Angesichts des Zustroms an Flüchtlingen agiert die rechte Szene immer aggressiver
Anschläge und Morddrohungen treffen Asylsuchende, aber auch deren Unterstützer, Beamte und Politiker
Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung erscheint Deutschland teilweise weiterhin tief gespalten. Ähnlich wie in den 1990er Jahren wächst die verbale und reale Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten - zugleich begrüßen und beklatschen Menschen die Asylsuchenden bei ihrer Ankunft, wächst die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Die Zivilisations- und Empathiemauern verlaufen jedoch nur zum Teil zwischen Ost und West. Wird es also wieder tiefbraun im Kaltland, expandieren die rechte Szene und an deren Rändern die Extremisten der Mitte?
Anfang August stellte der Verfassungsschutz fest, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Anschläge auf bewohnte Flüchtlingsunterkünfte stattfinden. Zudem wurde konstatiert, dass ermittelte Täter von Angriffen auf Flüchtlinge und Migranten bis dahin oftmals keine gefestigten Rechtsextremisten seien sondern Bürger aus der Mitte der Gesellschaft (Fremdenfeindliche Stimmung heizt sich auf). Kurz zuvor noch stellte sich die Frage, ob in Deutschland ein neuer rechter Terror anwachsen wird (Völkischer Zorn). Ende August sagte Bundespräsident Joachim Gauck, es gebe "ein Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt im Gegensatz zum Dunkeldeutschland".
Der Vorsitzende der Innenminister-Konferenz, der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD), erinnerte Ende August daran, dass die Menschen im deutschen Osten deutlich anfällig seien für rechtsradikale Einstellungen und Fremdenhass, der sich auch in Militanz äußert. Mit Blick auf die Vorfälle in Heidenau und Angriffe gegen Asylunterkünfte sagte Lewentz: "Im Osten ist es offenkundig so, dass Migranten Angst und Fremdenfeindlichkeit auslösen. Und zwar in einem Ausmaß, das wir im Westen nicht für möglich gehalten haben."
Ostdeutschland, so Lewentz, habe über Jahrzehnte nicht den umfangreichen Zuzug aus anderen Kulturen gekannt. Darauf weist auch ein Feature des WDR über die Pegida-Bewegung hin und stellt dar, dass schon den "Vertragsarbeitern" in der ehemaligen DDR trotz der viel gepriesenen internationalen Solidarität oftmals feindlich begegnet wurde. Zugleich wuchs in den letzten Jahren der DDR trotz des Bekenntnisses zum Antifaschismus eine radikale Neonaziszene heran. Gleichwohl stellte unter anderem der Fachautor Olaf Sundermeyer in seinem Buch "Rechter Terror in Deutschland" fest, dass es im Westen schon seit den 1970er Jahren rechtsextreme Terror- oder Wehrsportgruppen gab und gerade westdeutsche Kader nach dem Zusammenbruch der DDR in den Osten abwanderten, um dort eine sehr extreme Szene aufzubauen.
Radikalisierung der rechten Szene in West- und Ostdeutschland
Auch wenn sich derzeit trotzdem das Bild von einer besonders radikalen rechten Szene im Osten und besonders in Sachsen aufdrängt - schaut man sich eine aktuelle Liste der taz und die dazugehörige Karte respektive den "Atlas" Rechtes Land an, wird deutlich, dass in den letzten Monaten auch im Westen zahlreiche Taten gegen Asylsuchende begangen wurden. Der seit Jahren erste Brandanschlag auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft ereignete sich vor rund einem Monat im niedersächsischen Salzhemmendorf im Landkreis Hameln.
Festzuhalten ist ebenso, dass sich seit Monaten innerhalb der rechten Szene bundesweit eine extreme Radikalisierung abzeichnet. Es kommt sowohl zu massiven Brandanschlägen, als auch zu massiven Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen. Mitte August brannte im mecklenburg-vorpommerschen Jamel die Scheune eines Künstlerehepaares nieder, das sich gegen die Neonazis im Ort engagiert. Vor einigen Tagen brannte im baden-württembergischen Wertheim eine Sporthalle, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten.
Schon Ende August gab es im brandenburgischen Nauen einen Brandanschlag auf eine Turnhalle, die als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. Ermittler gehen davon aus, dass der oder die Täter den Anschlag professionell planten und Gas in die Halle leiteten, um diese umfangreich zu zerstören. In Ebersberg bei München attackierten mehrere Personen vor einigen Tagen den Döner-Imbiss eines aus Afghanistan stammenden Mannes.
In Dresden griffen vier Personen einen Asylsuchenden aus Pakistan und einen Mann an, der diesem helfen wollte. Vor der Tat sollen die Schläger den Pakistaner noch gefragt haben, ob er Tourist oder Asylbewerber sei. Erst, als er letztgenanntes bestätigte, griffen sie ihn an. Der Sprecher des Netzwerks "Dresden für Alle", Eric Hattke, und dessen familiäres Umfeld wurden dieser Tage massiv bedroht. Schon wie im Falle eines Rechtsanwaltes aus Euskirchen (Angriff des Flüchtlingsfeindes aufs Private) gab sich in diesem Falle auch ein anonymer Anrufer als Hattke aus und meldete bei der Polizei, dass er einen Mord begangen habe und sich nun umbringen wolle.
Im brandenburgischen Neuhardenberg zündeten Unbekannte kürzlich Autos von Einwohnern an, die Flüchtlingen helfen. Nach zahlreichen Angriffen auf Parteibüros von Politikern, die sich gegen Rechts und für das Wohl von Flüchtlingen engagieren, traf es zuletzt das Büro des sächsischen Vize-Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD). Der hessische Landrat Erich Pipa (SPD) sah sich wegen seines Engagements für Flüchtlinge Morddrohungen von Rechtsextremisten ausgesetzt und wurde als "Kanaken-Landrat" und "stinkende Ratte" tituliert.
Im Kreis Höxster traf ein brauner Shitstorm dieser Tage einen Bürgermeister, nachdem Rechtsextremisten Kampagnen gegen diesen via Internet anzettelten. In Brandenburg fälschten mutmaßlich Rechtsextremisten Behördenschreiben, um mit der Ankündigung von Enteignungen und Zwangseinquartierungen Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Zugleich kursieren in den sozialen Medien immer wieder Falschmeldungen, um Asylsuchende zu verunglimpfen und die aggressive Stimmung gegen diese weiter anzuheizen.
Mit ähnlich perfiden Methoden wollen Rechtsextremisten zudem Menschen nerven, die sich für Flüchtlinge engagieren wollen. So rief die im Rheinland aktive rechtsextreme Kleinstgruppe "Identitäre Aktion" dazu auf, einem "Flüchtlingshelfer Abdullah", der in Inseraten Übersetzer suchte, mit Anrufen oder Mails zu zermürben. Am Rande eines Pegida-Aufmarsches in Dresden wurden am Montag abermals Journalisten angegriffen, während in Reden weiterhin auf eine Eskalation der Lage hingewirkt wurde.
Anfang September verunglimpfte ein Berliner Rechtsextremist auf dem Facebook-Profil einer "asylkritischen" Bewegung den auf der Flucht nach Europa ertrunkenen dreijährigen Aylan mit folgendem Kommentar: "Wir TRAUERN NICHT sondern wir FEIERN ES! Nur ein Flüchtling, ein Flüchtling ist zu wenig: Das Meer hat schon mehr Flüchtlinge geschluckt!" Offenkundig brechen angesichts der "Asylflut", der vermeintlichen Anonymität im Internet und dem wachsenden Straßenterror durch rechte Schläger zunehmend jegliche zivilisatorischen Hemmschwellen.
Den Behörden scheint der Überblick verloren zu gehen
Ob letztlich die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden die gesamte Dimension der Fremdenfeindlichkeit im Zeitalter jener Schnelllebigkeit und mancher Aufmarschserien noch umfassend registrieren können, darf bezweifelt werden. Ermittlungen wie jene gegen den Berliner Hetzer scheinen nur selten erfolgreich zu verlaufen angesichts der Schnelllebigkeit des Webs und des oft pöbelhaften und gewaltbereiten Auftretens gerade bei Facebook. Aber auch in der nicht-virtuellen Welt scheint man längst den Überblick verloren zu haben. So beantwortete letztens die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine Anfrage der Piraten über flüchtlingsfeindliche Taten und Aufmärsche unvollständig.
Teilweise fehlten etwa Angaben zu den Aufmärschen des Düsseldorfer Pegida-Ablegers, die durch Rechtsextremisten und rechte Hooligans geprägt waren. Aber auch der Angriff von jugendlichen Neonazis auf Asylsuchende in Wassenberg (Kreis Heinsberg) fehlte in der Auflistung. Dabei hatte gerade diese Tat großes Aufsehen erregt, zuletzt teilten die Ermittler sogar mit, dass die Tat Teil einer Serie von Übergriffen war und gegen fünf Jugendliche ermittelt werde. Darüber hinaus warf man dem Vater eines Tatverdächtigen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung vor. Der Mann soll seinen Sohn mit dem Auto zum Tatort gebracht und dabei von dem geplanten Übergriff auf die Asylbewerber gewusst haben.
Von der asylfeindlichen Stimmung scheinen auch teilweise die neue Partei von Bernd Lucke, die "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (Alfa), sowie die "Alternative für Deutschland" (AfD) zehren zu wollen. Besonders die AfD profitiert schon länger von der Stimmung gegen die Flüchtlingsbewegungen. Obschon die AfD bisher immer abgestritten hat, dass es seit dem Parteitag in Essen einen Rechtsruck gegeben habe (Die AfD will (nicht) rechts sein), gratulierten sowohl der NRW-Landesvorsitzende der AfD und das Mitglied des Europäischen Parlaments, Marcus Pretzell, als auch die Parteichefin Frauke Petry der rechtspopulistischen bis rechtsradikalen FPÖ zu dem "überragenden Wahlerfolg in Oberösterreich".
Abzuwarten wäre also, wie sich die AfD weiterhin verhält - und ob sie zu einer Art politischen Arm einer asylfeindlichen Bewegung wird. In Erfurt jedenfalls beteiligten sic h Mitte und Ende September an AfD-Demonstrationen gegen das "Asylchaos" Neonazis und rechtsextreme Hooligans.