Angriffe auf Politiker: Was tun gegen die Gewalt?
Die Gewalt richtet sich lÀngst nicht mehr nur gegen Wahlwerbung. Bild: Zygalski Krzysztof, Shutterstock.com
Den politischen Delikten ist nicht so leicht beizukommen, wie es Politiker darstellen. Warum das Strafrecht nicht weiterhilft. Und wie der Staat reagieren kann.
Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker bleibt ein Problem. Auch und gerade in Deutschland [1]. Doch guter Rat ist teuer, denn die Sache ist als KriminalitĂ€tsphĂ€nomen komplex. Dennoch mangelt es nicht an LösungsvorschlĂ€gen. Aus der Politik hört man nahezu einhellig den Wunsch, das Strafgesetzbuch zu Ă€ndern. Der jĂŒngste Vorschlag stammt vom niedersĂ€chsischen MinisterprĂ€sidenten. Kann er ĂŒberzeugen?
Politik, Gewalt und Strafrecht
Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker ist in erster Linie ein KriminalitĂ€tsphĂ€nomen. Dabei richtet sich die Gewalt gegen Menschen, die sich politisch engagieren â und gerade, weil sie sich politisch engagieren.
Ganz egal, ob hauptberuflich oder im Ehrenamt: Das hat einen â ĂŒber den Umstand der Gewaltanwendung hinausgehenden â besonders verwerflichen Aspekt. Es werden Menschen abgeschreckt, sich fĂŒr unsere Demokratie zu engagieren.
Die Innenminister der LĂ€nder sind sich einig [2] und möchten etwas gegen die Gewalt tun. Sie suchen die Lösung fĂŒr dieses KriminalitĂ€tsproblem schwerpunktmĂ€Ăig jedoch nicht im prĂ€ventiven Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr, sondern im repressiven Strafrecht, genauer gesagt im Strafgesetzbuch (StGB) und mittels hĂ€rterer Strafen.
Zugegeben: Das kann man machen. Allerdings ist das Tatstrafrecht schon vom Grundsatz her nicht unbedingt der beste Ort fĂŒr PrĂ€vention, auch wenn eine Vermischung zwischen Polizei- und Strafrecht immer weiter zunimmt.
Richtet die Politik den Blick auf das Strafrecht, muss man zunĂ€chst erkennen, dass keine StrafbarkeitslĂŒcke besteht. Gewalt im strafrechtlichen Sinne gegen Politikerinnen und Politiker ist bereits jetzt nach dem StGB strafbar â etwa als Körperverletzung oder Nötigung â und kann problemlos geahndet werden. Allerdings ist die von den Strafgesetzen ausgehende generalprĂ€ventive Abschreckungswirkung begrenzt.
Stephan Weils Vorschlag
Beim Strafrecht setzt auch der Vorschlag des niedersĂ€chsischen MinisterprĂ€sidenten Stephan Weil an. Weil ist Volljurist und wurde fĂŒr den juristischen Fachdienst beck-aktuell interviewt [3]. Er wurde gefragt:
Wenig ĂŒberraschend wurde nach den Angriffen unter anderem auf Ihre Parteikollegen Matthias Ecke und Franziska Giffey erneut der Ruf nach hĂ€rteren und vor allem schnelleren Strafen laut. WĂŒrde das tatsĂ€chlich helfen?
Darauf machte Weil folgenden Vorschlag:
Ich persönlich finde den Vorschlag richtig, ein strafschĂ€rfendes Strafzumessungskriterium âdemokratiefeindliche Gesinnungâ in §â46 II StGB aufzunehmen. Ăber die Details kann man immer reden, aber es muss klar sein, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. Noch wichtiger aber sind aufmerksame MitbĂŒrgerinnen und MitbĂŒrger, die bei solchen VorfĂ€llen eingreifen, möglichst ohne sich selbst zu gefĂ€hrden, oder die die Polizei rufen. Und dann mĂŒssen solche Taten schnell aufgeklĂ€rt und konsequent sanktioniert werden, das ist Aufgabe von Polizei, Staatsanwaltschaften und unabhĂ€ngigen Gerichten.
Es braucht mehr als Symbolpolitik
Wenig ĂŒberzeugend ist fĂŒr mich der Vorschlag, Paragraf 46 Absatz 2 StGB zu Ă€ndern. Es muss kein neues Strafzumessungskriterium eingefĂŒhrt werden. Schon deshalb nicht, weil bereits jetzt die antidemokratische Gesinnung des TĂ€ters von den Gerichten bei der Strafzumessung strafschĂ€rfend berĂŒcksichtigt werden kann.
Das ist ĂŒber Paragraf 46 Absatz 2 StGB möglich. Insofern ist in Satz 2 keine abschlieĂende AufzĂ€hlung von Strafzumessungskriterien [4] enthalten. Hinzu kommt, dass die Strafrahmen "in Ordnung" sind, also vor allem der Höhe nach ausreichend.
Das rĂ€umt Weil selbst ein. SchlieĂlich dĂŒrfte eine Ănderung von Paragraf 46 StGB keine entscheidende Abschreckungswirkung entfalten, denn mal ehrlich: Welcher potenzielle TĂ€ter liest vor der Tat schon im Gesetzbuch nach? Die Ănderung hĂ€tte eher symbolischen Wert.
Gegenvorschlag
Dass es mehr braucht als Symbolpolitik â das erkennt auch Weil, denn er legt nach. Dabei klingt das, was der niedersĂ€chsische MinisterprĂ€sident in puncto AufklĂ€rung und Sanktionierung der Taten ausfĂŒhrt, durchaus ĂŒberzeugend.
Wenn die Politik schon Ănderungen im Strafrecht anstrebt, dann dort, wo es weniger symbolisch, sondern fĂŒr die Beteiligten schnell praktisch spĂŒrbar wird â bei der Strafverfolgung.
An dieser Stelle möchte auch ich ansetzen und erneut fĂŒr meinen (Gegen-)Vorschlag werben [5], die Richtlinien fĂŒr das Strafverfahren und das BuĂgeldverfahren (RiStBV) zu Ă€ndern.
Diese Verwaltungsvorschriften sind in erster Linie fĂŒr die Staatsanwaltschaften bestimmt. Sie sollen eine bundesweit einheitliche Sachbehandlung sicherstellen. Durch eine Ănderung dort â in Form der EinfĂŒgung einer neuen Nummer "234a" zu Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker â lieĂe sich erreichen, dass solche Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft nicht aus OpportunitĂ€tsgrĂŒnden eingestellt werden.
Die von Weil ins Feld gefĂŒhrte "demokratiefeindliche Gesinnung" könnte man dabei als AnknĂŒpfungspunkt fĂŒr eine Ănderung der RiStBV nehmen.
Das bedeutet: Wer aus demokratiefeindlicher Gesinnung eine Körperverletzung oder Nötigung gegen (ehrenamtliche) Politikerinnen und Politiker begeht, kann kĂŒnftig nicht mit einer Einstellung nach den Paragrafen 153 ff. der Strafprozessordnung rechnen.
Damit wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt â nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daraus folgt weder eine gesetzliche Besserstellung von Politikerinnen und Politikern gegenĂŒber anderen Opfergruppen noch ein Vorteil fĂŒr die AfD.
Vielmehr wĂ€re die praktisch spĂŒrbare Botschaft des Rechtsstaats klar: GegenĂŒber Demokratiefeinden ist man unnachgiebig. Es wird kein Auge zugedrĂŒckt.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fr.de/politik/europawahl-eu-wahl-gewalt-politik-deutschland-afd-gruene-weimar-zr-93118724.html
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/innenminister-treffen-gewalt-politiker-100.html
[3] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/interview-njw-2024-24-wahlkampf-unter-polizeischutz?bifo=port
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__46.html
[5] https://www.blog-der-republik.de/angriffe-auf-politiker-das-strafrecht-kann-mehr-als-symbolpolitik/
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