Alle Macht den Archivaren!
Netzarchiv ermöglicht Zugriff auf verbotene, blockierte und gelöschte Websites
Plötzlich war die Tür zu. Das virtuelle Haus des Islams ließ mich nicht mehr herein. Weder in das Forum mit den von mir so geschätzten Ehe- und Bekanntschaftsanzeigen noch in das Diskussionsforum, wo ich mich bisweilen gern mit den dort auch (aber nicht nur!) anwesenden radikalen Islamisten gestritten habe. Die Tür war also über Nacht plötzlich versperrt - zuerst mit dem Hinweis, dass dort seit neuestem Geheimdienste mitlesen würden. Danach hieß und heißt es zur Begrüßung zwar optimistisch: "Welcome to the old, original, and still New World Order. Isl@m." Aber verlangt wird für das Betreten der neuen Weltordnung eben ein schnödes Passwort.
Um das zu bekommen, heißt es auf der Startseite, soll man sich per Email an den Betreiber wenden. Gesagt, getan. Doch der gute Mann antwortet leider nicht. Übrigens auch nicht auf eine Interviewanfrage wegen der Geheimdienste. Aber inzwischen bin ich trotzdem wieder drin - ohne Passwort, ohne Member Code. Und zwar auf einem gar wundersamen Umweg über ein Archiv.
Genauer gesagt über das wohl größte Internetarchiv, das 1996 von Brewster Kahle gegründet wurde und dessen enorme Bestände seit kurzem jedem Internetnutzer über die Suchmaschine "Wayback Machine" (siehe: Surfen auf vergangenen Websites) frei zugänglich sind.
The Internet Archive Wayback Machine puts the history of the World Wide Web at your fingertips. The Archive contains over 100 terabytes and 10 billion web pages archived from 1996 to the present.
Genau dort gab ich also die Netzadresse des islamischen Hauses ein und erhielt anschließend gleich mehrere Verweise auf archivierte Seiten. Und der aktuellste Link führt dann auf die damals noch nicht per Passwort geschützten Seiten. Danach reichte wiederum ein kurzer Klick auf das von mir gesuchte Diskussionsforum. Dokumentiert und gezeigt wurde anschließend zwar der Stand vom Juni dieses Jahres, doch eine kleine und wirklich simple Manipulation bei der im Browser angezeigten Netzadresse genügte und schon gelangte ich tatsächlich auf die aktuelle und für mich eigentlich nicht zugängliche Forumsseite.
Das allein wäre jedoch kaum der Rede wert. Wenn das Archiv nicht auch Dinge möglich machen würde, vor denen uns (nicht nur) unser Staat allzu gern schützen möchte. Archiviert wird dort nämlich fast alles, und keiner fragt dabei, ob die Seite X gerade im Land Y verboten wurde. Und erst recht fragt keiner der virtuellen Archivare das Land Nordrhein-Westfalen (siehe: Düsseldorf will Sperrung amerikanischer Websites durchsetzen), ob es irgendetwas dagegen hat, dass wir uns "gewisse" Seiten anschauen.
Das heißt: alles was seit 1996 archiviert wurde, kann man dort noch einmal nachlesen. Und darunter sind halt auch von Providern oder vom Staat gesperrte deutsche Neonazi-Seiten oder die Website, auf der man bis zum 11. September erfahren konnte: "Wie kann ich für den Jihad trainieren?"
Genau diese Anweisung für heilige Nachwuchskrieger ist also immer noch übers Archiv online erreichbar, obwohl sie längst gelöscht wurde. Und das wiederum beweist, dass sich Versuche, das Internet von Staats wegen zu kontrollieren oder gar zu zensieren, in der Regel als lächerlich-hilflose Schläge ins Wasser entpuppen. Und dass eine alte ironische Sponti-Parole heute noch stimmt: "Alle Macht den Archivaren!"