Also (er)setzte Zarathustra
Vom Schreiben im Zeitalter der elektronischen Medien
Ein Übertext für Niemanden und Jeden
Du sollst nicht kopieren! Du sollst nicht ersetzen! - solche Worte hieß man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.
Zarathustra: Von alten und neuen Tabellen. S. 12
Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Kopierer und Ersetzer in der Welt, als es solche heilige Worte waren?
Ist in allem Schreiben selber nicht - Kopieren und Ersetzen?
Zarathustras Vorsatz
1. Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seinen Schreibtisch und ging hinauf in die Bibliothek. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, – und eines Morgens stand er in der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:
"Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest!
Zehn Jahre kamst du hier herein in meine Lesestatt: du würdest deines Lichtes und deines Weges satt geworden sein, ohne mich, meine Brille und meinen Notizblock.
Siehe, ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zuviel gesammelt hat; ich bedarf der Hände die sich ausstrecken.
Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Autoren wieder einmal ihrer Torheit froh geworden sind.
Dazu muß ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust. Ich muß, gleich dir, u n t e r g e h e n, wie die Autoren es nennen, zu denen ich hinab will.
Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Autor werden." Also begann Zarathustras Untergang.
2. Zarathustra stieg allein abwärts. Als er aber zu der Messe kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seinen heiligen Schreibtisch verlassen hatte, um Neues auf der Messe zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:
"Nicht fremd ist mir dieser Wanderer; aber er hat sich verwandelt. Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst an Land steigen. Wehe, willst du deine Texte wieder selber schreiben?"
Und Zarathustra antwortete: "Ich liebe die Autoren."
Sprach's und setzte hinzu: "Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Autoren ein Geschenk."
"Gib ihnen nichts, sagte der Greis. Und willst du ihnen etwas geben, dann laß sie noch darum betteln!"
"Nein, sagte Zarathustra, ich gebe keine Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug." Und fragte schließlich: "Und was macht der Heilige auf der Messe?"
Der Heilige antwortete: "Ich bin Kritiker. So diene ich dem Buch."
Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüßte er den Autor und sprach: "Was hätte ich euch zu geben. Aber laßt mich schnell davon, daß ich euch nichts nehme!"
Als er allein war, sprach er aber zu seinem Herzen: "Dieser Heilige an seinem Schreibtisch hat noch nichts davon gehört, daß das B u c h t o t ist."
3. Als Zarathustra an einen Kiosk kam, der sich in der Nähe der Messe befindet, fand er daselbst viel Volk online, und er schrieb also zum Volke: "Ich lehre euch den Überautor. Der Autor ist etwas, was überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
Der Überautor ist der Sinn der Schriflichkeit. Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Schriftlichkeit treu, und glaubt denen nicht, die euch von Bücher-Hoffnungen reden. Verächter des Schreibens sind es, Absterbende, deren die Schriftlichkeit müde geworden ist; so mögen sie dahinkritzeln."
Und Zarathustra schrieb weiter: "Wahrlich ein schmutziger Strom ist der Autor. Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden.
Seht, ich lehre euch den Überschreiber: der ist dies Meer, in ihm kann eure große Verachtung untergehn."
Also begann Zarathustras Untergang.
4. Zarathustra aber las des Volkes Schreiben und wunderte sich. Dann schrieb er also: "Was aber groß am Autor ist, daß er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Autor, das ist, daß er ein Übergang und ein Untergang ist."
Als Zarathustra diese Worte geschrieben hatte, sah er wieder auf des Volkes Schreiben und schrieb nichts weiter. Und also redete er dann zu seinem Herzen: "Siehe, die sich die Freaks nennen und wollen einzigartig sein: wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tabellen der Regeln, den Brecher, den Verbrecher - das aber ist der Schaffende. Gefährten sucht er, Mitschaffende, die neue Regeln in neue Tabellen schreiben. Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werden ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!"
Also begann Zarathustras Untergang.
DIE SEITEN ZARATHUSTRAS
Von der Wiederholung
Man rühmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Ausschneiden und Einfügen zu schreiben wußte: und alle Jünglinge säßen vor seinen Seiten. Und also schrieb der Weise:
"Ehre und Scham vor der Wiederholung! Geht allen aus dem Wege, die nicht wiederholen, aber stets Neues verbreiten. Schamlos ist der Autor des Neuen.
Keine geringe Kunst ist das Wiederholen:
Zehnmal muß du dich selbst überwinden auszuschneiden aus dem Geschriebenen.
Zehnmal muß du dich mit dir selbst wieder versöhnen, denn schlecht schneidet aus, wer mit sich selbst nicht einig ist.
Zehnmal mußt du lachen und heiter sein, willst du dem Einfügen gerecht werden.
Selig sind die Vervielfältiger, denn sie werden nichts Einfältiges schreiben!
Selig sind die Vervielfältiger, denn sie werden nichts Einfältiges schreiben!"
Also wiederholte Zarathustra.
Von den Verächtern des Schreibens
"Den Verächtern des Schreibens will ich meinen Text schreiben: Der Autor ist etwas, was überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
Verächter des Schreibens seid ihr, Absterbende, deren die Schriftlichkeit müde geworden ist; so mögt ihr ausgeschnitten werden!
Daß ihr verachtet, das macht euer Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Regel und Willen schuf? Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten. Noch in eurer Torheit und Verachtung, ihr Verächter des Schreibens, dient ihr eurem Selbst. Ich aber schreibe: euer Selbst selber will untergehen und kehrt sich vom Schreiben ab - so will euer Selbst untergehn.
Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verächter des Schreibens. Ihr seid mir keine Brücken zum Überschreiber."
Also schrieb Zarathustra.
Vom Leser
"Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, daß Blut Geist - Text - ist.
Es ist nicht leicht möglich, fremdes Blut zu verstehen: Ich hasse die lesenden Müßiggänger.
Wer den Leser kennt, der tut nichts mehr für den Leser. Noch ein Jahrhundert Leser - und der Geist selber wird stinken.
Daß jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken.
Einst war der Geist Dichtung, dann wurde er zum Autor, jetzt wird er gar zum Surfer.
Im Web ist der nächste Weg von Seite zu Seite. Aber dazu mußt du lange Beine haben. Seiten sollen Gipfel sein und die, die sie aufsuchen, Große und Hochwüchsige.
Ich empfinde nicht mehr mit euch: ihr seht nach oben, wenn ihr Erhebung verlangt, ich sehe nach unten, weil ich erhoben bin.
Wer von euch kann zugleich surfen und erhoben sein?
Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles für mich."
Macht ist sie, die neue Tugend des Überlesers."
Also schrieb Zarathustra.
Vom Wege des Schaffenden
"Willst du, mein Bruder, den Übertext schreiben? Willst du den Weg zu dir selber suchen? Zaudere noch ein wenig und lies dieses: "Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Autorschaft ist Schuld: also spricht die Gemeinde der Leser. Und du gehörtest lange zu der Gemeinde.
Der Schaffende aber ist der Wiederholende des Wiederholten, der Wiederholende des Wiedergeholten.
Keine geringe Kunst ist das Wiederholen:
Zehnmal muß du dich selbst überwinden auszuschneiden aus dem Eingeschriebenen. Zehnmal muß du dich mit dir selbst wieder versöhnen, denn schlecht schneidet aus, wer mit sich selbst nicht einig ist.
Zehnmal mußt du lachen und heiter sein, willst du der Wiederholung gerecht werden. Ach, es gibt so viel Lüsternheit nach Wiederholung. Es gibt so viel Krämpfe der Ehrgeizigen. Zeige mir, daß du keiner der Lüsternen und Ehrgeizigen bist.
Ach, es gibt so viele große Texte, die tun nicht mehr als ein Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer.
Hüte dich vor der heiligen Einfalt. Alles ist ihr unheilig, was nicht einfältig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer - der Scheiterhaufen. Verbrennen mußt du dich wollen in deiner eigenen Flamme. Ich liebe den, der über sich selbst hinaus schaffen will und so zugrundegeht. Ein bißchen Wahnsinn ist in jeder Liebe!
Selig sind die Vervielfältiger, denn sie werden nichts Einfältiges schreiben! Ach, es gibt so viel Lüsternheit nach Wiederholung."
Also kopierte Zarathustra.
Von der Programmierung
"'Wille zur Wahrheit' heißt ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und brünstig macht? Wille zur Programmierbarkeit alles Seienden: also heiße i c h euren Willen! Alles Seiende wollt ihr erst programmierbar m a c h e n: denn ihr zweifelt mit gutem Mißtrauen, daß es schon programmierbar ist.
Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will's eurer Wille. Glatt soll es werden und dem Geiste untertan als sein Spiegel und Widerbild.
Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch wenn ihr von Bugs und Tricks redet und von Testen und Validieren.
Schaffen wollt ihr die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit.
Einst sagte man Kunst, wenn man auf eine Darstellung blickte, aber ich lehrte euch zu sagen: Überkunst.
Könntet ihr Kunst programmieren? So schweigt mir doch von der Kunst. Wohl aber könntet ihr die Überkunst programmieren. Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und Vorfahren könnt ihr euch umprogrammieren der Überkunst: und dies sei eurer bestes Programm!
Aber dies bedeute euch Wille zur Wahrheit, daß alles verwandelt werde in Menschen-Programmierbares, Menschen-Projizierbares, Menschen-Klickbares. Eure eigenen Sinne sollt ihr zu Ende programmieren!
Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch programmiert werden: eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden!
Ach, es ist so viel Lüsternheit in der Programmierung!"
Also ersetzte Zarathustra.
Von den Vernetzten
"Siehe, das ist der Tarantel Höhle: Willst du es selber sehen. Hier hängt ihr Netz. Also schreibe ich für euch, ihr Prediger der Gleichheit. Taranteln seid ihr und versteckte Rachsüchtige.
Darum reiße ich an eurem Netze, daß ich eure Wut aus eurem Lyer-Space locke, ihr Taranteln, die ihr einander mailt: "Gleicher Zugang für alle! Gegen alles, was Macht hat!"
Das ist ein Volk schlechter Abkunft und Art, aus euren Gesichtern blickt der Hacker und der Schnüffler! Mit solchen will ich nicht vermischt und verwechselt werden. Was wäre denn mein Liebe zum Überschreiber, wenn ich anders schriebe?
Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich wiederholen. Ach, es gibt so viel Lüsternheit nach Wiederholung! Also sicher und schön laßt uns auch Feinde sein, meine Freunde! Wiederschreiben heißt Widerschreiben!
Wehe, da biß mich selber die Tarantel, meine alte Feindin. Ja, sie hat sich gerächt! Häng ich doch selber im Netz! Und wehe, nun wird sie mit Rache auch mein Schreiben drehend machen. Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra: und wenn er ein Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! -"
Also mailte Zarathustra.
Vom Vorübersurfen
Also durch viel Volk und vielerlei Seiten, langsam hindurchklickend, gelangte Zarathustra auf Umwegen zurück auf seine Heimatseite. Und siehe, da kam er auch auf das Magazin der großen Messe: Hier aber sprang ihm ein schäumender Narrentext ins Auge von dem, welchen das Volk "den Affen Zarathustras" hieß. Denn er hatte ihm etwas von Satz und Fall des Schreibens abgemerkt und schnitt wohl auch gerne vom Schatze seiner Texte aus. Der Narr aber schrieb:
"O Zarathustra, hier ist die große Messe: hier hast du nichts zu suchen und alles zu verlieren. Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Hier ist die Hölle für Autoren: hier werden große Texte lebendig gesotten und klein gekocht.
Riechst du schon die Schlachthäuser und Garküchen der Textverarbeitung? Dampft nicht diese Messe vom Dunst der geschlachteten Texte?
Siehst du nicht die Texte hängen wie schlaffe, schmutzige Lumpen? Und sie machen noch Online-Magazine aus diesen Lumpen!
Hörst du nicht, wie der Text zum Wortgeschnipsel wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! - Und sie machen noch Online-Magazine aus diesem Wort-Spülicht!" Hier aber unterbrach Zarathustra seine Lektüre und klickte hinweg den Abschaum aller Texte.
"In den Abschnitt", tippte er, dich, den man heißt den Affentext Zarathustras. Aber ich frage: Was machte dich suhlen in diesem Wortschlamm, was dich grunzen in diesem Textunrat?
Ich verachte dein Verachten. Mein Verachten singt wie ein Vogel der Liebe, es grunzt nicht wie ein Schwein im Sumpf!"
Also mailte Zarathustra, blickte auf den URL und seufzte und schrieb lange nichts:
"Mich ekelt auch dieser großen Messe und nicht nur dieses Narren. Hier und dort ist nichts zu bessern, nichts zu bösern.
Wo man nicht mehr lieben kann, da soll man - vorübersurfen!"
Also klickte Zarathustra und surfte an der großen Messe vorüber.
Von höheren Autoren
"Als ich zum erstenmal zu den Autoren kam, da tat ich die Einschreiber-Torheit, die große Torheit: ich stellte mich ins Web.
Und als ich für Niemanden schrieb, schrieb ich für Jeden. Des Abends aber waren Designer meine Genossen, und Leichname: und ich selber fast ein Leichnam.
Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit, da lernte ich texten: 'Was geht mich Web und Surfer und Surfer-Klick und scharfe Surfer-Augen an!'
Ihr höheren Autoren: das lernt von mir: im Web glaubt Niemand an höhere Autoren. Und wollt ihr dort publizieren, wohlan! Die Surfer aber blinzeln: 'wir sind alle gleich.'
Die Sorglichsten fragen heute: 'wie bleibt der Autor erhalten?'
Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: 'wie wird der Autor überwunden?' Der Autor ist etwas, was überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
Der Überautor liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges. Der Überautor ist der Sinn der Schriflichkeit.
O meine Brüder, was aber groß am Autor ist, daß er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Autor, das ist, daß er ein Übergang und ein Untergang ist. Dieser Surfer-Mischmasch will nun Herr werden alles Autor-Schicksals - o Ekel! Ekel! Ekel! O WWW!
Diese Herren von heute überwindet mir, o meine Brüder, - diese kleinen Surfer: die sind des Überautors größte Gefahr.
Überwindet mir, ihr höheren Autoren, die kleinen Skriptigkeiten, die Pixel-Rücksichten, den JavAmeisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das 'Glück der Meisten' -!
'Der Autor muß besser und böser werden' - so lehre ich. Das Böseste ist nötig zu des Überautors Bestem.
Also böserte Zarathustra.
Von alten und neuen Tabellen
Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen: "Hier sitze ich, alte ungültige Tabellen um mich und auch neue halbgefüllte Tabellen. Wann kommt meine Stunde? - die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch einmal will ich zu den Autoren gehen. Des warte ich nun: denn erst müssen die Zeichen kommen: eine Löwenschrift mit dem Buchstabenschwarm. Inzwischen sitze ich als einer, der Zeit hat, für mich selber:
'Der Autor ist etwas, was überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
Der Überautor liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges. Der Überautor ist der Sinn der Schriflichkeit.
Das eben ist Schriftlichkeit, daß es Schriften, aber keine Schrift gibt.
Siehe, die sich die Freaks nennen und wollen einzigartig sein: wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tabellen der Regeln, den Brecher, den Verbrecher - das aber ist der Schaffende.
Daß ich nämlich in Gleichnissen schrieb, und gleich Schriftstellern hinke und stammle: und wahrlich, ich schäme mich, daß ich noch Schriftsteller sein muß!
Ich lehrte sie all m e i n Schreiben und Trachten: in Eins zusammenzutragen, was Bruchstück ist am Autor und Rätsel und grauser Zufall, -
- als Schriftsteller, Rätselrater und Erlöser des Zufalls lehrte ich euch, das Vergangene am Autor zu erlösen und alles 'Man schrieb' umzuschaffen, bis der Wille spricht: 'Aber so wollte i c h es schreiben. So werde ich's wollen -'
Nun warte ich m e i n e r Erlösung -, daß ich das letzte Mal ihnen schreibe. Denn noch einmal will ich unter die Autoren. U n t e r ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben.
Seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?
Es gibt einen alten Wahn: der heißt: Original und Kopie!
'Du sollst nicht kopieren! Du sollst nicht ersetzen! - solche Worte hieß man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.
Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Kopierer und Ersetzer in der Welt, als es solche heilige Worte waren?
Ist in allem Schreiben selber nicht - Kopieren und Ersetzen?
O meine Brüder, schneidet aus die alten, setzt mir die neuen Tabellen!"
Also setzte Zarathustra.
Vom Gesicht und Rätsel
"Euch kühnen Suchern Versuchern, und wer sich je mit listigen Werkzeugen in das Web einsurfte, - euch, denn nicht wollt ihr mit feigem Finger einem Link nachtasten, und wo ihr erraten könnt, da haßt ihr es zu erschließen - euch allein erzähl ich das Rätsel, das ich s a h. -.
Düster surfte ich jüngst über leichenfarbne Seiten. So gelangte ich auf eine Seite mit einem Torlink, wo ich verweilte. Klickte ich auf diesen, so zeigte sich dessen Rückseite. Klickte ich diese, so zeigte sich dessen Rückseite und so fort.
Siehe diesen Torlink, sprach ich zu meinem Herzen, der hat zwei Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die ging noch niemand zu Ende.
Diese lange Gasse zurück, die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus - das ist eine andere Ewigkeit.
Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stoßen sich gerade vor den Kopf: - und hier an diesem Torlink ist, wo sie zusammenkommen. Der Text des Torlinks steht geschrieben: Klick!
Siehe, sagte ich weiter zu mir, dieser Klick! Von dieser Seite Klick läuft eine lange ewige Gasse rückwärts: hinter uns liegt eine Klick-Ewigkeit.
Muß nicht, was geklickt werden kann, schon einmal geklickt worden sein?
Und sind nicht solchermaßen alle Seiten gelinkt, das dieser Klick alle kommenden Seiten nach sich zieht? Also - - sich selber noch?
Denn was geklickt werden kann - in dieser langen Gasse hinaus - muß noch einmal geklickt werden!
Müssen wir also nicht ewig wiederklicken?-"
Also klickte ich und immer langsamer: denn ich fürchtete mich vor meinen Gedanken und meinen Hintergedanken.
Absturz und Wiederkehr
Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr auf seine Heimatseite, hackte Zarathustra in die Tasten wie ein Toller, und tippte diese Worte:
"Heraus abgründiger Text, aus meiner Tiefe!
Heil mir! Du kommst! Mein Abgrund schreibt --
Heil mir! heran! Gib die Taste -- ha! laß! Haha! -- Ekel! Ekel! Ekel! --- WWW mir!"
Kaum hatte aber Zarathustra diese Worte getippt, da stürzte sein Computer ab und blieb lange wie ein Toter. Als er aber wieder anlief, flimmerte sein Schirm und die Tasten versagten ihr Echo.
Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage, seine Techniker aber verließen ihn nicht bei Tag und Nacht.
Endlich, nach sieben Tagen, begann die Schrift zurückzukehren und da glaubten die Techniker, die Zeit sei gekommen, Zarathustra zu mailen:
"Tritt heraus aus deinem Text-Space: das Web wartet dein wie ein Garten. Kam wohl eine neue Erkenntnis zu dir, eine saure, schwere?
Siehe, alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Betriebssystems. Alles stirbt, alles blüht wieder auf, ewig läuft die Zeitscheibe der Prozesse.
Alles bricht, alles wird neu gefügt; ewig baut sich die gleiche Struktur der Daten. Alles scheidet, alles grüßt sich wieder, ewig bleibt sich treu der Ring der Signale. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit."
"O ihr Bit-Narren und Zyklusorgeln, mailte Zarathustra, wie gut wißt ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen mußte: unkte und würgte:
- ach, der Autor kehrt ewig wieder! der kleine Autor kehrt ewig wieder.
Ach, Ekel! Ekel! Ekel! WWW!"
Also mailte Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er erinnerte sich des Absturzes. Da ließen ihn aber seine Techniker nicht weitertippen.
Also schrieb Zarathustra, da aber geschah es, daß er sich plötzlich wie von unzähligen Buchstaben umschwärmt und umflattert sah, zugleich aber erschien die Löwenschrift auf seinem Schirm.
Zärtlich drückte er die Tasten und es erschien ein Buchstabe gesetzt in Löwenschrift:
"Das Zeichen kommt" sagte er zu sich selbst und sein Herz verwandelte sich. "Was schrieb ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?" Und ihm kam die Erinnerung: "O ihr höheren Autoren, von eurer Not war's ja. Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Autor! D a s - hatte seine Zeit!
Wohlan, die Löwenschrift wurde installiert, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam:
Dies ist m e i n Morgen, m e i n Tag hebt an: h e r a u f n u n, h e r a u f, d u g r o ß e r M i t t a g!"--
Also sprach Zarathustra, verließ seinen Computer, gleißend und stark, wie eine Morgensonne, die in eine dunkle Bibliothek scheint.