Alt, arm und abgehängt
- Alt, arm und abgehängt
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Immer mehr älteren Menschen wird in Deutschland die Würde genommen. Covid-19-Pandemie, Energiepreisexplosion und Inflation besonders verheerend. Doch Altersarmut ist keine Naturkatastrophe.
Während die bereits seit geraumer Zeit auf einem hohen Niveau verharrende Kinderarmut mittlerweile in der (Medien-)Öffentlichkeit relativ viel Aufmerksamkeit erfährt, stellt die Altersarmut nach wie vor einen blinden Fleck dar, obwohl das Armutsrisiko keiner anderen Altersgruppe in den vergangenen Jahren stärker gestiegen ist als jenes der Senior:innen. Man kann sogar von einer Reseniorisierung der Armut sprechen, nachdem zur Jahrtausendwende von einer "Infantilisierung der Armut" (Richard Hauser) die Rede war.
Beide Tendenzen bestehen nebeneinander, denn aufgrund der Tatsache, dass von einer sozialen Misere auch wieder mehr Senior:innen betroffen sind, die jahrhundertelang als "würdige Arme" galten, heute jedoch bezichtigt werden, nicht genug vorgesorgt zu haben, wird kein einziges Kind materiell bessergestellt.
Umso notwendiger ist es, dieses politische Armutszeugnis in einem vermögenden Land zu skandalisieren und gleichzeitig Druck auf Regierende wie Parlamentarier:innen auszuüben, damit sich etwas ändert.
Die markantesten Besonderheiten der Altersarmut
Altersarmut ist mindestens durch fünf Merkmale gekennzeichnet, die sie deutlich von allen übrigen Armutsformen unterscheiden und ihre Beseitigung oder Verringerung durch politische Gegenmaßnahmen am dringlichsten erscheinen lassen:
1. Armutserfahrungen sind für alte Menschen besonders deprimierend, diskriminierend und demoralisierend: Ihnen wird durch Bedürftigkeit, finanzielle Einschränkungen und Entbehrungen nicht bloß die Würde genommen, sondern auch der Lohn für ihre Lebensleistung vorenthalten, ohne dass diese Form "struktureller Gewalt" (Johan Galtung) bisher von der Öffentlichkeit als solche erkannt, geschweige denn von einer Bundesregierung ernsthaft bekämpft worden ist.
2. Das im Art. 1 Satz 1 GG zur Fundamentalnorm unserer Verfassung erhobene Gebot, die Würde des Menschen zu wahren, wird durch ein Leben in Armut missachtet. Senior:innen, denen im Unterschied zu jungen Menschen die Hoffnung auf ein durch Aufnahme von Erwerbstätigkeit (wieder) steigendes Einkommen fehlt, droht dieses Schicksal bis ans Lebensende. Alternativen zu ihrer prekären Situation gibt es praktisch nicht; was allein bleibt, ist Perspektivlosigkeit.
3. Wenn nicht außergewöhnlich günstige Umstände eintreten, wächst die Armutsbetroffenheit von Senior:innen in den letzten Lebensjahren sogar noch, weil sich ihre Einkommenssituation zumindest im Regelfall nicht mehr wesentlich verbessert, während die Kosten für Arzneimittel sowie medizinische und Pflegedienstleistungen im Alter drastisch zunehmen.
4. Armut geht oft mit Einsamkeit und sozialer Isolation einher. Davon sind ältere Menschen ohnehin häufiger betroffen als jüngere. Während der Covid-19-Pandemie trugen Quarantänemaßnahmen und die Abschirmung der in Alten- bzw. Pflegeheimen lebenden Senior:innen gegenüber Besucher(inne)n dieser Einrichtungen dazu bei, dass sich die Tendenz zum Alleinsein verstärkte.
5. Die Covid-19-Pandemie, die Energiepreisexplosion und die Inflation treffen alte Menschen härter als junge, weil sie in der Regel nicht mehr erwerbstätig und deshalb viel zu Hause sind, was ihre Heizkosten genauso in die Höhe treibt wie die Tatsache, dass sie kälteempfindlicher sind. Außerdem bekommen sie viel seltener einen Bankkredit zur Bewältigung finanzieller Überbelastung als junge Menschen, weil man ihnen die Tilgung von Schulden nicht mehr zutraut. Immer häufiger steht am Ende ein ordnungsamtliches oder Sozialbegräbnis.
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