Ankündigung von Überraschungen und andere eindeutige Vieldeutigkeiten

Die Bush-Regierung, die Massenvernichtungswaffen und die Wahrheitsbeweise

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Die amerikanische Regierung und vor allem Präsident Bush stehen ebenso wie ihre britischen Alliierten unter erheblichem Druck, nachdem noch immer keine Hinweise auf Massenvernichtungswaffen oder entsprechende Rüstungsprogramme im Irak gefunden worden sind. Man habe, so Bush auf seiner letzten Pressekonferenz, "gute und verlässliche Geheimdienstinformationen" gehabt, jetzt brauche man nur noch Zeit, um die Beweise für Annahmen präsentieren zu können. Seine Hoffnung setzt Bush dabei auf David Kay, einem ehemaligen UN-Inspekteur und CIA-Berater, der jetzt die 1400 Mann starke Iraq Survey Group (ISQ) leitet und gerade angekündigt hat, dass Beweise für ein aktives Massenvernichtungswaffenprogramm gefunden worden seien.

Die große Frage wird allerdings sein, ob nach all den Schachzügen, Übertreibungen, Schwindeleien und Täuschungen, nach all dem Einsatz von Propaganda und strategischer Information noch wirklich jemand von irgendwann präsentierten "Beweisen" überzeugt sein wird, die belegen sollen, dass all die Behauptungen der amerikanischen Regierungsmitglieder irgendwie gestimmt haben, auch wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Äußerung bestenfalls Prophezeiungen waren. Auch die Schwärzung der Seiten im Kommissionsberichts über den 11.9. hat die Glaubwürdigkeit der US-Regierung nicht gerade erhöht.

Wir wissen, dass Saddam Hussein chemische und biologischen Waffen produziert und in seinem Besitz hatte, und dass er chemische Waffen eingesetzt hatte. Wir wissen das. Er hat jahrelang seine Massenvernichtungswaffen vor der Welt versteckt. Wir haben jetzt Inspektionsteams, die hart arbeiten, um die Wahrheit aufzudecken.

US-Präsident Bush am 30. Juli

Mühsame Erklärungen für das Nichtfinden von Massenvernichtungswaffen gab es bereits vor dem Krieg, schließlich gab es nie die "smoking gun" (Rumsfeld und der Gottesbeweis). Von den "Beweisen", die von der britischen und amerikanischen Regierung aufgeboten wurden, waren bestenfalls die Kriegsbefürworter überzeugt. Auch die UN-Waffeninspektoren äußerten mehr oder weniger diplomatisch ihre Zweifel. Aber, so hörte man, das Hussein-Regime sei ein Meister der Täuschung, das Land groß genug, um alles verstecken zu können. Rumsfeld überlegte gar, dass es doch gerade ein Beweis für die Existenz von Massenvernichtungswaffen sein würde, wenn man nichts findet. Insgesamt schein man sich auf die frisch geschmiedete Strategie der Prävention zu verlassen, nach der man erst einmal aus Gründen der über allem stehenden nationalen Sicherheit zuschlägt und dann sieht, was man getroffen hat.

Inzwischen wurde nach einem Vierteljahr der Besatzung und einigten Funden, die sich als Enten herausstellten, die Argumentation verfeinert und vervielfältigt. Vor allem wurde kultiviert, was man den Inspektoren nicht zustand, nämlich dass mehr Zeit notwendig sei, um die Wahrheit an den Tag zu bringen. Gelegentlich hörte man auch wieder, dass Hussein die Waffen trotz aller Überwachungssatelliten und Drohnen eben zu gut versteckt oder gleich zerstört habe.

Bush gab sich überzeugt, dass seine Behauptungen, die sich ja dann offenbar sich auf wenig mehr als Vermutungen stützten, doch bestätigen, auch wenn er selbst keinen weiteren Hinweis anzubieten hatte:

Wir sammelten eine Menge an Geheimdienstinformationen. Diese Informationen, auf deren Grundlage ich meine Entscheidung traf, waren gute und verlässliche Informationen. Und um die Kritiker und Zyniker der Absichten der USA zu besänftigen, müssen wir Beweise bringen. Und ich verstehe das ganz und gar. Und ich bin zuversichtlich, dass unsere Suche aufdecken wird, dass Saddam, woran ich fest glaube, ein Waffenprogramm hatte.

Bush musste noch einmal daran erinnern, dass Hussein vor 15 Jahren bereits Giftgas eingesetzt hatte, wobei er aber natürlich wieder einmal nicht erwähnte, dass der Diktator damals ein Verbündeter der USA war. Dafür aber muss die "Geschichte" herhalten, die beweisen würde, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Mit dieser geschichtsträchtigen Konstruktion, nachträglich die Gründe für den Krieg, deren Beweise man angeblich vorher geliefert hatte, finden zu müssen, untergräbt man noch einmal nachhaltig das Vertrauen in die von den Geheimdiensten gelieferten Informationen - oder aber den Druck, dem sie ausgesetzt waren, trotz besseren Wissens politisch gewünschte Ergebnisse zu liefern. Und just dieses Misstrauen dürfte bei den keinesfalls unabhängiger agierenden amerikanischen und britischen Waffeninspektoren erneut grassieren, solange deren Ergebnisse nicht von einem wirklich unabhängigen Inspektorenteam der UN bestätigt würden. Bislang aber sieht es nicht so aus, als würde die US-Regierung das auch nur in Betracht ziehen, was erneut nur Misstrauen erzeugen kann, wenn einmal die Misstrauensfalle aufgeklappt ist. Der Druck auf die Inspektoren wird enorm sein, zumal Bush - unbedachterweise? - nun persönliche Verantwortung für alles auf sich genommen hat, was er im Hinblick auf die irakischen Massenvernichtungswaffen sagte. Er selbst habe auch die Geheimdienstinformationen überprüft.

I take personal responsibility for everything I say, of course. Absolutely. I also take responsibility for making decisions on war and peace. And I analyzed a thorough body of intelligence -- good, solid, sound intelligence -- that led me to come to the conclusion that it was necessary to remove Saddam Hussein from power.

Nun also ruhen die Hoffnungen der US-Regierung auf David Kay, der schon einmal eine "Überraschung" ankündigte ("Die amerikanischen Menschen sollten von Überraschungen nicht überrascht sein."), auch wenn er zur Geduld mahnte. Man habe zwar keine Massenvernichtungswaffen gefunden, so musste er einräumen, aber doch einen "soliden Fortschritt" machen können. Hieß es zwar gerade noch, dass bislang von keinem der gefangenen oder befragten irakischen Wissenschaftler Hinweise auf Massenvernichtungswaffen gegeben wurden, so sprach Kay von "irakischen Wissenschaftlern", die zur Zusammenarbeit bereit seien und auf verdächtige Orte hingewiesen hätten, die man noch nicht gekannt habe. Zudem würden entdeckte Dokumente von Waffen zeugen, man habe auch materielle Beweise für ein Waffenprogramm gefunden. Eindeutig vieldeutig hält sich Kay ansonsten zurück und lässt alles offen. "Theoretisch" sei selbst denkbar, dass der Irak keine Massenvernichtunsgwaffen hatte:

It is preliminary. We're not at the final stage of understanding fully Iraq's WMD program, nor have we found WMD weapons. It's going to take time. The Iraqis had over two decades to develop these weapons, and hiding them was an essential part of their program.

Vor allem scheint man Dokumente gefunden zu haben, wie man Rüstungsprogramme tarnen kann, was freilich nicht von einem aktiven Programm, sondern nur von Überlegungen zeugt. Kay sprach von einem "aktiven Täuschungsprogramm", mit dem UN-Inspektoren getäuscht worden seien. Auch das ist bekannt. Und selbst wenn es Pläne für ein neues Rüstungsprogramm für Massenvernichtungswaffen gegeben haben sollte, so wäre dies wohl auch kein Beleg für die vor dem Krieg geäußerten Behauptungen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt und sie schnell einsetzen könnte. Eine unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit ginge wohl von Plänen nicht aus. Noch aber will Kay, um eine weitere Schlappe wie etwa im Fall der mobilen Labors zu vermeiden oder um weitere Verzögerungen zu legitimieren, nichts Genaues sagen: "Wir machen einen wirklichen Fall, der standhalten wird, und wir laden zu einer internationalen Überprüfung ein, nachdem wir die Beweise zusammengetragen haben." Möglicherweise spekuliert man auf allmähliches Vergessen. Kays Äußerungen klingen allzu sehr nach politischer Notwendigkeit und Glaubensbekenntnis:

Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass wird bemerkenswerte Überraschungen bei diesem Unternehmen entdecken.