Anspruchsvoll, aber noch möglich
Seite 2: Industrie umstellen
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Studienleiter Georg Kobiela stellte die Ergebnisse für die anderen Sektoren vor. Die Industrie müsse zum einen ihren Energieverbrauch auf erneuerbare Energieträger umstellen. Zum anderen müssen prozessbedingte Emissionen abgestellt und neue Prozesse eingeführt werden.
Diese zur großskaligen Verfügbarkeit zu führen, sei extrem herausfordernd aber bis 2035 gerade noch möglich. Industrieanlagen liefen zum Teil länger als 50 Jahre, "aber in einigen energieintensiven Branchen erreicht in den nächsten zehn Jahren rund die Hälfte der Anlagen das Ende seiner Lebensdauer. Alle neuen Anlagen müssen also so konzipiert sein, dass sie mindestens in naher Zukunft klimaneutral betrieben werden können".
Einige Anlagen werden noch weit über 2035 hinaus laufen. Diese müssen also entweder vorzeitig stillgelegt oder auf nicht-fossile Technologien umgerüstet werden. Im Auge hat Kobiela dabei unter anderem die Erzeugung von Primärstahl, die bisher meist mit Koks erfolgt, aber auf Wasserstoff umgestellt werden könnte.
In der Chemieindustrie ist Wasserstoff schon heute ein wichtiger Grundstoff, wird aber meist aus Erdgas gewonnen, was mit nicht unerheblichen CO2-Emissionen verbunden ist. Künftig müsste er per Elektrolyse mit grünem Strom gewonnen werden.
Für diese Umstellung, so Kobiela, wird schon in den nächsten Jahren ein Wasserstoffpipelinenetz und große Mengen an Grünstrom benötigt. Der Planungsprozess und Aufbau müsse sofort starten. Andernfalls reiche die Zeit nicht mehr. Entscheidungen müssten jetzt fallen und möglichst schnell umgesetzt werden.
Außerdem braucht es aus seiner Sicht Anreize für Recycling und Reparatur, um den großen Energiebedarf und Rohstoffverbrauch zu reduzieren. Das würde den notwendigen Umbau der Wirtschaft enorm erleichtern.
Und wie bringt man das alles auf den Weg? Neben direkten staatlichen Vorgaben, sehen die Autoren wirstchaftliche Anreize als ein Mittel der Wahl. Ein über einige Jahre kontinuierlich und berechenbar ansteigender CO2-Preis würde klare Signale setzen, so Kobiela und weiter:
"Bei einem Preis von 180 Euro pro Tonne CO2 würden die Preise zumindest zum Teil die ökologische Wahrheit sagen."
Außerdem müssten Maßnahmen gefunden werden, mit den eine Verlagerung der Emissionen ins Ausland vermieden werden kann.
Weniger Autos, mehr Bahn und ÖPNV
Für den Straßenverkehr sieht Kobiela drei Lösungselemente: Vermeiden, Verlagern und neue Antriebe. Wobei mit Letzterem vor allem der Elektromotor gemeint ist. Nur für den Luftverkehr halten die Wuppertaler Autorinnen und Autoren synthetische Kraftstoffe für sinnvoll. Kobiela weist aber darauf hin, dass damit der Klimaeffekt des Luftverkehrs noch nicht vollständig vermieden wäre und dieser anderweitig kompensiert werden muss. Denn auch bei der Verbrennung synthetischen Kerosins werden aus dem freigesetzten Wasserdampf noch Kondensstreifen gebildet, die indirekt erwärmend wirken.
Die vielen klimaschädlichen Subventionen im Verkehr sind nicht mit dem Ziel der Klimaneutralität vereinbar. Stattdessen brauchen wir sozialverträgliche, klimafreundliche Alternativen. Straßenneubau ist ein veraltetes Paradigma.
Georg Kobiela, Wuppertal Institut
Ansonsten fordert Kobiela unter anderem ein Moratorium für den Fernstraßenneubau. Bis 2035 müsse der Autoverkehr halbiert und parallel die Kapazität des öffentlichen Verkehrs verdoppelt werden. Dafür bedürfe es eine sehr viel stärkere Finanzierung für dessen Ausbau und Betrieb. Güterverkehr müsse zu einem Drittel auf die Bahn verlagert und der Rest durch leichte, batteriebetriebene und schwere mit elektrischer Oberleitung fahrende Elektro-Lkw bewegt werden. Dafür seien bis 2035 etwa 8.000 Kilometer Oberleitung auf Autobahnen notwendig.
Der städtische Pkw-Bestand müsse um zwei Drittel reduziert werden. Mehr Rad- und Fußwege und mehr ÖPNV müssten her und das ganze mit City-Maut, Tempolimits, Reduzierung von Parkplätzen und Fahrspuren kombiniert werden.
Kobiela: "Bis 2035 sollten fast nur noch batterie-elektrische und deutlich kleinere Pkw auf den Straßen unterwegs sein." Dafür bedarf es einer Steigerung der Zulassung von Elektroautos auf zwei Millionen pro Jahr. Deutlich höhere Kraftstoffpreise könnten für die Durchsetzung ein Hebel sein, müssten aber ggf. sozial abgefedert werden.
Flugverkehr: Hier schlagen Kobiela und seine Ko-Autoren eine Abschaffung von Inlandsflügen, ein Viertel weniger internationale Starts und Landungen und statt dessen mehr Schiene in Europa und mehr online-Konferenzen vor. "Die Steuerbefreiung von Flugbenzin und Subventionen für Regionalflughäfen sollten rasch beendet werden", so der Physiker und Ökonom.
Eingreifen in den Wahlkampf
Für FFF-Sprecherin Carla Reemtsma zeigen die Ergebnisse der Wuppertaler, dass alle demokratischen Parteien weit von der Erfüllung der Pariser Ziele entfernt sind. "Spätestens ab heute kann kein Politiker und keine Politikerin mehr behaupten, von den eigenen klimapolitischen Verfehlungen nicht gewusst zu haben."
Der klimapolitische Stillstand der letzten Jahrzehnte hat uns an einen Punkt gebracht, an dem nur noch durch größte Anstrengungen in allen Sektoren eine ausreichend schnelle Dekarbonisierung erreichen können.
Carla Reemtsma, Fridays for Future
Die Studie solle eine gesellschaftliche Diskussion über das Notwendige und die Umsetzung anstoßen. Dabei hat man offensichtlich nicht zuletzt den Bundestagswahlkampf im Sinn. Die Studie sei viel zu umfangreich für einen Wahlprüfstein, aber sie soll dazu beitragen, dass alle demokratische Parteien Paris-kompatible Parteiprogramme schreiben. Die nächste Legislaturperiode sei besonders wichtig.