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Analoge versus Digitale Seele

Ray Kurzweil, der Tod und die Singularität

Bei einer Tagung in Brüssel hatte ich 2011 die Gelegenheit, über die etwas fernere Zukunft (ab 2060) mitzudiskutieren. Es war eine rein akademische Übung, da unsere kühnen Prognosen bis dahin längst vergessen sein werden. Man durfte also der Phantasie freien Lauf lassen. Die Zusammensetzung der Tagungsteilnehmer war dennoch etwas ungewöhnlich: Sie bestand zu einem Drittel aus Wissenschaftlern, einem Drittel Internet-Magnaten und einem Drittel Singularians.

Die zweite Gruppe von Diskutanten trifft man immer häufiger: Wer früh eine Million im Internet verdient hat, darf über alles reden, womöglich sogar über Kernphysik, auch wenn das eigene Webportal nur Schuhe vertreibt. Die Singularians haben aber die Konferenz eindeutig dominiert: Dort, wo Fachleute widerstrebend etwas über die nächsten zehn Jahre zu sagen wagen, überschlagen sich die Singularians mit Ankündigungen: Bis 2060 z.B. werden Computer viel intelligenter als Menschen sein, Nanotechnologie wird synthetische Biologie erlauben, wir werden menschliche Organe mit dem 3D-Drucker anfertigen können, Nanobots werden unseren Körper ständig reparieren und wir werden unser Bewusstsein auf Roboter "uploaden" können.

Der Tod wird gleich doppelt besiegt: Durch die Nanobot-Medizin werden wir nicht mehr altern; für den Fall der Fälle werden jedoch robotische Avatare bereitstehen unsere Gehirn-Software aufzunehmen, so dass wir in einem eisernen Körper weiterleben können. Je länger der Abend und abenteuerlicher die Vorhersagen, desto mehr Beifall gab es vom Publikum.

Die Singularität

Ray Kurzweil hat den Begriff der Singularität nicht erfunden aber popularisiert.1 [1] Die Singularität wäre der Zeitpunkt, ab dem Computer mehr logische Elemente (wegen des Mooreschen Gesetzes) als ein Menschengehirn enthalten. Für Kurzweil ist dies auch der Augenblick, ab dem Computer intelligenter als Menschen sein werden. D.h. die Kurve der maschinellen Intelligenz schneidet die Kurve der menschlichen und gerade dieser Knotenpunkt ist die viel gefeierte technologische Singularität. Ab da lässt sich die Zukunft der Menschheit kaum vorhersagen, da Computer sich weiter entwickeln, superintelligent werden und die Welt vollkommen umformen könnten.

Kurzweil hat in all seinen Büchern für diese Idee (man sollte besser sagen: für seine inbrünstige Hoffnung) begeistert geworben und mit Gleichgesinnten die Singularity University in Kalifornien gegründet, wo rund um diese Fragen unterrichtet und debattiert wird. Die Singularians bilden längst eine weltweite Bewegung, die ständig neue Anhänger gewinnt.

Kurioserweise sind viele der prominentesten Singularians Milliardäre. Beispielsweise der russische Krösus Dmitry Itskov, der kürzlich ein "Avatar-Projekt" mit dem Ziel gestartet hat, bis 2035 Roboter zu entwickeln, bei denen man seine Persönlichkeit "uploaden" kann. Bis 2045 könnte man sogar in einem Hologramm-Avatar weiterleben. Und auch da, wo nicht mal Kurzweil sich so weit aus dem Fenster lehnt, macht Itskov ernst: "Evolution 2045" ist außerdem eine politische Partei, die gegründet wurde, um diese Ziele mit aller Kraft durchzusetzen (als Partei vorläufig nur in Russland: www.2045.com [2]).

Solchen Ankündigungen kann man einzig entnehmen kann, dass die Todesfurcht immer größer wird, je mehr Geld einige auf dem Konto haben. Die Legende besagt, dass paradierenden römischen Generälen "Memento Mori" ins Ohr geflüstert wurde, so dass sie die eigene Vergänglichkeit nicht vergessen. Für Singularians klingt "Memento Mori" eher als Appell: Bevor es so weit kommt, muss etwas geschehen.

Das Leib-Seele-Problem

Frappierend bei den Singularians ist, wie sie eigentlich zur traditionellen dualistischen Philosophie zurückgekehrt sind. Die westliche Philosophie ähnelt einem Schlachtfeld, auf dem seit Jahrhunderten die Frage der Beziehung zwischen Leib und Seele thematisiert wird.

Für René Descartes waren beide eindeutig unterschiedliche Substanzen. Und dies, weil man mit dem inneren Auge das Ich, die eigenen Gedanken, wahrnehmen kann, ohne jegliche Referenz zum Körper, so dass beides getrennte Sachen sein müssen. Dies führt im Endeffekt zur Frage des präzisen Mechanismus der Steuerung des Leibs durch die Seele. Descartes dachte, dass die Zirbeldrüse im Gehirn die Kommandostelle der Seele wäre (heute wissen wir, dass die Zirbeldrüse Melatonin produziert). Nach Descartes könnte der menschliche Körper rein mechanisch funktionieren, da Nervenbahnen nur Signale zum Gehirn übertragen und von diesem Befehle erhalten. In der Zirbeldrüse, dachte er, konzentrieren sich alle Signale und bewirken Änderungen im Gehirn. Gerade an dieser Stelle könnte deswegen die immaterielle Seele optimal wirken und an allen leiblichen Hebeln ziehen.

Die Zirbeldrüse vermittelt zwischen Wärmewahrnehmung und Bewusstsein. Aus: René Descartes: Tractatus de homine et de formatione foetus (1686).

Glaubt man an eine körperlose Seele, die unsterblich ist, dann ist eine solche Lösung des Leib-Seele-Problems etwas zu platt, da am Ende irgendeine magische Wirkung der unstofflichen Seele über die Materie notwendig wird. Viel eleganter ist daher die Lösung von Leibniz, der einen vorherbestimmten Gleichklang zwischen Seele und Leib postulierte. Beide bewegen sich in Parallelwelten in einer "prästabilierten Harmonie" wie zwei Uhren oder Automaten, die synchron von Gott gestartet wurden. Anscheinend steuert die Seele den Körper, dies ist jedoch nur ein Trugschluss. Die getrennte Dimension der Seele nennt Leibniz sogar einen "geistigen oder formalen Automaten".2 [3] Und da Leibniz auch die Erfolge der Variationsrechnung kannte, bewegte sich die Welt am physikalischen Optimum, in der besten aller möglichen Bahnen (was Leibniz bald den Hohn von Voltaire bescherte).

Die Singularians beziehen sich bei ihrem Dualismus nicht auf Descartes, Leibniz oder gar Plato, sondern auf die heutige Computertechnologie. Diese bietet mit ihrer Trennung zwischen Hard- und Software eine ausgezeichnete Alternative für die Aufklärung des Leib-Seele-Problems. Der Leib, das ist nur die Hardware, die etwas zufällig durch den Evolutionsprozess gestaltet wurde. Die Software, das ist die Steuerung. Es ist das implizite Programm, das alle unsere Aktionen regelt. Das neuronale Programm ist in der Vernetzung des Gehirns und in den Kopplungsstärken versteckt. Man muss dieses Programm nur "ablesen" und übertragen, um einen Körperersatz zu erhalten.

Das Gehirn arbeitet analog

Vor Jahren saß ich in einem Vortrag, bei dem ein Biologe gewisse Zellprozesse mit den Worten erklärte, die Zelle würde "errechnen", was die passende Antwort zu einem Proteinsignal wäre und diese dann ausführen. Wir haben uns so sehr an den Computer gewöhnt, dass die Welt um uns herum gleichsam wie zahlreiche vernetzte Computer erscheint. Man könnte z.B. denken, dass das Solarsystem nur ein Riesencomputer ist, der alle Kräfte zwischen Sonne und Planeten in Echtzeit auswertet und die Lösung der entsprechenden Differentialgleichungen blitzschnell bereitstellt. Wenn wir physikalische Prozesse als Rechenprozesse umdeuten, sieht man überall Gespenster (Rechenmaschinen), sei es im Himmel oder in der Zelle, eine nicht zulässige Projektion unserer menschlichen Erwartungen.

Mit dem Gehirn wird eine ähnliche Umdeutung angestellt. Eigentlich ist ein Zerebrum ein über Jahrmillionen entwickeltes biologisches System, um den Körper am besten durch den täglichen Existenzkampf zu bringen. Bakterien lassen es sich gut gehen - ohne Gehirn und Kognition. Raubtiere müssen aber etwas listiger als die Beute sein. Gehirn und Kognition sind nur das Ergebnis des unkontrollierten Wettrüstens zwischen Raub- und Beutetieren.

Denken ist nicht rechnen - es ist das, was das Gehirn tut. Und das ist ein physikalischer Prozess, bei dem Signale hin und her flitzen, bis an einer Stelle "Angreifen" oder "Wegrennen" ausgelöst wird. Die Tatsache, dass wir heute in der Lage sind, mit Computern solche makroskopischen Verhaltensmuster teilweise grob so zu imitieren, dass Roboter sich wie etwas Lebendiges verhalten können, verwandelt das Gehirn noch immer nicht in einen Computer. Vor allem nicht in einen Digitalrechner mit einer Von-Neumann-Architektur, bei dem gespeichertes Programm und Prozessor deutlich voneinander getrennte Sachen sind.

Außerdem: Das Gehirn arbeitet "analog". Analogrechner sind gut bekannt: Eine Taschenuhr mit Ziffernblatt ist ein Analogrechner. Mit Widerständen und Kondensatoren kann man Schaltungen entwerfen, die Gleichungen lösen. D.h. ein physikalisches Analogon wird aufgebaut, das sich grob so verhält wie das zu untersuchende System, beispielsweise ein Flugkörper. Ist die Übereinstimmung gut, kann man an der Schaltung Parameter ändern und eine Vorhersage über das Flugverhalten treffen. Ein Analogrechner ist daher nur eine Simulation eines physikalischen Prozesses, mit einem anderen kleineren und einfacher zu handhabenden System.

Das ist die wirklich schlechte Botschaft für die Singularians: Das Gehirn ist kein Digitalrechner und die Trennung zwischen Soft- und Hardware ist überhaupt nicht vorhanden. Man kann das "Programm", das "Ich", nicht vom materiellen Substrat trennen. Wir sind, was wir sind, weil unsere Zellen nicht rechnen, sondern chemisch und physikalisch interagieren. Wir sind eben die Hardware, die uns trägt. Versagt die Hardware, ist leider Schluss.

Man könnte sich trotzdem fragen, ob wir das Gehirn mit einem analogen einfacheren System abbilden könnten. Aber angesichts der Komplexität und Selbstorganisation des Gehirns ist es unvermeidlich, dass kein kleineres physikalisches System die Vorgänge im Gehirn Eins zu Eins abbilden kann. Das kompakteste Modell meines Gehirns ist mein Gehirn selbst.

Digitale Simulation des Gehirns?

Wir sind also nur der Leib, der seine Seele trägt. Auch wenn man sich auf ein Gedankenexperiment einlassen und die von Ray Kurzweil erhoffte Möglichkeit eines Uploads des Bewusstseins in eine Maschine annehmen würde, müsste man nach dem Upload den Kurzweil aus Fleisch und Blut z.B. fragen, ob er mit der Vernichtung seines Körpers einverstanden wäre, da er doch ohnehin bereits in die Maschine "übertragen" worden sei. Man könnte außerdem aus Sicherheitsgründen Kurzweil auf zehn Roboter übertragen, von denen z.B. acht fehlerlos arbeiten würden. Wer wäre dann der echte Kurzweil?

Letzteres Problem beiseite gelassen könnten Singularians behaupten, dass eine Analogschaltung (wie das Gehirn) durch einen universellen Digitalrechner simuliert werden kann. Man würde nicht versuchen, das Gehirn materiell Eins-zu-Eins zu kopieren, sondern nur seine Funktionsweise. Dagegen spricht, dass eine vollständige Simulation eines so komplexen Systems nicht mit vertretbarem Aufwand zu schaffen wäre.

Ray Kurzweil (2006) noch nicht im Computer uploaded. Bild [4]: Michael Lutch/CC-By-1.0 [5]

Heute wissen wir, dass viele physikalische Vorgänge chaotisch ablaufen. Dies bedeutet nur, dass kleinste Unterschiede der Anfangsbedingungen später zu beliebig großen Abweichungen des Systemzustands führen. Ein Digitalrechner diskretisiert die Anfangsbedingungen und propagiert immer einen Restfehler. Wenn wir z.B. nur die Interaktion zwischen N geladenen Teilchen betrachten, die frei im Raum schweben, und ihre Bewegung simulieren möchten, müssten wir das sogenannte N-Körper-Problem rechnerisch bewältigen. Die präzise Ortung eines einzigen der N-Partikel ist ein Problem in der Komplexitätsklasse PSPACE (eine Klasse von Problemen, die die berühmte Klasse der NP-Probleme wie das Traveling-Salesman enthält). D.h. bereits bei einer solchen Simulation eines simplen analogen Systems im dreidimensionalen Raum würde eine kombinatorische Explosion entstehen, sobald wir versuchen, das analoge System so genau wie möglich digital zu simulieren.3 [6]

Wir könnten also sogar mit einer perfekten Kopie von Ray Kurzweil starten, aber wir könnten nicht mit realistischem Aufwand alle seine Neuronen präzis simulieren (die ja viel komplexer als ein N-Körper-Problem sind). Wer möchte eine Kopie von sich selbst haben, die dann in Zeitlupe und fehlerbehaftet vor sich hin dümpelt?

Singularians könnten erwidern, dass es vielleicht andere Berechenbarkeitsmodelle gibt, bei denen eine solche Simulation eines Gehirns möglich wäre. Es ist aber bis jetzt kein Modell vorgeschlagen worden, das "Super-Turing"-Eigenschaften bei der Bewältigung von echten Problemen entfalten könnte. In der Informatik ist die Möglichkeit von digitalen Computern, die Befehle über reelle Zahlen ausführen, abstrakt durchgespielt worden.4 [7] Solche Maschinen mit unendlicher Genauigkeit würden manche Algorithmen enorm beschleunigen.

Es sind auch künstliche neuronale Netze vorgeschlagen worden, deren Kopplungsgewichtungen reelle Zahlen sind. Verwendet man solche reellen Speicher (mit unendlich vielen Bits) könnte man eine "Super-Turing"-Performanz erreichen. Wie aber solche Speicher arbeiten sollten, und wie man solche Gewichte im Voraus berechnet und anlegt, das ist keineswegs geklärt.5 [8] Koppelt man Digital- mit Analogrechner leidet außerdem die Kopplung an dem unvermeidlichen Rauschen im analogen Teil. Analogrechner sind "noisy" und manchmal auch chaotisch. Auch das Gehirn selbst ist ein System, bei dem das Rauschen eine große Rolle spielt. Immerhin müssen ständig bis zu 25 Watt Wärme ausgestrahlt werden. Vorläufig gehen die Theoretiker davon aus, dass die Gültigkeit der Church-Turing-These auch den analogen Bereich abdeckt.

Das Paradoxon ist also, dass es keine analogen Rechner gibt, die mehr als Digitalrechner rechnen könnten (sonst würden wir sie verwenden), wobei Digitalrechner keine perfekte Simulation von analogen Rechnern ohne eine kombinatorische Explosion bewältigen können. Anders gesagt: Die Church-Turing-These geht davon aus, dass ein Gehirn nicht mehr als ein Digitalrechner rechnen kann. Aber ein Digitalrechner kann ein spezifisches Gehirn (Kurzweils Gehirn z.B.) nicht ohne kombinatorische Explosion perfekt simulieren.

Bleiben nur die Quantencomputer, die für bestimmte Probleme eine exponentielle Beschleunigung anbieten könnten. Hier beißt sich die Simulation aber wieder selbst in den Schwanz, da manche Physiker wie Roger Penrose davon ausgehen, dass Quantenphänomene im Gehirn eine große Rolle spielen. Eine ganze Arbeitsgruppe am Berliner Wissenschaftskolleg bearbeitet im Jahr 2013 den Schwerpunkt "Quantenmechanische Prozesse in biologischen Systemen". D.h. die Biologie wird eben immer komplizierter, sobald man sie tiefer durchdringt und die Simulation eines konkreten Gehirns (meines oder deines) rückt immer weiter in unendliche Ferne, Quantencomputer hin oder her.

Ars longa, vita brevis

Wenn man die Argumentation der Singularians zerpflückt, bleibt am Ende nur die eine Sache übrig: der Wunsch, den Tod zu vermeiden und als Software ewig weiter leben zu können.

Sigmund Freud hat sich auch mit der Todesangst beschäftigt und in seinem Werk "Die Zukunft einer Illusion"6 [9] das religiöse Bedürfnis der Menschen unter die Lupe genommen. Durch die wissenschaftlichen Entdeckungen wird die Natur eben zur Natur reduziert und es sind keine weiteren religiösen Erklärungen notwendig. Die Religion hat aber eine gesellschaftliche Funktion, die vor allem den Menschen mit seiner Ohnmacht gegenüber Tod, Altern und Krankheit versöhnt. Ähnlich hatte Karl Marx in Bezug auf die griechischen Götter bereits 1857 argumentiert7 [10]:

Ist die Anschauung der Natur und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der griechischen Phantasie und daher der griechischen (Mythologie) zugrunde liegt, mit Selfaktors und Eisenbahnen und Lokomotiven und elektrischen Telegraphen? Wo bleibt Vulkan gegen Roberts et Co., Jupiter gegen den Blitzableiter und Hermes gegen den Crédit mobilier? Alle Mythologie überwindet und beherrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwindet also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben.

Dass es aber Religion trotzdem gibt, ist erklärungsbedürftig, obwohl Marx nicht so weit wie Freud geht, die Religion und das im Himmel Weiterleben als Neurose zu bezeichnen, die uns die Welt erträglich macht: "Alles Gute findet endlich seinen Lohn, alles Böse seine Strafe, wenn nicht schon in dieser Form des Lebens, so in den späteren Existenzen, die nach dem Tod beginnen."

Hans Baldung Grien: Tod und Frau" (1518-1520). . Bild [11]: The Yorck Project/GNU FDL [12]

Wie glücklich die Invertebraten, da man nur bei diesen so etwas wie Trauer über den Tod findet! Elefanten spielen fasziniert mit den Knochen von verendeten Elefanten. Delfine tragen ein verendetes Kalb noch tagelang auf dem Rücken, so wie auch Menschenaffen leblosen Nachwuchs weiter pflegen. Der Tod eines Menschenaffen wirkt auf die ganze Horde sehr störend und manche Handlungen der Tiere ähneln Wiederbelebungsversuchen.8 [13]

Über den eigenen Tod aber können diese Tiere nicht trauern. Manche Anthropologen sehen deswegen in den ersten rituellen Bestattungen den Ursprung des echten, bewussten, sozialen Verhaltens. Bei Neandertalerfunden hat man nicht nur Werkzeuge, sondern auch Gräber entdeckt. Anscheinend waren auch Neandertaler so weit gekommen wie der Homo sapiens später, dem die eigene Sterblichkeit schmerzlich bewusst geworden ist.

Das ist die große Ironie der Geschichte der menschlichen Intelligenz. Durch Evolution entstanden, überragt menschliche Intelligenz die Intelligenz aller anderen Tiere. So ist Selbstbewusstsein, das "Ich", ein zufälliges Abfallprodukt des Existenzkampfes. Mit einer "Theory of Mind" ausgestattet, die dem Menschen erlaubt, das Verhalten der anderen Tiere vorherzusagen, wurde er zum Raubtier par excellence, aber eben auch ein deprimiertes Raubtier mit Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit.

Die Obsession der Menschheit mit dem Tod und mit der Seele hat zur Religion, zur Philosophie und zu den Singularians geführt. Oder wie Arthur Schopenhauer es treffend anmerkte: "Der Tod ist der eigentliche inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie."9 [14] Und der Singularität.


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