Anne Will: Die Richtigmacherin des deutschen Fernsehens

Bild (2008): Michael von Aichberger / CC BY 3.0 Deed

Besser mit Sandra Maischberger irren, als mit der Talkshow-Regierungssprecherin recht haben: Zum Ende einer Fernsehsendung. Eine Kritik.

"Wir Europäer müssen unbedingt eine eigene Position entwickeln. Der französische Präsident Macron mahnt etwas an, worauf Deutschland nicht reagiert", sagte Navid Kermani: "Und die deutsch-französischen Beziehungen stehen nicht gut."

Noch ein Mal etwas Ernsthaftes zum Nachdenken, noch ein letztes Mal ein paar gute Sätze:

Wir sind umzingelt von Wirklichkeit. Fundamentale Annahmen stimmen nicht mehr, sie passen nicht mehr zu der Wirklichkeit. Dieses Aufwachen, dieses Erschrecken, dass die Wirklichkeit eine andere ist.

Robert Habeck

Und die Dummheiten und das Moralisieren der Moderatorin, die in den letzten Jahren auch immer zu Anne Will gehörten, fehlten weitgehend zum Abschied, in dem das Thema "Die Welt in Unordnung – Ist Deutschland den Herausforderungen gewachsen?" lautete, also die "Polykrise" der Gegenwart war und die Frage, was für 2024 Zuversicht geben könnte.

Noch einmal ein Zukunftsausblick. In eine Zukunft, die wir nun ohne Anne Will überleben müssen. 16 Jahre, also so lange wie Angela Merkel im Kanzleramt, hat Anne Will das deutsche Fernsehen regiert.

Die Veränderung

Sie hat Zeichen gesetzt und zum Abschluss kann man ja auch zugeben, dass sie vieles verbessert und erneuert hat, dass Anne Will Mitte der Nuller-Jahre eine total wohltuende, entspannende Abwechslung war: eine Erneuerung und Modernisierung im Verhältnis zu den Sabine Christiansens und Günther Jauchs (der sie dann noch einmal, kurz und ohne Erfolg vom Sonntagabend weggegrätscht hat).

Genauso wie man heute sagen muss, dass die Zeit inzwischen über Anne Will hinweggegangen ist. Es ist kein Wagnis, zu behaupten, dass sie selbst sich auch verändert hat.

Anne Will ist strukturkonservativ geworden, sie hat nicht mehr die kritische Frechheit und Neugier ihrer Anfangsjahre, sie ist eindeutig ängstlicher geworden, man könnte auch sagen grüner.

Viel zu sehr ist in den letzten Jahren ihre Meinung offen erkennbar vor sich her getragen, hat die Neugier vermissen lassen und stattdessen ihre Ungeduld gezeigt mit Gästen, die anderer Meinung waren als sie.

Pandemie und Ukraine-Krieg

Die Wende kam wohl schon mit den Flüchtlingsströmen des Jahres 2015, als Anne Will sich sogar mit der CDU arrangierte und das berühmte "Wir schaffen das"-Interview mit Angela Merkel führte.

Plötzlich wirkte sie immer öfter wie die dritte Regierungssprecherin, was 2020 in der Pandemie dann auch beim Publikum Ärger und Überdruss erkennen ließ.

Mehr als alle Kollegen war "Anne Will" die Maßnahmenvertreterin, die Plattform für Virologen, Ausgangsperren-Verteidigung und Querdenkerbekämpfung, Bürgerrechte und kritische Nachfragen an die Pandemie-Politik fanden bei Will nicht mehr statt – das war ihr persönliches Long-Covid-Syndrom, das sich dann im Ukraine-Konflikt nahtlos fortsetzte.

Anne Will ist einfach besser gewesen, als sie gewissermaßen in der Opposition war gegen eine Große Koalition. Dagegen ist sie jetzt in den letzten zwei Jahren quasi an der Regierung und führt fortwährend die ukrainische Gegenoffensive im Fernsehen an, verliert aber dann auch irgendwann in den Minenfeldern des politischen Alltags die eine oder andere Gliedmaße.

Anne Will war nie die Fernseh-Mutter; sie war eher so etwas wie die fast gleichaltrige Cousine, die in der Schule die Beste ist und einfach immer alles richtig macht. Sie war tatsächlich die Richtigmacherin des deutschen Fernsehens.

Aber es gibt tatsächlich wenig größere Gefahren für eine Talkshow-Moderatorin, als die immer alles richtigzumachen und immer auf der richtigen Seite zu stehen.

In den letzten Jahren war es besser mit Sandra Maischberger zu irren, als mit Anne Will recht zu haben. An Maischberger, ihrem Witz und Ironie und ihrer Gelassenheit sieht man, was Anne Will leider nicht gelingt, nämlich in Würde zu altern und sich immer wieder neu zu erfinden, aus der Routiniertheit und Abgeklärtheit heraus neugierig zu bleiben, wirklich etwas wissen zu wollen und nicht schon alles vorher zu wissen, und zwar besser.

Die Zusammenstellung der Gäste ihrer letzten Sendung sprach ebenfalls für sich: Nur ein Politiker, und zwar der unpolitikerhafteste von allen, nämlich Robert Habeck, der genauso gut Schriftsteller oder Philosophieprofessor oder Spiegel-Chefredakteur sein könnte, vielleicht noch einmal werden wird. Und Navid Kermani ein kluger Schriftsteller, und Raphael Gross, ein kluger Historiker, und mit Florence Gaub, eine kluge Politikwissenschaftlerin und Gott sei Dank eine Frau.

Mal schauen, was Anne Will macht, und ob sie wirklich noch 'was machen darf.