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An der maritimen Seidenstraße

Kra Isthmus. Foto: 靖天子/gemeinfrei

China baut beharrlich seine Präsenz an strategisch wichtigen Orten aus

Es gab bereits Angebote zur Finanzierung des Kra-Kanals (Wie China das Malakka-Dilemma umschiffen will [1]), insbesondere aus Chinas Privatwirtschaft. Das Interesse der Chinesen wurde um 2005 erstmals publik, dann blieb es zunächst ruhig. Mit der One Belt, One Road-Initiative (OBOR) [2] ist das Thema wieder auf dem Tisch.

Die Chinesen sehen die Möglichkeit, ihrer neuen maritimen Seidenstraße mit dem Kra-Kanal einen weiteren Mosaikstein hinzuzufügen - auch wenn der Kanal bis zumindest vor kurzem nicht offiziell Teil von OBOR [3] war.

In Peking hält man sich bedeckt, man möchte nicht vorgreifen, solange das Projekt kein grünes Licht aus Bangkok hat. Doch Lyu Jian, Chinas Botschafter in Thailand, hatte auf hochrangigen Treffen klargemacht [4], dass der Kanal durchaus Teil von OBOR ist. Das war die erste Äußerung offizieller chinesischer Stellen zum Thema, auch wenn chinesische Unternehmen längst vor Ort sind und das Potential des Vorhabens ausloten.

Darüber hinaus wollen die Chinesen die Zusammenarbeit mit der thailändischen Militärregierung stärken. Die will mit dem Eastern Economic Corridor [5] die Entwicklung von Industrie, Logistik und Bauwesen voranbringen und die Wirtschaft des Landes wiederbeleben, die zwar die zweitgrößte Südostasiens ist, jedoch seit einigen Jahren schwächelt [6]. Eines der chinesisch-thailändischen Gemeinschaftsprojekte: die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke [7], die beide Länder über Laos verbinden soll.

Global betrachtet geht es bei der OBOR-Infrastruktur-Offensive [8] um die Modernisierung uralter asiatischer Handelswege, zu denen auch die Route entlang der chinesischen Küste durch die Straße von Malakka nach Indien und weiter zum Persischen Golf und ins Zweistromland oder zum Roten Meer und nach Ägypten oder Palästina gehörte. Die Chinesen wollen ihr Land mit einem Netzwerk aus Straßen, Schienensträngen und Seewegen an die Welt ankoppeln und setzen dabei auf Zusammenarbeit. Das wird insbesondere in jenen Ländern geschätzt, denen der Kolonialismus europäischer Prägung leidvolle Erfahrungen in ihre Geschichte gebrannt hat.

Die Kosten des Kra-Kanals werden auf 28 Milliarden US-Dollar geschätzt, weitere 22 Milliarden US-Dollar sind für die Entwicklung einer mit dem Kanal verbundenen Sonderwirtschaftszone vorgesehen. Es wird erwartet, dass sich dieses Investitionsniveau positiv auf die Kommunen vor Ort auswirken wird, ebenso wie die verbesserte Infrastruktur, die durch die Verbindung beider Enden des Kanals erhofft wird. Zweifler befürchten jedoch, dass die zunächst angestrebten neuen Machbarkeitsstudien einzig dem Zweck dienen, die Taschen begünstigter "Boys" aus der Vetternwirtschaft zu füllen, ohne dass eine spätere ernsthafte Umsetzung des Vorhabens überhaupt vorgesehen ist.

Dabei bringt das Projekt schon ganze ohne menschliches Zutun seine eigenen, technischen Herausforderungen mit sich. Das Hauptproblem sämtlicher vorangegangener Versuche: die Granite des Tenasserim-Gebirges. Die sind auch heute noch im Weg. Die Bergkette ließe sich mit einem Schleusensystem überwinden, doch das würde den Baupreis dramatisch in die Höhe treiben - der Kostenvoranschlag bezieht sich auf einen Kanal, der ohne Schleusen auskommt.

Kra-Kanal, ausgewählte Projektvarianten und Lage im Hauptschifffahrtsnetz. Bisher gab es insgesamt 14 verschiedene vorgeschlagene Kanalrouten. Ob der Kanal am Ende gebaut wird, bleibt offen. Sollte er kommen, hätte das deutliche Auswirkungen auf das geostrategische Kräftespiel in Südostasien. Bild [9]: Maximilian Dörrbecker (Chumwa) - CIA World Factbook, gemeinfrei

Das Auftreten Chinas als alleiniger Finanzier des Projekts hätte weitreichende Folgen für die geopolitische Landschaft der Region [10]. Für die Kanaladvokaten sind neben China deshalb auch weitere Finanzierungspartner wünschenswert, wie etwa Japan, Südkorea, Indien, die USA oder einzelne Mitgliedsländer des Verbands Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN). Doch diese Gedankenspiele sind mit Fragezeichen versehen.

Denn gerade den USA dürfte die bestehende Situation entgegenkommen, zumal sich seit der Machtübernahme durch das Militär die Beziehungen zu Thailand abgekühlt haben. Die Straßen von Malakka und Lombok sind in den Augen der US-Strategen formidable Flaschenhälse [11], an denen sich im Ernstfall bedeutende Mengen Energieträger- und Güterverkehr in beide Richtungen abschneiden ließen.

Das US-Verteidigungsministerium zählt die Gewässer Südostasiens zu den mindestens acht über den Globus verstreut liegenden "US Lifelines and Transit Regions", die das besondere Augenmerk der USA erfordern. Unter Barack Obama hatten die USA mit ihrer "Asia Pivot"-Doktrin Anstrengungen in die Wege geleitet, die ein In-Schach-Halten Pekings zum Ziel hatten. Daran wird sich unter Donald Trumps "America first" nicht viel ändern, auch wenn nun offiziell die wirtschaftlichen Aspekte [12] in den Beziehungen zu Asien stärker betont werden sollen. Bewährte Werkzeuge imperialer Politik, von denen auch die US-Amerikaner immer wieder gern Gebrauch gemacht haben: ein weitgehendes Nichtzulassen wirtschaftlicher Entwicklung in der Region sowie das Ausspielen von Nachbarn gegeneinander.

Spagatkünstler im geostrategischen Wettbewerb

Das Auftreten Chinas in der Region hingegen ist im wahrsten Sinne des Wortes konstruktiver. Zum einen bringen sich die Chinesen stärker in multilaterale Institutionen in der Gegend ein und versuchen, die bilateralen Beziehungen zu den einzelnen ASEAN-Mitgliedsstaaten zu verbessern. Die würden gern an der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas teilhaben, doch sorgen sie sich andererseits, dass ein noch mächtiger werdendes China zu einer Verbannung der übrigen Länder an die Peripherie des globalen Geschehens zur Folge haben könnte. Des Weiteren schwelen Konflikte in der Region, für die sich keine Lösungen abzeichnen, etwa Streitigkeiten über die Nutzungsrechte an den Ressourcen des Südchinesischen Meeres.

Potentielle Profiteure eines Kanals durch die Kra-Landenge gibt es einige, zum Beispiel Vietnam. 2015 wurde bekannt, dass fast direkt gegenüber vom geplanten Kanaleingang, dem Südzipfel der indochinesischen Halbinsel vorgelagert, der neue Tiefwasserhafen Hon Khoai [13] entstehen soll.

Oder Sri Lanka, nicht weit entfernt vom anderen Ende des geplanten Kanals gelegen. Der Inselstaat könnte mit OBOR zu einem weiter wachsenden Verkehrsknotenpunkt in der globalen Seefahrt werden - China investiert hier längst in die Infrastruktur des neuen Hafens von Hambantota [14]. In der Hauptstadt betreiben die Chinesen bereits das Colombo International Container Terminal, das zur Zeit einzige Tiefwasser-Terminal Sri Lankas - jener Insel, deren Geschichte die englische Sprache die einen Hauch Exotik verströmende Vokabel "serendipity" verdankt - "glücklicher Zufall". Vor Ort träumt man bereits vom Singapur des Indischen Ozeans.

Die Befindlichkeiten in der Region sind äußerst nuancenreich, propagierte Win-Win-Situationen können schnell zum Spagat zwischen den Interessen der hier agierenden Mächte werden. Der vietnamesische Hafen von Hon Khoai beispielsweise wird zu 85% von der U.S. Export-Import Bank finanziert [15]. Ein späteres Ankern von US-Kriegsschiffen an diesem strategisch wichtigen Punkt ist damit denkbar. Ein vergleichbares Szenario, dass etwa chinesische U-Boote im sri-lankischen Hambantota anlegen, wird dort hingegen kategorisch ausgeschlossen [16].

Auf Sri Lanka sieht man sich Indien verpflichtet, die Inder wiederum rücken seit einiger Zeit enger mit den USA zusammen. Indien arbeitet zudem an den strategischen Beziehungen zu Australien und Japan und erweitert seine Marinekapazitäten auf den Nikobaren und den Andamanen, keine 600 Kilometer vom geplanten Kanal entfernt. Und auf den gleich nordöstlich von den Andamanen befindlichen, zu Myanmar zählenden Kokosinseln sollen sich die Chinesen das Treiben aus unmittelbarer Nähe ansehen. Seit den 1990er Jahren auftauchende Berichte [17] über eine hier vermutete chinesische Station zur Radarüberwachung und elektronischen Aufklärung sind jedoch nach wie vor nicht bestätigt.

Störfeuer in Myanmar

Für China ist die Rolle des Großinvestors in der Region unter diesen Umständen eine Gratwanderung. Denn wie schnell Großinvestitionen bedroht sein können, lässt sich derzeit beispielsweise in Myanmar beobachten [18], ein Land, zu dem die Chinesen traditionell weitgehend gute Beziehungen haben.

Vor einigen Jahren wurde an der Küste des Rakhaing-Staates mit dem Bau einer Öl- und einer Gasleitung begonnen. Sie verlaufen von Kyaukphyu auf der Maday-Insel nach Kunming in der chinesischen Provinz Yunnan und sollen helfen, die Energieengpässe im Südwesten Chinas zu beheben. Das Erdgas stammt aus dem nahen Shwe-Gasfeld [19], das Öl aus dem Mittleren Osten und Westafrika: Es wird mit Tankern in den neuen Tiefwasserhafen von Kyaukphyu im Rakhaing-Staat gebracht, ebenfalls ein OBOR-Projekt [20]. Die dafür abgestellten Tanker müssen nun nicht mehr die südostasiatischen Nadelöhre befahren. Die Gaspipeline wurde 2013 in Betrieb genommen, das Öl fließt seit 2017 [21].

2012 kam es kurz vor Fertigstellung der Trassen zu einer Serie von Zusammenstößen zwischen Rohingya-Muslimen und ethnischen Arakanesen, die sich zum Buddhismus bekennen. Myanmar verhängte den Ausnahmezustand im Rakhaing-Staat. Die 2016 mit Angriffen hunderter Muslime auf Grenzpolizeistationen erneut aufflackernden Unruhen stellen im Vergleich zu den vorangegangenen Ausschreitungen eine neue Stufe der Eskalation dar. Sie dauern bis heute an und haben zu einer massiven Flüchtlingswelle geführt.

Historiker nehmen an, dass ein Großteil der Rohingya im 19. und 20. Jahrhundert mit den britischen Kolonialherren aus Bengalen kam, eine Konstellation, in der spätere Konflikte bereits vorprogrammiert waren. Obwohl diese Volksgruppe eine unter mehr als 100 anderen ethnischen Minderheiten im heutigen Myanmar ist, war sie vor Ausbruch der Flüchtlingskrise die größte im Norden des Rakhaing-Staates, dort, wo sich die aktuellen Unruhen konzentrieren. Die Pipelines verlaufen zwar etwas weiter südlich vom Konfliktherd, Anschläge werden deshalb jedoch nicht ausgeschlossen.

Unterdessen führte der Rohingya-Flüchtlingsstrom zu Spannungen mit Bangladesch und zu internationalen Protesten. Die Vereinten Nationen stuften die an Rohingya begangenen Menschenrechtsverletzungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Im Gegensatz zur westlichen Welt und den islamischen Staaten, die angesichts der Flüchtlingskrise Druck auf die Regierung von Aung San Suu Kyi machen, unterstützt China Myanmar. Die Chinesen haben darüber hinaus angeboten, zwischen Myanmar und Bangladesch als Vermittler aufzutreten [22]. Welche Rolle die Rohingya-Diaspora in Saudi-Arabien und andere Unterstützergruppen beim erneuten Hochfahren des Konflikts spielten, ist Gegenstand von Erörterungen [23].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4047647

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Wie-China-das-Malakka-Dilemma-umschiffen-will-4038728.html
[2] http://en.ndrc.gov.cn/newsrelease/201503/t20150330_669367.html
[3] http://www.visualcapitalist.com/wp-content/uploads/2018/03/one-belt-one-road.html
[4] http://www.atimes.com/article/man-plan-canal-thailand/
[5] https://www.aseanbriefing.com/news/2017/04/28/thailand-eastern-economic-corridor.html
[6] https://www.reuters.com/article/us-thailand-investment/thailand-approves-law-for-45-billion-eastern-economic-corridor-idUSKBN1FS24B
[7] https://www.reuters.com/article/us-thailand-china-railway/after-delays-ground-broken-for-thailand-china-railway-project-idUSKBN1EF1E6
[8] https://www.youtube.com/watch?v=PbQqjdEBXqM
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Kra-Kanal#/media/File:Thai_Canal_map-de.jpg
[10] https://www.military.com/daily-news/2017/10/04/geopolitic-kra-canal.html
[11] https://www.globalsecurity.org/military/world/chokepoints.htm
[12] https://www.chinausfocus.com/foreign-policy/how-different-is-trumps-asia-policy
[13] https://www.marinelink.com/news/vietnam-seaport-eyeing396519
[14] https://www.brecorder.com/2017/12/09/385824/sri-lanka-joins-chinas-one-belt-one-road-with-operations-of-hambantota-port/
[15] http://www.straitstimes.com/opinion/new-viet-port-a-clue-to-kra-canal
[16] https://www.firstpost.com/world/belt-and-road-forum-sri-lanka-backs-india-on-obor-says-project-goes-through-heart-of-indian-interests-3450700.html
[17] https://thediplomat.com/2015/02/the-small-islands-holding-the-key-to-the-indian-ocean/
[18] https://www.irrawaddy.com/opinion/editorial/burma-stand-chinas-one-belt-one-road.html
[19] http://www.offshore-technology.com/projects/shwe-natural-gas-project/
[20] https://www.reuters.com/article/china-silkroad-myanmar-port/china-to-take-70-percent-stake-in-strategic-port-in-myanmar-official-idUSL4N1MS3UB
[21] http://www.chinadaily.com.cn/business/2017-04/12/content_28886175.htm
[22] http://www.scmp.com/news/china/diplomacy-defence/article/2120563/china-willing-help-bangladesh-and-myanmar-defuse
[23] https://www.crisisgroup.org/asia/south-east-asia/myanmar/283-myanmar-new-muslim-insurgency-rakhine-state