass da eine Heldin kommen wird – diesmal eben besagte Rain –, die sich ihm entgegenstellt, und zumindest für diesen Film das apokalyptische Ende aufhält, das in der "Alien"-Reihe irgendwann notwendig bevorzustehen scheint.
Die Tatsache, dass das Publikum auf so vieles vorbereitet ist, und erwartet, was in diesem Film früher oder später passieren dürfte, und dass das Auftauchen und Zuschlagen der Monster die Zuschauer zwar für Sekundenbruchteile schockieren wird, dass die Erwartung ein Grauen und Erschauern aufkommen lässt, aber – denn man weiß ja schon ungefähr, was kommen wird – niemals die große Angst vor dem Unbekannten, die den ersten Film zu einer unvergleichbaren Erfahrung machte.
Dafür macht dieser Film, bei dem Fede Alvarez Regie führte, seine Sache erstaunlich gut. Alvarez ist ein Uruguayaner in Hollywood, der sich durch smarte B-Movies ("Evil Dead" von 2013 und "Don't Breathe" von 2016) empfohlen, aber die Filmgeschichte bisher nicht neu erfunden hat.
Das tut er auch in diesem Fall nicht. Es wäre wohl auch etwas zu viel verlangt, denn schließlich erwartet man, von einem "Alien"-Film, dass genau das passiert, was der Titel auf dem Kinoplakat schon suggeriert.
Trotzdem versucht der Film, die Handlung auf kluge Weise etwas aufzupeppen: Mit seiner Ausgangsgeschichte erinnert Alvarez, der auch das Drehbuch schrieb, daran, dass das zweite Monster der "Alien"-Stories immer Kapitalismus und Ausbeutung gewesen sind, und dass die Filme von der Macht überstaatlicher Unternehmen erzählen, die nicht weniger triebhaft zum Monster werden wie das Alien-Viech.
Im Zweifelsfall auch Menschen opfern
Auch in "Alien: Romulus" spielt dieses zweite Monster wieder eine wichtige Rolle. Zunächst passiert das Erwartbare: Die Gruppe der sechs Weltraumflüchtlinge kommt auf der herrenlosen "Romulus" an. Sie hoffen, mithilfe des Raumschiffs und der dort vorhandenen Kryokapseln die lange Reise zurück zur Erde antreten und dort ein neues, besseres Leben anfangen zu können.
Doch schnell wird klar, dass zwei Mächte auf diesem Raumschiff überlebt haben: Das "Alien"-Monster, das durch recht unbedarftes Verhalten der Neulinge – ein Stereotyp vieler Filme und eine Drehbuchschwäche, die die Glaubwürdigkeit der Charaktere erschüttert, – zum Leben erweckt wird.
Und auf der anderen Seite der androide Roboter Ash aus dem ersten Film, und wieder in einer fehlerlosen digitalen Animation vom 2020 verstorbenen Ian Holm verkörpert. Ash gibt den Neuankömmlingen wertvolle Hinweise auf die drohende Gefahr, entpuppt sich aber schnell als Maschine, die nicht auf das Überleben der Menschen, sondern das "Corporate Interest" des Konzerns hin programmiert ist, dem im Zweifelsfall auch alle Menschenleben an Bord geopfert werden.
Wenn die Menschen "zu schwach" und "zu fragil" sind ...
Damit erneuert dieser Film auch das aus "2001 - Odyssee im Weltall" bekannte Motiv eines Computers, der mächtiger ist als die Menschen und sie in Lebensgefahr bringt, um seine "Mission" zu erfüllen – der allerdings diese menschenfeindliche Mission auch in längeren Ausführungen positivistisch und zweckrational begründet.
Im Fall von Ash führt das zu einer kleinen Theorie des Fortschritts, die auf Kontrolle und Disziplinierung setzt, "nicht auf die Evolution warten kann", und der die Menschen als "zu schwach" und "zu fragil" erscheinen.
So handelt "Alien Romulus" unter anderem auch vom Verhältnis von Mensch und KI, und von Evolution: Der Film verortet die Urangst des Menschen, dass es etwas geben könnte, das sich als überlebensfähiger und stärker im "Kampf ums Dasein" im "Survival of the fittest" erweist, als der Mensch selbst, neu: Außer vom eigentlichen Monster kommt hier auch von "übermenschlicher", und unbeherrschter Computermacht tödliche Gefahr.
Zur interessantesten Figur des Films wird daher der Android Andy, ein Roboter, der den Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht, und sich von diesen vor allem dadurch unterscheidet, dass er viel empathischer und selbstloser ist.
Und dass er als den Sinn seines "Lebens" seine einzige Direktive beschreibt, die Aufgabe, alles zu tun, "was für Rain das Beste ist". Diesem Andy wird durch einige Kurven und Kehren der Handlung ein paar Mal der Computerchip mit dem eines anderen Roboters ausgetauscht.
So begegnet man hier in einer schönen Variation des klassischen Doppelgängermotivs eigentlich zwei Andys: einem bösen, dessen Auftrag das Interesse des Unternehmens ist, für das auch er über Leichen geht, und besagten, guten empathischen, ohne den Rain den Film nicht überleben würde.
Mit Stil und Selbstvertrauen
So ist dieser gelegentlich nostalgische "Reboot" der "Alien"-Reihe mit einer neuen, jüngeren Heldin eine würdige und gelungene Fortsetzung der früheren Filme, an die er zum Teil direkt anknüpft, ohne dass man sie dafür kennen müsste.
Genau genommen ist dies auch keine chronologische Fortsetzung, sondern eine Parallelgeschichte, die zwischen dem ersten und dem zweiten Film spielt, gewissermaßen "Alien 1.5". Ein "Midquel", das man angesichts der uninspiriert-epigonalen Prequels der Saga, die 2012 und 2017 herauskamen, leicht hätte unterschätzen können.
"Alien: Romulus" ist tatsächlich ein guter Sci-Fi-Thriller, der mit Stil und Selbstvertrauen realisiert wurde. Ein Film, der sich auf sehr smarte Weise zwischen "hoher" und "niedriger" Kultur bewegt, mit philosophischen Ideen und Genremotiven spielt, theoretische wie politische Debatten inspiriert und dabei viel Spaß macht. Ein Film für die Fans der frühen Filme, wie für eine neue Kinogeneration.
Schöne Kino-Momente und säurehaltige Alien-Blut-Gewitter
Während er bis zur nicht erwartbaren Showdown-Steigerung sein Pflichtenheft abarbeitet, gelingt es Fede Alvarez immer wieder, schöne Kino-Momente zu erschaffen. Das beginnt schon mit der Eröffnung, mit Bildern kosmischer Weite. Zu ihnen gehört auch die bis zum Schluss durchgehaltene Idee eines häufigen Wechsels zwischen Phasen der Schwerelosigkeit und der Schwerkraft.
Dies führt zu einer bemerkenswerten Passage: Nachdem Rain ein Dutzend Aliens getötet hat, findet sie sich plötzlich zwischen einem säurehaltigen Alien-Blut-Gewitter wieder, das in der Luft hängt.
Einige Szenen später wird ein freier Fall in einem schwindelerregenden, ins Nichts führenden Fahrstuhlschacht plötzlich gestoppt und dann wieder beschleunigt. In solchen Momenten gelingt es "Alien: Romulus", sich von seinen Vorläufern für Augenblicke zu emanzipieren, und den Zuschauern buchstäblich den Raum unter seinen Füßen wegzuziehen.
Androiden und KI als das, was das diffuse Alien-Monster immer schon war
Die Alien-Filme werden oberflächlich oft als ein fragmentiertes Franchise wahrgenommen, in dem jeder Film nur lose mit den anderen zusammenhängt. Sie sind nicht linear aufeinander aufgebaut, sondern eine komplexe Sammlung von Genrefilmen, die von Horror über Krieg bis hin zur Farce reichen. Bei näherer Betrachtung aber gibt es eindeutige Bezüge und "rote Fäden", die diese Filme zusammenhalten.
Die Alien-Reihe ist eine Variation über die Idee des Bösen, über seine Ursprünge und seine Folgen. Das Böse wird hier verstanden als Ausbeutung, nicht zuletzt körperliche. Jeder Film erweitert diese Idee und schreibt sie zeitgemäß fort.
Das tut auch der neue Film, der die Franchise um zweierlei erweitert: Um ein neues "Final Girl", die Romantikerin Rain, ein jüngeres Alter Ego von Ellen Ripley, die hier fast etwas zu eindeutig in die Fußstapfen der Vorgängerin tritt. Und in der Aufmerksamkeit für androide Roboter und deren künstliche Intelligenz.
Sie kann die Menschen schützen, deren perfekte Kopie sie ist. Aber es bleibt eine immer präsente Ambivalenz: Je besser die Kopie, umso weniger menschlich erscheinen diese Hybrid-Wesen. Die Androiden und die KI sind jetzt das, was das schwarze diffuse Alien-Monster immer schon für uns Menschen war: unsere eigene Frage als Gestalt.