Antifranzösische Putsche im Sahel: Erleben wir das Ende der "Françafrique"?

Gabun – der neue Machthaber spricht. Bild: Screenshot

Paris sieht das französische Afrika am Ende. Doch das könnte nur ein taktischer Zug sein. Was es mit der Welle vom Umstürzen auf sich hat.

Totgesagte leben länger, könnte man mit Blick auf die Françafrique sagen, also das neokoloniale Interessengeflecht in Politik, Wirtschaft, Militär und Verwaltung in Frankreich und mehreren seiner früheren Kolonien in West- und Zentralafrika.

Der Begriff geht auf ein 1998 veröffentlichtes Buch des Aktivisten François-Xavier Verschave zurück. Er hatte den 1955 geprägten Ausdruck Frankreich-Afrika abgewandelt.

Dieser Tage also behauptete die amtierende französische Außenministerin, Catherine Colonna, die Françafrique sei Geschichte. Die Pariser Tageszeitung Le Monde schrieb schon in der Headline des entsprechenden Interviews am Dienstag: "Catherine Collona: ‘Die Françafrique ist seit Langem tot’."

Doch genau das behauptet jede neue Regierung seit nunmehr gut 15 Jahren, genauer gesagt seit dem Amtsantritt des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der 2007 zunächst versprach, alte Zöpfe in Sachen Neokolonialismus seines Landes abzuschneiden, um dann rasant eine radikale Kehrtwende zu vollziehen.

Der letzte französische Präsident, der nicht versprach, die angeblich überholten Praktiken Frankreichs in Afrika zu beenden, sondern sich in dieser Hinsicht unvoreingenommen zeigte, war Jacques Chirac. Nur am Rande sei vermerkt, dass die heutige Außenministerin ihre Karriere bei Chirac begann, unter dem sie 2005 bereits Ministerin für EU-Angelegenheiten war.

Von der Wüste in den Regenwald: Bruch mit Frankreich?

Dass dieselbe Catherine Colonna nun zumindest verbal das System der Françafrique zu Grabe trägt, hat einen konkreten Anlass. Am 30. August, also letzten Mittwoch, fand der vorerst letzte Armeeputsch im frankofonen Afrika statt, in der öl- und metallerzreichen Äquatorialrepublik Gabun.

Es war der achte vom Militär organisierte Umsturz im frankofonen Afrika seit 2020, nach denen in Mali (zwei in Folge im August 2020 und im Mai 2021), im Tschad nach dem Tod von Ex-Präsident Idriss Déby im April 2021, in Guinea im September 2021, den beiden Staatsstreichen in Burkina Faso im Jahr 2022 und dem in Niger am 26. Juli dieses Jahres.

Innerhalb von fünf Wochen hat sich die Welle der Militärputsche also von der bisher am stärksten betroffenen Sahelzone mit ihren Wüsten- und Savannenlandschaften auf das Afrika der tropischen Regenwälder ausgeweitet.

Ali Bongo und die vierzig Räuber

Konkreter Anlass war die Verkündung des angeblichen Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen vom 26. August in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Offiziell wurde der seit 2009 amtierende Staatspräsident Ali Bongo mit angeblich 64,27 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

Damit wäre seine Familie erst seit 56 Jahren im Amt, denn Ali Bongo zog als Spross des im Juni 2009 verstorbenen Altpräsidenten Omar Bongo – er regierte seit 1967 – unmittelbar nach dessen Tod in den Präsidentenpalast ein. Im August desselben Jahres ließ er sich in einer offensichtlichen Wahlfarce im Amt bestätigen.

Mit Erleichterung nahm die Bevölkerung die Nachricht auf, dass das Militär eingegriffen und den Bongo-Clan – zumindest den harten Kern, denn der am Montag vereidigte neue Übergangspräsident und Armeegeneral Brice Clotaire Oligui Nguema (48) hat eine Cousine des verstorbenen Omar Bongo zur Mutter – entmachtet hat, und ging zu Freudenkundgebungen auf die Straße.

Alle Welt ging und geht davon aus, dass in Wirklichkeit nicht Ali Bongo, sondern der Einheitskandidat der im Bündnis Alternance 2023 zusammengeschlossenen zivilen Oppositionsparteien, der Wirtschaftsprofessor Albert Ondo Ossa, die Wahlen in der Vorwoche gewonnen hat.

Le Monde schreibt ihm "rund siebzig Prozent" der tatsächlich abgegebenen Stimmen zu. Allerdings hat die neue Militärregierung die Macht bisher nicht an ihn übergeben. Am Dienstag verkündete Oligui Nguema sein Programm für eine "Übergangsphase", deren Dauer und Ende er nicht präzisierte.

Frankreichs Außenministerin Colonna jedenfalls ging es in ihrem Interview darum, mit der Behauptung, das System der Françafrique sei tot, alle Forderungen nach Anerkennung der tatsächlichen Wahlergebnisse abzuschmettern. Die Ministerin beharrt darauf, dass es nicht an Paris sei, die Respektierung des tatsächlichen Wahlergebnisses einzufordern, weil das neokoloniale Kontrollsystem – angeblich – eben "tot" sei.

Damit wird allenfalls notdürftig verschleiert, dass es den Machthabern in Paris in Wahrheit darauf ankam, entweder den Spross der seit Jahrzehnten befreundeten ehemaligen Präsidentenfamilie – Clan-Gründer Omar Bongo begann seine Karriere als Geheimdienstoffizier in der Kolonialarmee, noch vor der formellen Unabhängigkeit Gabuns von Frankreich 1960, wie selbst sein französischsprachiger Wikipedia-Eintrag verrät – im Amt zu belassen oder die Militärs regieren zu sehen.

Ist die Entwicklung dadurch nicht einfacher zu kalkulieren als im Falle einer aktiven Einmischung ziviler Oppositionsparteien – oder gar der Bevölkerung?

Paris und die Putsche in Afrika: Alles und nichts muss sich ändern

Zumindest bislang scheint Frankreich im Falle der Erdölrepublik Gabun nicht alle Geschäfte zu verlieren. Denn der diesjährige Oppositionskandidat, der 68-jährige Ondo Ossa, sprach bereits am 31. August, dem Tag nach dem Militärputsch, gegenüber dem französischen Sender TV5monde von einer "Palastrevolution". Sie diene vor allem präventiv dazu, Teile des bisherigen oligarchischen Herrschaftssystems zu retten, indem man jedenfalls einen Teil des Bongo-Clans opfere, dem man vorwirft, sich zu exzessiv auch auf Kosten der übrigen Elite bereichert zu haben.

Die Initiative dazu ging laut Ondo Ossa von einer älteren Schwester des gestürzten Ex-Präsidenten aus, der 1956 geborenen Pascaline Bongo.

In dem bereits zitierten Interview mit der Pariser Le Monde wollte Ondo Ossa diese Behauptung Ende vergangener Woche allerdings nicht wiederholen: "Ich habe es einmal gesagt, ich sage es nicht noch einmal. Ich stehe mit ihr in Kontakt". Im gleichen Interview erklärte er auch, dass er darauf verzichte, die Bevölkerung zu Protesten gegen den offensichtlichen Wahlbetrug zu mobilisieren.

Nun ist die 1956 geborene Pascaline Bongo eine durchaus einflussreiche Person, sie gilt als diejenige, die den Überblick über die Bankkonten des Familienclans hat. Ihr politischer Einfluss reicht bis nach Frankreich, wo sie etwa eine wichtige Rolle bei der Finanzierung des Aufstiegs von Nicolas Sarkozy zum konservativen Präsidentschaftskandidaten und späteren Staatschef gespielt haben soll; im Januar 2007 saß sie bei dessen "Krönungsparteitag", also dem Nominierungsparteitag der damaligen Regierungspartei UMP (heute Les Républicains), in der ersten Reihe.

Anders verhält es sich in den Staaten der Sahelzone, die seit 2020, zuletzt im Falle der Republik Niger seit Juli 2023, von Staatsstreichen betroffen sind. Dort gibt es tatsächlich einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der die nun regierenden Militärs ebenso einschließt wie Teile der Bevölkerung – die "Übergangs"-Regierungen beziehen ihre politische Legitimation gerade daraus –, dass die Zeit der vor allem militärischen Präsenz Frankreichs nun wirklich abgelaufen ist.

Mit dem Scheitern der Mai-Intervention begann alles

Hintergrund ist das krachende Scheitern der 2013 begonnenen französischen Militärintervention in Mali gegen die Dschihadisten, die sich ab 2011/12 von Norden her in der Sahelzone festsetzen konnten, was auch mit den Ergebnissen der französisch-britischen Intervention in Libyen zusammenhängt.

Der Beginn der französischen Intervention in Mali wurde 2013 zunächst von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt. Diese erklärten in der Regel, dass sie sich keine Illusionen über die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in der Region machten, sondern sich zunächst ein Ende des akuten dschihadistischen Problems wünschten, um sich dann den bekannten strukturellen Problemen wie der Überwindung der Abhängigkeit zuzuwenden.

Doch der Einfluss der Dschihadisten und der mit ihnen verbündeten bewaffneten Banditengruppen in den ländlichen Räumen der Sahelzone im Rahmen einer Art Plünderungsökonomie, die der Landbevölkerung die Ressourcen entzieht, nahm in den folgenden Jahren nicht ab, sondern zu.

Dies ist im Übrigen keine Frage des guten oder schlechten Willens, sondern u.a. die objektive Konsequenz der Stellung Frankreichs als ehemalige koloniale und aktive neokoloniale Hegemonialmacht: In den Augen ihrer Sympathisanten legitimiert ihr Eingreifen die Aktionen der Dschihadisten umso mehr, kämpfen sie doch in einem vermeintlichen Befreiungskampf – auch wenn dessen Auswirkungen in der Realität vor Ort wenig mit Befreiung und viel mit der Versklavung der lokalen Bevölkerung durch Diktate des Tugendterrors und den Entzug wirtschaftlicher Ressourcen zu tun haben.

Spätestens ab 2002 wurde das Scheitern der Intervention an den selbst gesteckten Zielen in breitesten Kreisen in der Region diskutiert.

In der Bevölkerung wurde dies politisch oft in den Vorwurf übersetzt, Frankreich bekämpfe die Dschihadisten in Wirklichkeit gar nicht, sondern liefere ihnen Waffen – eine unbewiesene, aber mittlerweile extrem verbreitete Behauptung –, die zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und französischen Truppen führte.

Anfang 2022 zwang die Militärregierung in Mali die französische Armee, das Land innerhalb von sechs Monaten zu verlassen. Burkina Faso folgte. Paris reagierte, indem es seine regionalen Truppen für die Sahelzone im Nachbarland Niger konzentrierte, dessen Regierung den französischen Forderungen zumindest zu diesem Zeitpunkt wohlwollend gegenüberstand.

Allerdings mit bekanntem Ausgang. Die neue Militärregierung wird von der Bevölkerung vor allem deshalb unterstützt, weil sie die politische Konfrontation mit Frankreich sucht. Inzwischen fordert sie nicht mehr nur den Abzug der 1.500 ständig stationierten französischen Soldaten und die Aufkündigung der Militärabkommen.

Frankreich lehnt dies mit dem Hinweis ab, man verhandele nicht mit einer Putschregierung, sondern nur mit einer gewählten, aber das älteste gültige Stationierungsabkommen (1977) zwischen Paris und Niamey wurde eben mit einer Putschregierung unterzeichnet. In Niamey kündigt man nun aber auch die gewaltsame Ausweisung des französischen Botschafters an, der sich ebenfalls weigert zu gehen und sich verbarrikadiert.

Im Sahel-Afrika jedenfalls dürfte Frankreich im geopolitischen Spiel nun schlechte Karten haben. In Zentralafrika hingegen hält es an den bestehenden Diktaturen fest und könnte sich mit dem oberflächlichen Wandel in Gabun arrangieren.

Bernard Schmid ist hauptberuflich Rechtsanwalt in Paris, nebenberuflich freier Journalist. 2012 erschien von ihm das Buch: "Frankreich in Afrika. Eine (Neo-)Kolonialmacht in der Europäischen Union zu Beginn des 21".

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