Amok, Politik und Medien
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Themen am Wochenende: Der Papst, ein Friedensschwurbler? Ein PlĂ€doyer fĂŒr die Politologin Ulrike GuĂ©rot. Und wie Telepolis ĂŒber den Massenmord in Hamburg berichtet â und wie nicht.
Liebe Leserinnen und Leser,
1. Eine politische LoyalitÀtserklÀrung der Uni Bonn und der Fall Ulrike Guérot.
2. Kann Papst Franziskus der Ukraine Frieden bringen?
3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Wie Medien und Politik mit AmoklĂ€ufen umgehen â und sich doch nichts Ă€ndert.
Doch der Reihe nach.
Ulrike Guérot, die Uni Bonn und das Nato-Narrativ
Den geplanten Rauswurf der Politologin Ulrike GuĂ©rot an der Uni Bonn [1] beleuchtet heute Telepolis-Autor Johannes Schillo. Unisono sei Unwissenschaftlichkeit von GuĂ©rots Positionen festgestellt worden, die â so könne man die VorwĂŒrfe laut Schillo auf den Punkt bringen â nicht dem Nato-Narrativ folgten.
"Das Bonner Uni-Rektorat verabschiedete 2022 eine ErklĂ€rung, die sich zur Parteinahme fĂŒr den Westen und gegen Russland bekannte und noch ohne Nennung GuĂ©rots den Rahmen setzte, in dem der wissenschaftliche Diskurs stattzufinden habe; womit auch klargestellt war, dass weitergehende juristische Möglichkeiten zum Ausschluss dissidenter Meinungen geprĂŒft werden sollten", so Schillo.
Das ist mittlerweile geschehen. Der bekannte Plagiatsforscher Stefan Weber hat in Telepolis darĂŒber berichtet: Die Uni Bonn hat der Wissenschaftlerin, so weit bekannt, gekĂŒndigt, und nun "tobt die Debatte: Waren Plagiate Auslöser oder politisches Engagement? Der Fall geht wohl vor Gericht." Weber eiert in seinem Text etwas herum, um den offenkundigen Zusammenhang der KĂŒndigung mit der ĂuĂerung abweichender politischer Meinungen in den Hintergrund zu rĂŒcken.
Telepolis hatte zu dem Thema bereits einen Text von Stefan Weber veröffentlicht [2] und wird den Fall weiter verfolgen.
Das MilitĂ€r als GroĂkonzern â zwei Fallstudien
Zur Rolle des MilitĂ€rs als Wirtschaftsakteur in Ăgypten und Pakistan schreibt an diesem Wochenende Telepolis-Autor Uwe Kerkow. In beiden LĂ€ndern gebe das MilitĂ€r nicht nur politisch den Ton an, die StreitkrĂ€fte spielten auch wirtschaftlich eine herausragende Rolle.
In beiden LĂ€ndern genieĂe die Armee ein hohes Ansehen. Zugleich seien die Staaten hoch verschuldet und stĂŒnden am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Kerkow dazu: "Der Verdacht liegt nahe, dass die MilitĂ€rs zumindest eine Mitschuld an der wirtschaftlichen Misere tragen."
Was in China nach 1998 anders gelaufen ist, lesen Sie in Kerkows Text am Sonntag
Frieden aus dem Vatikan?
Kann der Vatikan in der Ukraine fĂŒr Frieden sorgen? Er stehe dem russischen PrĂ€sidenten Putin fĂŒr GesprĂ€che zur VerfĂŒgung, sagte der amtierende Papst Franziskus soeben dem italienisch-schweizerischen Fernsehsender RSI, schreibt der ehemalige Fernsehjournalist Franz Alt.
In dem Kommentar, der am Sonntag bei Telepolis erscheint, verweist Alt auf die Notwendigkeit, auszuloten, "wie der Frieden wiederhergestellt werden könne".
"Der Krieg wĂŒte zwar in der Ukraine, doch seien mittlerweile neben Russland alle GroĂmĂ€chte der Welt darin verstrickt und verfolgten eigene, imperiale Interessen. Die Gefahr eines dritten Weltkrieges sei dementsprechend unvermindert hoch, erklĂ€rte das Oberhaupt der Katholischen Kirche. Und damit auch die Gefahr eines alles vernichtenden Atomkriegs.
Wem der Amok dienlich ist
Bei einem Massenmord, wie er am Donnerstagabend in einem Versammlungsraum der Gruppierung "Zeugen Jehovas" verĂŒbt wurde, reagieren Politik und Medien nach einstudierten Schemata: Betroffenheit in der Politik, Sensationslust in der Presse. Muss man dieses Spiel mitspielen?
Die Frage ist, ob Politiker und Medien ihrem jeweiligen Auftrag gerecht werden, oder ob sie die Tragödie fĂŒr eigene Zwecke nutzen: öffentlichkeitswirksame Inszenierung hier, Zugriffe und Verkaufsquote dort.
Am Morgen nach der Tat meldete sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Wort; gedĂ€mpfte Stimme, Gedanken bei den Opfern, Dank an die EinsatzkrĂ€fte. Den Scholzâschen Terminkalender brachte die Bluttat nicht durcheinander, auf dem Programm stand eine Handwerksmesse in MĂŒnchen. Nach Hamburg fuhr Scholzâ Genossin und Innenministerin Nancy Faeser.
Solche Entscheidungen folgen einem klaren KalkĂŒl. Jedes Wort wird von den PressestĂ€ben vorgelegt, ein Ortstermin wird nach der Bedeutung entschieden, die der Tat beigemessen wird. Es sind berechnende Entscheidungen, die mit der nach auĂen zur Schau gestellten Empathie wenig gemein haben.
Auch die Medienaufmerksamkeit wirft Fragen auf. Rechtfertigt die Tat dutzende BeitrĂ€ge, Live-Berichte vom Ort des Geschehens, oder â wenn man als Mensch und Journalist keinem ethischen MaĂstab folgt wie eine groĂe Boulevardzeitung â Bilder von Tatort und TĂ€ter? Bis zu welchem Punkt ist das gerechtfertigt, ab wann bedient es nur noch ein voyeuristisches Interesse?
NatĂŒrlich ist ein solcher Massenmord eine Tragödie fĂŒr die unmittelbar Betroffenen. Ebenso wie die oft höheren Todeszahlen durch VerkehrsunfĂ€lle an einem Wochenende auf deutschen StraĂen. FĂŒr die Gesellschaft, der Politik und Medien verpflichtet sind, stellt sich die Frage, wie eine solche Tat wie im Hamburg (und die Verkehrstoten) verhindert werden können. Und da, auf einmal: Totalversagen. Nur fĂŒnf Punkte:
1. Aufgrund von PersonalengpĂ€ssen gehe die Polizei bei ihrer Arbeit oft an ihre Grenzen, warnte die Gewerkschaft GdP bereits 2018. Entsprechende Warnungen werden jĂ€hrlich laut. Nach den 2018er-Angaben der GdP waren damals 20.000 Stellen unbesetzt. Die Verantwortung hierfĂŒr liege in erster Linie beim Staat, zumal im Laufe der Jahre insgesamt 16.000 Stellen bei der Polizei abgebaut worden seien. Dies fĂŒhre dazu, dass bestehende PolizeikrĂ€fte im Regeldienst gebunden sind, spontane EinsĂ€tze seien fast unmöglich.
2. Der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst prognostizierte im vergangenen Dezember eine VerschĂ€rfung des Personalmangels bei NotĂ€rzten und RettungssanitĂ€tern. "Aus Befragungen der RettungskrĂ€fte ist bekannt, dass sich 90 Prozent nicht vorstellen können, bis zu ihrer Rente im Beruf zu bleiben", sagte der Vize-Vorsitzende des Verbandes, Frank Flake, der Augsburger Allgemeinen. Rund 40 Prozent der Kolleginnen und Kollegen dĂ€chten ĂŒber einen Berufswechsel nach.
3. Es fehlt an PrĂ€vention gegen die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Der DGB wies 2021 darauf hin, dass mehr als zwei Drittel der BeschĂ€ftigten im öffentlichen Sektor (67 Prozent) in den zwei Vorjahren wĂ€hrend der Arbeit beleidigt, beschimpft, bedroht oder angegriffen wurden. 57 Prozent der Befragten gaben an, die Gewalt habe zugenommen. "Wir brauchen mehr Geld fĂŒr Personal, fĂŒr eine moderne und funktionstĂŒchtige Infrastruktur. Der Staat muss in der FlĂ€che wieder prĂ€senter sein", sagte damals die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.
4. Seit Jahren herrscht Personalmangel in deutschen Psychiatrien. Eine Online-Umfrage der Gewerkschaft Verdi unter Psychiatrie-Mitarbeitern aus dem Jahr 2017 weist darauf hin, dass der Pflegenotstand zu mehr Gewalt gegen BeschĂ€ftigte gefĂŒhrt hat. Verdi forderte mehr Fachpersonal. Der Personalmangel betrifft auch die sĂ€kulare und kirchliche Seelsorge.
5. Die ausstehende Reform des Waffenrechtes. Die forderte Innenministerin Faeser am Hamburger Tatort erneut. Unter anderem soll jeder neue Waffenhalter ein Ă€rztliches oder psychologisches Zeugnis ĂŒber die eigene Eignung vorlegen mĂŒssen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat dies bislang verhindert. Sein Ministerium legte Widerspruch ein, der Gesetzentwurf ist damit blockiert. Lindner verlangt, zunĂ€chst bestehenden Regelungen umfassend zu ĂŒberprĂŒfen.
Das sind nur fĂŒnf strukturelle GrĂŒnde. NatĂŒrlich ist das alles weniger aufregend als die Amok-Berichterstattung der letzten zwei Tage, es wĂ€ren aber die wichtigen Themen, nicht nur nach solchen Gewalttaten.
Bei Telepolis haben wir uns gegen eine aktuelle Berichterstattung ĂŒber den Massenmord von Hamburg entschieden. DafĂŒr gab es unmittelbare GrĂŒnde: Telepolis ist kein Breitenmedium, wir stehen nicht in der Pflicht, zu berichten, was ĂŒberall anders zu lesen ist. Götz Eisenberg, der als GefĂ€ngnispsychologe arbeitete, hat das Geschehen kommentierend eingeordnet. Wir werden die genannten HintergrĂŒnde weiter beleuchten und darĂŒber informieren, was in der Amok-Berichterstattung â und danach â fehlt.
Artikel zum Thema:
Götz Eisenberg: Racheakt oder Amok? [3]
David GoeĂmann: Das Buffalo-Massaker: Rechter Terror, der aus dem Mainstream kommt [4]
Elias Feroz: Vereitelter Amoklauf in Essen: Wenn nur WeiĂe psychische Probleme haben [5]
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7542880
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Ulrike-im-Wunderland-7539442.html?seite=all
[2] https://www.telepolis.de/features/Fall-Guerot-Kuendigung-wegen-Querdenkens-oder-Nichtdenkens-7527536.html
[3] https://www.telepolis.de/features/Racheakt-oder-Amok-7542267.html
[4] https://www.telepolis.de/features/Das-Buffalo-Massaker-Rechter-Terror-der-aus-dem-Mainstream-kommt-7096475.html
[5] https://www.telepolis.de/features/Vereitelter-Amoklauf-in-Essen-Wenn-nur-Weisse-psychische-Probleme-haben-7102539.html
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