Amerikas Wutproblem: Warum Linke keine Antwort darauf finden
Seite 2: Die Rettung der Demokratie
- Amerikas Wutproblem: Warum Linke keine Antwort darauf finden
- Die Rettung der Demokratie
- Auf einer Seite lesen
Was sollen wir also tun? Zunächst einmal müssen wir angesichts der Richtung, die die Trump-Bewegung und ein Großteil der Republikanischen Partei einzuschlagen scheinen, wirklich etwas tun – und das sehr umfassend. Wie die Ministerin des Bundesstaates Michigan, Jocelyn Benson, eine Demokratin, angesichts der wachsenden Krise auf der Rechten feststellte, habe sie "keine signifikante Zunahme der Unterstützung durch führende Parteimitglieder gesehen, wie wir sie 2018 erlebt haben", zu einem Zeitpunkt, als die Wachsamkeit der Partei zwar größer, aber nicht annähernd ausreichend war.
Die Überschrift eines Artikels in der satirischen Online-Zeitung The Onion trifft die Stimmung unter den Progressiven: "Linke Gruppe zu unorganisiert für FBI-Agenten, um sie zu infiltrieren". Darin sagt ein fiktiver FBI-Agent: "Diese Leute tun nie etwas Gewalttätiges – sie tun überhaupt nichts".
Kürzlich klopfte ein Kandidat der Demokraten in Maryland an meine Tür und bat mich um meinen Namen und meine Kontaktdaten als möglichen Freiwilligen für seine Kampagne. Es stellte sich jedoch heraus, dass er nicht einmal einen Stift oder ein Papier dabei hatte. Das ist das Problem, das ich beim progressiven Aktivismus feststelle. Ich gab ihm Papier zum Beschreiben und einen Marker, den wir herumliegen hatten. Und es ist leider wahr, dass Demokraten und Progressive im Allgemeinen keine konzertierte Antwort auf die Wut und Gewalt der Rechten haben.
Ironischerweise ist eine Regierungsinstitution, die zumindest einen Versuch unternommen hat, der rechten Gewalt entgegenzuwirken, das Militär. Seit den Anschlägen vom 6. Januar hat das Verteidigungsministerium unter Verteidigungsminister Lloyd Austin eine Zunahme extremistischer Gewalttaten im Land festgestellt, die von Soldaten oder Reservisten verübt wurden. Als Reaktion darauf hat er eine mehrgleisige Strategie gefahren, um neue Rekruten zu überprüfen, das Militärpersonal über Extremismus aufzuklären und extremistische Aktivitäten in den eigenen Reihen zu untersuchen.
An den fünf Dienststellen, wo wir gedient haben, bin ich zwar auch auf bigotte Bemerkungen gestoßen, aber ich habe beim Militär mehr Menschen getroffen als in anderen Einrichtungen, die bereit sind, Freundschaften mit Menschen anderer ideologischer Ausrichtung zu schließen. Wenn man in der Heimat oder im Ausland in Sachen Kameradschaft und sogar Überleben aufeinander angewiesen ist, kann man nicht allzu wählerisch sein, was die Überzeugungen der Kameraden angeht.
Da sich die parteipolitische Rhetorik in diesem Land aufheizt, würde ich sagen, dass sich die Progressiven schuldig gemacht haben, sich zu sehr auf die am stärksten politisierten Identitätsfragen zu konzentrieren, wie wertvoll sie auch sein mögen, oder sogar auf jedes noch so dumme Verhalten, das in einem bestimmten Moment die Öffentlichkeit bestimmt, sei es Trumps QAnon-Verschwörungsmache oder das Befummeln des ehemaligen New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo. Das Problem ist, dass die Wut der Trumpisten immer größer wird. Wenn die Progressiven nicht bald eine verbindende Botschaft der Kooperation und Empathie finden, könnten die Waffen, die bereits im Umlauf sind, auf extreme Weise eingesetzt werden.
Die Progressiven täten gut daran, einen Schritt zurückzutreten und über die wirklich wichtigen Themen nachzudenken, z. B. darüber, wie man allen – von den weißen Frauen in den Vorstädten über die Landwirte bis hin zu den schwarzen Alleinerziehenden – zeigen kann, dass sie im Leben viel zu verlieren haben, wenn die Regierung nicht bereit ist, die Gesundheitsfürsorge zu regulieren, und zwar auf weitaus bessere Weise. Sie würden so viel gewinnen, wenn in unserem allzu ängstlichen Land die Aufmerksamkeit wieder auf die Bedeutung der Kinderbetreuung für jede Familie, die sie braucht, gelenkt würde.
Vor alles ist es wichtig, dass sich die Menschen intensiv mit der immer gefährlicher werdenden Welt, in der wir leben, auseinandersetzen. Unabhängig davon, ob wir uns über die Ursachen der globalen Erwärmung einig sind oder nicht, ist es schwer, sich nicht darüber einig zu sein, dass wir in einem immer heißeren, von Dürre geplagten und immer extremeren Amerika leben. Niemand kann leugnen, dass es bereits verdammt heiß ist und der Sommer gerade erst begonnen hat.
Es muss etwas getan werden – und zwar bald –, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen, aber bisher ist noch keine politische Kampagne aufgetaucht, die der Dringlichkeit und Dramatik (und dabei denke ich ausnahmsweise nicht an Donald Trump!) des Moments entspricht. Vor allem diejenigen unter uns, die sich für Demokratie und einen besseren Planeten einsetzen, täten gut daran, die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Trump zu unterstützen, denn wenn er wieder an die Spitze des Landes kommt, könnten wir uns in Schwierigkeiten befinden, aus denen wir nicht mehr herauskommen.
Und ja, in so vielen Fragen sind viele von uns vielleicht nicht einer Meinung mit der Abgeordneten Liz Cheney aus Wyoming, der führenden Republikanerin im Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zum Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar, oder sogar mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence, der sein eigenes Leben und das seiner Familie riskierte, um den Sieg von Joe Biden zu bestätigen. Aber ich stimme der demokratischen Abgeordneten Jaimie Raskin zu, dass sie zu den republikanischen Helden dieser Trumpschen Bedrohung gehören (es gibt nur wenige davon). Wie der russische Schriftsteller und Historiker Alexander Solschenizyn einmal schrieb: "Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft mitten durch das menschliche Herz".
Im Herzen vieler Amerikaner befindet sich jedoch Donald Trump, ein beschädigter Mann, der unsere niedersten Instinkte verkörpert. Er muss von führenden Politikern aller Couleur energisch als die Bedrohung für die Demokratie identifiziert werden, die er ist. (Beeilen Sie sich, Generalstaatsanwalt Merrick Garland, und erheben Sie Anklage gegen ihn!)
In der Zwischenzeit sollten wir alle nach Möglichkeiten suchen, Gemeinsamkeiten zwischen ideologischen Gegensätzen zu finden. Laden Sie einen Nachbarn zum Essen ein, auch wenn Sie wissen, dass er auf dem Weg zur Arbeit konservative Radiosender hört. Helfen Sie einer anderen Familie bei der Kinderbetreuung, auch wenn Sie die politischen Schilder auf ihrem Rasen nicht gutheißen. Versuchen Sie einfach, den wütenden, bewaffneten Leuten aus dem Weg zu gehen, oder lassen Sie sie ihre Waffen an der Tür abgeben. Sie sind diejenigen, die ihre Taktik ändern müssen. Wenn man bedenkt, dass Zehntausende hochqualifizierter russischer Fachkräfte aus Wladimir Putins kriegslüsternem Regime geflohen sind, bin ich mir sicher, dass er ein paar offene Stellen für sie hat.
Wenn nur ihr Hass hier keinen Platz hätte. Es ist an der Zeit, weniger wütend und viel konzentrierter zu sein.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit TomDispatch. Übersetzung: David Goeßmann.
Andrea Mazzarino, regelmäßige Autorin auf TomDispatch, ist Mitbegründerin des Brown University's Costs of War Project. Sie war in verschiedenen Positionen in Kliniken, Forschungseinrichtungen und NGOs tätig, u. a. in einer Ambulanz für Veteranenangelegenheiten (Posttraumatische Belastungsstörungen), bei Human Rights Watch und in einer Agentur für psychische Gesundheit. Sie ist Mitherausgeberin von "War and Health: The Medical Consequences of the Wars in Iraq and Afghanistan".