Allgemein ist mir egal.
Das Roman-Debüt von Sänger Sven Regener
Ja, man hätte es ahnen können. Manche werden gar behaupten, sie hätten es schon immer gewusst.
Aber als es dann endlich da lag, der Umschlag rot, ein Becks-Kronkorken draufgedruckt, man sich hastig durch die ersten Seiten las, und allerspätestens auf Seite 17 unter Tränen lachte, war klipp und klar: Sven Regener, der Sänger der Berliner Band Element Of Crime (Ah, Pop-Literatur!), kann nicht nur Lieder schreiben zum Niederknien, sondern auch ein Buch, einen Roman, einen großartigen zumal, einen zum Lachen, Weinen und Lieben, einen, der Regeners für manche fast lebenswichtigen Songtexten in nichts nachsteht. Und gerade am Literarischen haben sich schon andere Musiker versucht und sind gescheitert; Bob Dylan kläglich, Lydia Lunch stetig und Nick Cave beinahe. Herr Regener aber gewinnt, einfach so.
Sein Roman heißt "Herr Lehmann" und handelt ausschließlich von eben jenem, der in Berlin-Kreuzberg (Ah, ein Berlin-Buch!) wohnt, seit fast zehn Jahren im "Einfall" kellnert und am Tag als die Mauer fällt (Ah, ein Wende-Roman!) 30 wird: "Es ist Scheiße, 30 Jahre alt zu werden...man beginnt, eine Vergangenheit zu haben, eine gute alte Zeit und den ganzen Scheiß." Herr Lehmann ist einer dieser ganz wenigen Menschen, die man einfach nur lieben kann. Einer mit Stil und Charakter, Intelligenz und Mut. Einer der aussterbenden Sorte. Ganz und gar keiner wie alle. Ein Vorbild vielmehr.
"Als Frank Lehmann, den sie neuerdings nur noch Herr Lehmann nannten, weil sich herumgesprochen hatte, daß er bald dreißig Jahre alt werden würde," nächtens nach Haus wankt, wird er von einem Kläffer bedroht, macht selbigen mit Whisky trunken, wird wenige Stunden später vom Telefon geweckt, debattiert heftigst mit seiner Mutter, geht dann Essen, sagt "Frühstück, das ist doch Quatsch ist das", bestellt Schweinebraten und verliebt sich. Das geschieht auf fünfzig Seiten, lebt von brüllend komischen Dialogen, wunderbaren Momentaufnahmen, den oftmals sympathisch verwinkelten Gedankengängen des Helden und der schnoddrig eleganten Sprache Regeners. Und das ist weit mehr, als der gemeine sogenannte "Pop-Literat" in einem ganzen Werk zu bieten vermag.
Überhaupt ist der Begriff Pop-Literatur per se Blödsinn, und bei Sven Regeners Debüt-Roman ganz schmerzhaft unangebracht. Denn von den so genannten Pop-Literaten unterscheidet ihn eine Menge, nicht nur Regeners (40) vergleichsweise fortgeschrittenes Alter. Wo Benjamin von Stuckrad-Barre (26) derbe über Pulli-Träger und Klischee-Studiker lästert, gibt sich Regener auch erst garstig, lenkt dann aber ein, denkt weiter und spricht milde, verständnisvoll, manchmal weise. Wo Christian Krachts (35) Protagonisten nur sich sehen und langweilen, nimmt Herr Lehmann sich selbst oft wenig ernst. Sein bester Freund sagt, er sei "so erfrischend simpel." Herr Lehmann geht in Camembert-Blässe und hässlicher Badehose zum Rendezvous ins Freibad, verliert und hält die Klappe. Danke.
Herr Lehmann gibt nichts auf Designer-Schick, kann nicht tanzen, Musik sagt ihm nichts, und "Kunst ließ ihn überhaupt im großen und ganzen kalt." Er freut sich, weil er im Bücherregal seiner neuen und dicklichen Freundin neben Kunstbüchern Kitschromane findet. Er ist ein Romantiker. Er prügelt sich heldenhaft und schämt sich danach. Er feiert seinen Triumph über einen bösartig unverschämten Busfahrer, indem er diesem Geld für zwei Fahrkarten schenkt, aussteigt, extra freundlich lächelt, "husch, husch" sagt, den völlig verdatterten Stinker am Steuer hocken lässt und fröhlich davon schlendert. Herr Lehmann sagt: "Allgemein ist mir egal." Er ist anders als die anderen. Andere tun nur so.
Natürlich ist "Herr Lehmann" auch kein Wende-Roman. Was ist das überhaupt? Als die Mauer fällt, sitzt Lehmann mit einem Trinkgefährten in einer Kneipe, eben hat er seinen physisch und psychisch kollabierten besten Freund ins Urbankrankenhaus geschleppt. Jemand sagt: "Die Mauer ist offen." Herr Lehmann sagt: "Ach du Scheiße." Sein Trinkgefährte sagt: "Der Arsch ist offen." Das warŽs. Und ja, Berlin. Regener schreibt viel über Berlin, denn Regener schreibt viel über sich selbst. Er zog Anfang der Achtziger vom heimatlichen Bremen in die damals geteilte Hauptstadt - wie Frank Lehmann auch. In den zwanzig Kapiteln des Buches zeichnet er locker schraffierte Milieu-Studien aus dem Berliner Aussteiger-Biotop in den Vorwendejahren, bleibt dabei aber fast ausschließlich im heimischen Kreuzberg. Na gut, vielleicht ein Kreuzberg-Roman.
Fast, aber auch nur fast, möchte man Sven Regener nahe legen, in Zukunft doch aufŽs Musikmachen zu verzichten und sich an eine Schreibmaschine zu ketten. Aber im November schon soll das neue Album seiner großartigen Band Element Of Crime erscheinen. Es wird "Romantik" heißen.