Angriff auf das Streikrecht: Kita-Mitarbeiter dürfen nicht streiken – Urteil heizt Debatte an

Vorschulkind wartend vor einem Haus.

Bild: Irina Wilhauk /Shutterstock.com

Berliner Arbeitsgericht untersagt angekündigten Erzwingungsstreik. Verdi und Eltern kritisieren die Missachtung der dringenden Probleme. Kommentar.

In den letzten Tagen sahen liberale Politiker und Medien wieder einmal die bürgerliche Demokratie in Gefahr, die gerade noch von der Justiz gerettet werden konnte. Anlass war ein Streit um die Auslegung geschriebener und ungeschriebener Regeln bei der Eröffnung des neuen Thüringer Landtags.

Die AfD beanspruchte als stärkste Partei das einflussreiche Amt des Landtagspräsidenten für sich. Alle anderen Parteien bestritten dies. Der Streit dauerte am Donnerstag mehrere Stunden, dann entschied der Thüringer Verfassungsgerichtshof im Sinne der AfD-Gegner und am Samstag wurde dann der Landtag eröffnet und die CDU hatte auch mit Hilfe des Bündnisses Wagenknecht das Amt des Landtagspräsidenten inne.

Da wundert sich vielleicht so mancher BSW-Wähler, wie geschmeidig ihre Parlamentarier mit den im Wahlkampf so gescholtenen Altparteien gemeinsame Sache machen und fragt sich, ob ihr der Ruf, die jüngste der Altparteien zu sein, nicht schaden könnte.

Ansonsten sollte man die Erfurter Redeschlachten zur Parlamentseröffnung nicht überbewerten. Es ist geradezu absurd, wenn jetzt einige neue Argumente für ein Verbot der AfD zu sehen glauben.

Streikverbot in Berlin

Während das parlamentarische Hickhack in Erfurt tagelang die Schlagzeilen vieler Medien beherrschte, wurde kaum zur Kenntnis genommen, dass das Berliner Arbeitsgericht einen geplanten Erzwingungsstreik der Kita-Beschäftigten verboten hat. Er sollte am kommenden Montag beginnen.

Die Gewerkschaft ver.di hatte ihre Mitglieder am 26.09.2024 zu dem unbefristeten Streik ab dem 30.09.2024 aufgerufen, nachdem sich in einer Urabstimmung 91,7 Prozent der Mitglieder dafür ausgesprochen hatten.

Ziel des Streiks war die Erzwingung von Tarifverhandlungen über die Regelung einer Mindestpersonalausstattung, über Regelungen zum Belastungsausgleich (Folgenmanagement) und zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen.

Das Arbeitsgericht folgte in seiner Verbotsentscheidung der Argumentation des Berliner Senats:

Das Arbeitsgericht hat den angekündigten Streik ab dem 30.09.2024 untersagt und der Gewerkschaft aufgegeben, ihren Streikaufruf öffentlich zu widerrufen. Es ist davon ausgegangen, dass der Streik nicht rechtmäßig ist.

Die Gewerkschaft ver.di verstoße mit dem Streik gegen die Friedenspflicht wegen der bestehenden tarifvertraglichen Regelungen zur Zulage für Beschäftigte in Eigenbetrieben des Landes Berlin im TV-L und wegen der bestehenden Entlastungsregelungen für Auszubildende im maßgeblichen Ausbildungstarifvertrag.

Darüber hinaus seien auch verbandspolitische Erwägungen des Landes Berlin durch die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, da das Land als Arbeitgeber berechtigt sei, sich in der Tarifgemeinschaft der Länder zu organisieren. Das Risiko eines Ausschlusses aus der TdL bei einem eigenständigen Tarifabschluss müsse das Land Berlin nicht eingehen.

Arbeitsgericht Berlin, Pressemitteilung

Verdi verweist auf die nächste Instanz

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bedauert verständlicherweise das Streikverbot, gibt aber Durchhalteparolen aus und hofft, dass das Streikverbot in der nächsten Instanz aufgehoben wird.

Zu Recht weist Verdi darauf hin, dass die Kita-Krise mit dem Urteil nicht vom Tisch sei. Der Senat bleibe in der Pflicht, endlich ernsthaft über pädagogische Qualität und Entlastung zu verhandeln, statt vor Gericht zu ziehen.

Es gehe um die schlechten Arbeitsbedingungen der Kita-Beschäftigten. Vor allem fehle es an Personal. Die Gewerkschaft wolle erreichen, dass genau darüber in Zukunft verhandelt wird.

Doch selbst diese vage Zusage, in Verhandlungen zu treten, wollte der Berliner Senat nicht geben.

Auffällig war, dass Verdi das Streikverbot nur sehr zurückhaltend kritisierte. Deutlichere Worte hatte die Gewerkschaft zu der Klage des Berliner Senats auf ein Streikverbot gefunden.

Der Senat setzt mit diesem Schritt die zuletzt im Abgeordnetenhaus von Berlin sichtbar gewordene Strategie fort, die Kita-Krise zu leugnen und zugleich die engagierten Kollegen und ihre Gewerkschaft zu attackieren.

Verdi

Statt Verhandlungen droht Knüppel aus dem Sack

Eigentlich hätte Verdi auch schreiben müssen, dass das Streikverbot ein Schlag gegen die engagierten Kolleginnen und Kollegen und ihre Gewerkschaft ist. Solche Töne waren am Freitagabend vor dem Roten Rathaus in Berlin zu hören.

Unter dem Motto "Einhorn sucht Bildung" wollten dort Eltern und Kinder noch einmal die Forderungen der Kita-Beschäftigten unterstützen.

Damit sollte kurz vor Streikbeginn noch einmal ein Zeichen der Solidarität auch von den Eltern der Kinder gesetzt werden, die in den letzten Wochen von konservativen Medien zur Verurteilung des Streiks herangezogen wurden.

Dort wurde immer wieder behauptet, der Arbeitskampf werde auf dem Rücken der Eltern der Kita-Kinder ausgetragen. Die Eltern, die sich am Freitag vor dem Roten Rathaus versammelten, erklärten jedoch, dass sie ihre Kinder in eine Kita bringen wollen, in der sie nicht nur betreut, sondern auch gefördert werden. Das sei aber nur mit ausreichend Personal möglich. Deshalb würden sie die Forderungen der Gewerkschaften unterstützen.

Sehr deutliche Worte zum Streikverbot kamen von mehreren Rednern. So sprach Philipp Dehne von der Initiative Schule muss anders von einem Angriff auf das Streikrecht, der heute die Kita-Beschäftigten treffe, später aber auch Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr oder bei der Bahn treffen könne.

Auch die Arbeitskämpfe in diesen Branchen werden von konservativen Medien, Politikern und Teilen der Wirtschaft massiv angefeindet. Es wird behauptet, der Arbeitskampf werde auf dem Rücken großer Teile der Bevölkerung ausgetragen.

Wenn ein Streik Wirkung zeigt

Dabei wird aber vergessen, dass ein Streik natürlich auch Wirkung zeigen muss, um erfolgreich zu sein. Mehrere ältere Kita-Beschäftigte berichteten, dass sie schon 1988 beim großen Kita-Streik in West-Berlin dabei waren. Damals waren viele Kitas wochenlang geschlossen.

Es habe auch massiven Druck von konservativen Medien und Politikern gegeben, berichten sie. Sie erwähnen aber auch, was damals anders war:

Es hat eine große Solidarität von Eltern gegeben, die den Streikenden Kaffee und Kuchen brachten. Zudem gab es auch Initiativen, die sich während des Streiks um die Kinder kümmerten, damit die Aufgabe nicht am Ende wieder bei den Müttern hängen bleiben.

Im Vergleich dazu ist die Solidarität heute schwächer. 1988 sagten viele Eltern, wir wissen, dass uns der Kita-Streik Probleme bringt, aber es kann sein, dass auch wir mal streiken müssen und dann hoffen wir auch auf Solidarität.

"Damals hatten viele Menschen noch einen Begriff von einer Gesellschaft, die es zu verändern gilt", sagte eine Frau auf der Eltern Kundgebung vor dem Roten Rathaus.

Heute denken viel weniger Menschen an die Gesellschaft. Sie sehen nur die persönlichen Nachteile des Streiks, beschweren sich und klagen sogar dagegen. Es ist auch Ausdruck eines gestiegenen Autoritarismus, wenn heute das Streikrecht von einem Arbeitsgericht angegriffen wird und es kaum Proteste dagegen gibt.

Die meisten Medien interessieren sich ohnehin mehr für die parlamentarischen Machtspielchen in Thüringen als für den Angriff auf das Streikrecht.