American Dream am Ende: Spaltung und Armut trotz Milliardenpaket von Joe Biden

Leon Gerleit

Biden im Wahlkampf 2020. Bild: Phil Roeder / CC BY 2.0

Die Wirtschaft boomt durch Bidenomics. Aber die Mittelschicht profitiert davon wenig. Und das ist nicht das einzige Problem des gespaltenen Landes.

Der Bankenriese Morgan Stanley gab sich kürzlich sehr zuversichtlich: Der aktuelle Wirtschaftsaufschwung in den USA würde noch eine Weile anhalten, hieß es auf CNBC. Als Grund nannte die Bank Bidens Wirtschaftspolitik.

Das weitreichende Finanzierungs- und Reformprogramm der aktuellen Regierung, vom Weißen Haus als "Bidenomics" etikettiert, hat offenbar das Vertrauen der US-Wirtschaft. Morgan Stanley verdoppelte die Schätzung für das BIP-Wachstum der USA im vierten Quartal von 0,6 Prozent auf 1,3 Prozent und erhöhte Prognose für das reale BIP im Jahr 2024 auf 1,4 Prozent.

Traditionell sollte eine Wirtschaft, die brummt, dem regierenden Präsidenten eigentlich ein direktes Ticket zu einer weiteren Amtszeit im Weißen Haus ausstellen. Ein Blick auf die Umfragen in den USA zeigt allerdings, dass ein Großteil der US-Bürgerschaft anders tickt.

Miese Umfragewerte

Derzeit schneidet Joe Biden mit nur 34 Prozent Zustimmungsrate in der Kategorie Wirtschaftskompetenz noch schlechter ab als bei der allgemeinen Popularitätsrate von 41 Prozent.

Das ist eigentlich nicht fair, finden Biden und Berater und haben daher begonnen, die Bidenomics zum Wahlkampfthema zu machen. Biden betont derzeit auffallend sein Engagement für die Stärkung der Mittelschicht und die Rolle der Gewerkschaften. Der selbst ernannte "Most Pro Union Präsident" braucht das Wohlwollen der Gewerkschaften.

Selbst wenn ihm keiner seiner aktuellen Konkurrenten und Konkurrentinnen die Stimmen der Gewerkschaften streitig machen könnte, sein Ansehen bei den organisierten Arbeitenden hat gelitten, nachdem er den Kongress letztes Jahr dazu aufgerufen hatte, einen Eisenbahnerstreik zu verhindern.

Bei einer Rede vergangene Woche vor Arbeitern einer Schiffswerft brüstete sich Biden damit, dass sein Wirtschaftsplan durch hohe Subventionen zur Schaffung von über 13 Millionen neuen Arbeitsplätzen im ganzen Land geführt habe. Er stellte die rekordverdächtig niedrige Arbeitslosenquote heraus und die immerhin "langsamer als erwartet" steigende Inflation.

Die Reform, die nicht ausreicht

Doch auch wenn sie etwas langsamer steigt als erwartet, ist die Inflation wahrscheinlich der Grund, warum Bidens wirtschaftlicher Erfolg nicht bei der Wählerschaft ankommt.

Vor allem nicht bei denen, die den Demokraten wahlstrategisch am wichtigsten sind: die Angehörige der Mittelschicht. Die Kaufkraft der Mittelschichtdollars ist im Vergleich mit den steigenden Preisen eher gesunken, und die Löhne sind nicht schnell genug gestiegen.

Auch sind weitere wichtige Eckpfeiler der Bidenomics nicht unbedingt die Art von Reform, die am Wahltag eine große Rolle spielen.

So hat Joe Biden, zum Beispiel, Lina Khan zur Vorsitzenden der Federal Trade Commission, der Bundesbehörde gemacht. Genau wie Biden vertritt Khan die Ansicht, die US-amerikanische Wirtschaft sei schon jetzt zu monopolisiert.

Die Dialektik von Anti-Trust

Deshalb strengte sie in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende, zahlreiche Rechtsklagen an, um große Firmenübernahmen und Monopolstellungen zu verhindern.

Auch wenn die Federal Trade Commisson vor Gericht bisher eher bescheidene Erfolge vorzuweisen hat, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass große Firmen derzeit den Sinn geplanter Konsolidierungsaktivitäten und Firmenübernahmen doppelt und dreifach überdenken.

Diese "Anti-Trust"-Haltung dürfte besonders bei Bidens superreichen Unterstützern nicht besonders gut ankommen, doch sind diese vielleicht noch genug von Bernie Sanders Wahlerfolgen geschockt, um Biden noch einmal die Mittel an die Hand zu geben, um, wie Franklin D. Roosevelt, "den Kapitalismus vor sich selbst zu retten".

Wahrscheinlich wird Biden es schaffen, Wall Street und Co. ein weiteres Mal für sich zu gewinnen.

Und immerhin gilt diese "Anti-Trust"-Politik nicht unbedingt in allen Sektoren.

Im Bankensektor nimmt JPMorgan Chase geradezu die Rolle eines Vertreters des Staates ein und fungiert als Stabilisator in der Branche, in dem sie im Grunde jede, in den vergangenen Jahren in Schieflage geratene, Bank akquiriert.

Nur das Minimum

Der Kern von Bidenomics ist allerdings die Abkehr von einer neoliberalen Politik, die geprägt ist von staatlicher Zurückhaltung. Anstatt sich um Kopf und Kragen zu sparen, verabschiedete Biden ein fast zwei Billionen Dollar umfassendes Stimuluspaket für die US-Wirtschaft, mit besonderem Augenmerk auf Grüne Energie und Infrastruktur.

Die Idee der Biden-Regierung war, dass Angestellte von dieser Politik profitieren würden, weil sie ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt mit höherer Nachfrage teurer verkaufen könnten: ein Plan, der immerhin teilweise aufzugehen scheint.

Immerhin verschafft es Angestellten, falls sie denn einer Gewerkschaft angehören, eine bessere Position in Verhandlungen mit ihren Bossen, – und auch wenn der Union Boom derzeit noch eher eine linke Fantasie ist, zeichnet sich eine positive Entwicklung ab.

Auch hat Biden immerhin gewerkschaftsfreundliche Politiker und Politikerinnen zum National Labor Relation Bord ernannt, das sich seither bemüht zeigt, Missstände in US-Betrieben zu untersuchen und anzuprangern.

Einigen mögen diese Reformen revolutionär vorkommen, anderen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Letztendlich sind die Bidenomics primär eine Reaktion auf äußere Umstände in einer Ära. Die ist bestimmt von einer sich dramatisch verändernden geopolitische Lage und dem Klimawandel.

Das hat den unbedingten Glauben der Mächtigen an das einzig Wahre einer uneingeschränkten Herrschaft des Marktes doch angegriffen. So dass es einem gemäßigten Reformer wie Biden immerhin möglich ist, das Minimum zur Rettung der US-Wirtschaft zu unternehmen. Aber die Risse zeigen sich deutlich.

Der fehlende Kitt: Feindschaften zwischen Schichten

Krisen schaffen Möglichkeiten, nicht nur für Investoren, sondern auch für den Staat, das Zepter wieder etwas mehr in die Hand zu nehmen, – diese Chance nutzte schon Roosevelt, der ohne einen Beitritt der USA in den Ersten Weltkrieg im übrigen wesentlich mehr Gegenwehr für seine jetzt so gepriesenen Sozialreformen erhalten hätte.

Der Hass in Wall-Street-Kreisen auf den Reformer war so groß, dass dort zeitweise sogar über einen Putschversuch nachgedacht wurde.

Doch auch Eliten können sich verständlich und verhandlungsfähig zeigen, wenn sie davon überzeugt werden können, ihre Stellung und Vermögen hänge von einem erneuten Kompromiss mit den arbeitenden Schichten ab – eine Chance, die Präsident Obama nach der Bankenkrise verpasste, Joe Biden, sein damaliger Vize, scheint zumindest etwas aus der Vergangenheit gelernt zu haben.

Nur kann er auch seine Wählerschaft vor der Präsidentschaftswahl 2024 von seinen "neuen Kurs" überzeugen?

Letztlich sieht sich das Biden-Wahlkampfteam also mit dem Problem konfrontiert, der Wählerschaft wirtschaftspolitische Erfolge schmackhaft zu machen, die für einen Großteil der US-Wählerschaft erst in der Zukunft relevant werden, Inflation und Ölpreis sind es hingegen schon am Wahltag.

Weil der Effekt der niedrigen Erwerbslosigkeit und der steigenden Löhne durch die Inflation gedämpft wird, gilt das insbesondere für die Mittelschicht, die in den USA einen größeren Stimmanteil besitzt als die Arbeiterklasse.

Die niedrigen Umfragewerte könnten also auf mangelnde Solidarität zwischen den Klassen zurückzuführen sein, oder schlimmer noch: Durch eine offene Feindschaft der Mittelschicht, vornehmlich der "Small Business Owner", gegenüber ihren potenziellen Angestellten, die nun höhere Löhne verlangen können.

Bleibt zu hoffen, dass die Zersetzung der sozialen Strukturen in den USA noch nicht ganz so weit fortgeschritten ist, und es sich wirklich nur um ein Kommunikationsproblem zwischen Regierung und Bürgerschaft handelt. Am besten eines, das Biden noch vor der Wahl beheben kann.