Analyse: Der tiefe Fall von VW

Seite 3: Mangelhafte Governance

Neben der stagnierenden Strategie von Volkswagen ist vor allem die Governance des Konzerns problematisch. Der Gründer von Volkswagen, Ferdinand Porsche, hatte zwei Kinder: eine Tochter, Louise, und einen Sohn, Ferdinand (genannt Ferry).

1928 heiratete Louise den Rechtsanwalt Anton Piëch, der von 1941 bis 1945 das Stammwerk von Volkswagen leitete. Ferry baute seinerseits die 1931 von seinem Vater gegründete Sportwagenmarke Porsche erheblich aus.

Jahrzehntelang lieferten sich die Cousins Piëch und Porsche einen erbitterten Kampf um die Kontrolle von Volkswagen, der 2007 darin gipfelte, dass Porsche versuchte, den 15-mal größeren Volkswagen-Konzern zu übernehmen. Das Scheitern dieses Versuchs der Familie Porsche führte stattdessen zur Übernahme von Porsche durch Volkswagen.

Die zentrale Figur dieser Wende war Ferdinand Piëch, Sohn von Louise, der seine Karriere bei seinem Onkel Ferry begonnen hatte, bevor er zu Audi wechselte und 1993 zunächst Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns und 2002 dessen Aufsichtsratsvorsitzender wurde.

Mit seiner profunden Kenntnis des Konzerns (und von Porsche, an dem er 13,2 Prozent hält) gewann Ferdinand Piëch die Unterstützung des Landes Niedersachsen, in dem Volkswagen seinen Sitz hat und an dem es 20 Prozent der Anteile hält. Der ehemalige Ministerpräsident des Landes war kein Geringerer als Gerhard Schröder, deutscher Bundeskanzler von 1998 bis 2005.

Dieses Geflecht aus Familienkämpfen und politischen Einflüssen sorgte nicht für Ruhe innerhalb der Leitungsgremien des Volkswagen-Konzerns. Hinzu kamen oft toxische Managementpraktiken.

Toxische Unternehmenskultur

Beeinflusst von familiären Rivalitäten und einer Arroganz, die aus der Position des Weltmarktführers resultierte, driftete die Führungskultur bei Volkswagen in der Ära von Ferdinand Piëch in eine Richtung ab, die als toxisch bezeichnet werden kann.

Der für seine Unnachgiebigkeit, seinen Ehrgeiz und seinen Autoritarismus bekannte Ferdinand Piëch entließ häufig Manager, die er für leistungsschwach hielt.

Es heißt sogar, dass Piëchs Lieblingsantwort, wenn ihm ein Untergebener ein Problem präsentierte, das er nicht gelöst hatte, lautete: "Ich kenne den Namen Ihres Nachfolgers...". Er zögerte nicht, diese Drohung wahr zu machen, was erklären könnte, warum einige Manager unüberlegte Risiken eingingen, insbesondere während der Abgasaffäre.

Seit der Affäre haben mehrere Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns die Schaffung einer neuen Unternehmenskultur gefordert, die dezentraler ist und ermutigt, sich zu äußern, auch als Whistleblower. Aber eine Kultur zu verändern ist eine der schwierigsten Managementaufgaben, und die Dringlichkeit der Situation bei Volkswagen macht es nicht einfacher.

Was bringt die Zukunft für das Unternehmen? Die wegbrechenden Einnahmen aus China, der mangelnde Erfolg bei Elektrofahrzeugen, die noch nicht absehbaren Folgen des "Dieselgates", die hohe Verschuldung und die Notwendigkeit, Strategie, Governance und Kultur zu überdenken, sind nichts weniger als titanische Hürden.

Aber wie ein ehemaliger Manager von General Motors in den 1950er Jahren sagte: "Was gut für GM ist, ist gut für Amerika", können wir davon ausgehen, dass Deutschland niemals ohne Volkswagen auskommen wird. Volkswagen ist durch seinen Erfolg – aber auch durch seine Widersprüche – zu einem deutschen Mythos geworden.

Frédéric Fréry ist Professor an der Managementabteilung der ESCP Business School und an der CentraleSupélec. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Bereiche Strategie, Organisation und Innovationsmanagement.

Dieser Text erschien zuerst auf The Conversation auf Englisch und unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.