Amerikas neuer und alter Held: der Soldat

Das US-Magazin Time klammert sich an den Mythos des tapferen Kriegers und ernennt ihn zur "Person des Jahres"

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Die G.I.s im Irak haben es nicht leicht: erst die Sandstürme vor Bagdad, dann die erhitzten Sandfliegen im Sommer und der ständige Guerilla-Krieg. Und zuletzt mussten sie gar als Staffage für den Mediencoup ihres Präsidenten George W. Bush an Thanksgiving herhalten und sich im Vorwahlkampf rund um den trockenen Truthahn scheren. Jetzt setzt ihnen das US-Magazin Time endlich das wohl verdiente Denkmal: Das Blatt hat den unbekannten amerikanischen Soldaten - der an sich eigentlich längst schon ein noch viel namenloserer privatwirtschaftlicher Söldner ist - zur Person des Jahres gekürt.

2003 hat langsam ausgedient, wie man an den sich häufenden Rückblicken und Jahresendehrungen merkt. Am Freitag erst reichte es für US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit seinem sarkastisch gemeinten Seitenhieb auf das "alte Europa" in der Endausscheidung zum Wort des Jahres hierzulande. Die Kennzeichnung habe dem alten Kontinent ein neues und positives Selbstbewusstsein gegeben, befand die Gesellschaft für deutsche Sprache. Und jetzt hebt Time "den amerikanischen Soldaten" in Form einer maschinenwehrstarren, in Wüstenkluft mit schussfester Weste gerüsteten und den schwarzen Mohr nicht vergessenden Troika aufs Cover.

Er, der stellvertretend steht für so viele, ist der wahre Held des Jahres und wird eingereiht neben andere Honorablen wie Johannes Paul II, die beiden Bush-Präsidenten oder "den Computer". Er hat das alte Regime im Irak in "21 Tagen" im März und April mit Macht hinweggespült. Er hat in den gefährlichen Straßen Bagdads patrouilliert und der Skepsis der Ureinwohner standgehalten, schreibt die Time-Redaktion. Und er hat Saddam Hussein zu guter Letzt ausgegraben, Mutter Erde vorerst noch einmal unsanft entrissen. Er ist das "Gesicht" Amerikas, seine Macht und sein guter Wille, das Zeichen der Demokratie. Doch den tieferen Sinn der Ehrung macht das Blatt ein paar Zeilen weiter voll weihnachtlich-sentimentaler Rührung aus - und dabei Hollywood in Print alle Ehre:

In einem Jahr, in dem wir manchmal dachten, dass wir nichts mehr gemein hätten, waren wir vereint in dieser Hoffnung: dass unsere Männer und Frauen an den Waffen bald sicher nach Hause kommen würden, weil ihre Pflicht erfüllt war.

Ganz abgesehen davon, dass auch nach der nach Drehplan abgelaufenen und zahlreiche Formfragen aufwerfenden Ergreifung des gealterten Diktators und seiner Vorführung als schön "Ah" sagender Patient (US-Regierung erneut im Propagandakrieg?) der Bombenterror im Irak bislang weiter geht und die meisten der soeben Geehrten Weihnachten an der Front verbringen werden, ist es mehr als fraglich, ob der US-Soldat und der Irak-Krieg insgesamt als Wiederbelebung des American Dream in der von Time lancierten Variante gelten kann. Der Krieg war trotz aller eingesetzten Präzisionswaffen und der geballten vernetzten Computerunterstützung durch Network Centric Warfare überaus blutig und kostete nach Schätzungen der Experten von Iraq Bondy Count zwischen 7950 und 9781 Zivilisten das Leben. Zum Vergleich: nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen fielen den NATO-Bomben im Kosovo-Krieg zwischen 500 und 820 Zivilisten zum Opfer.

Die befreite Blondine taugte nicht zur Mythifizierung

Zudem ernannte Time wohlweislich nicht etwa Jessica Lynch, die vom Pentagon während der eigentlichen Kriegswochen zur symbolischen Heldin aufgebauten Soldatin, zur Blondine des Jahres. Denn dann hätte die Redaktion wohl oder übel darauf hinweisen müssen, dass die USA im Krieg der Bilder und im Infowar einiges inszeniert, dramatisiert und die Realität weit hinter sich gelassen hatten. Das "Mädchen vom Lande" beklagte sich schließlich im November vor laufenden Kameras bitter, dass man sie "benutzt" habe, um "all dieses Zeugs zu symbolisieren", für das die anonymen US-Soldaten nun wirklich viel besser stehen.

Vergessen ist zum Jahresende auch, dass die eigentliche Präzisions- und Schmierwaffe im Irak-Krieg nach Eingeständnis des Oberkommandierenden Tommy Franks der amerikanische Dollar statt des amerikanischen Soldaten war. Denn die CIA und die US-Militärführung hatten anscheinend zahlreiche irakische Offiziere bestochen, die Waffen zu strecken und den zunächst befürchteten blutigen Straßenkampf in Bagdad besser sein zu lassen (Präzisionswaffe Dollar). Weder Franks noch der Dollar eigneten sich folglich zum Mann oder Ding des Jahres.

Besonders fraglich wird die Auszeichnung zudem, wenn man bedenkt, dass der Krieg mit seiner "industriellen Serienproduktion" nach dem 11. September weitgehend zum blutigen Geschäft von "Spezialeinheiten" alias Profikillern und besser mexikanisch als englisch sprechender privater Söldner geworden ist (Corporate Killers: das ganz große Geschäft). Krampfhaft konstruiert Time demnach einen verblassenden Mythos von Soldatenehre und edlen Zweikämpfen, der mit dem postheroischen Krieg gegen den Terror im 21. Jahrhundert kaum noch etwas zu tun hat.

Kleine Randnotiz: Ein smarter Blogger, Tim Blair, brüstet sich damit, "ahead of Time" von der Ehrerweisung gegenüber dem US-Soldaten erfahren zu haben. Der Australier stieß angeblich schon am Sonntagnachmittag Ortszeit beim Stöbern in der Galerie der begehrten Jahresendtitel auf das Cover, während der Verlag die geheimnisumwitterte Entscheidung erst einige Stunden später offiziell bekannt gab.

Ansonsten sind die Blogger und ihre Kommentatoren aber geteilter Meinung über die Wahl. Die einen hätten lieber Michael Moore als Mann des Jahres gesehen, während andere Time dafür loben, endlich von seinem "Linkskurs" wieder rechtzeitig vor dem Präsidentschaftswahlkampf auf die rechte Bahn zurückgefunden zu haben. Irakische Blogger oder bloggende G.I.s haben sich bislang noch nicht zu dem Votum geäußert (dazu siehe auch vom Autor: Die zweite Supermacht?. Krieg und Internet (Teil I): Propaganda, Infowar, Medien, Mailinglisten und Weblogs).