Antisemitismus-Resolution: Maulkorb für die Wissenschaft

Luca Schäfer
Eine israelische Flagge vor palästinensischen auf Straßenprotesten

Bei der Resolution ging es weniger um Antisemitismus als um die Delegitimierung von Kritik an Israel

(Bild: Ryan Nash Photography/Shutterstock.com)

Neue Resolution gegen Antisemitismus an Schulen und Unis. Zustimmung von SPD bis AfD. Die Folgen für die akademische Freiheit könnten dramatisch sein.

Sie haben es wieder getan: Nach einer allgemeinen Resolution und entsprechenden Maßnahmen gegen Antisemitismus in Deutschland im November 2024 wurde am 30. Januar mit den Stimmen eines breiten rechten Bürgerblocks eine bildungsspezifische Resolution verabschiedet.

Die zuvor in Pro- und Contra-Merz gespaltene Allparteienkoalition schien sich in diesem Punkt einig: Von SPD bis AfD gab es Zustimmung, nur das BSW stimmte dagegen.

Die Partei Die Linke glänzte mit Enthaltung. Die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Nicole Gohlke, legte den Finger in die Wunde: Statt Brücken zu bauen und den Diskurs gerade an Bildungseinrichtungen zu forcieren, setzt die Resolution auf Repression und Verengung.

Kluger Zeitpunkt, "falsche" Wirkung

Der Zeitpunkt war klug gewählt: Nach dem bundesdeutschen Gedenken an den faschistisch-deutschen Massenmord in Auschwitz können sich offenbar nur noch moralisch Ewiggestrige gegen Antisemitismus wehren.

Wie der sozialdemokratische Vorwärts feststellt, herrsche an deutschen (Hoch-)Schulen eine weit verbreitete Unkenntnis über jüdisches Leben, die, so suggeriert der Bericht, unweigerlich zu Antisemitismus führe.

Dabei geht es in dem achtseitigen Beschluss geht es bei genauer Betrachtung weit weniger um jüdisches Leben in Deutschland als der Titel suggeriert. Im Gegenteil: Die reale Erfahrungswelt jüdischer Menschen kommt in der Resolution nur am Rande vor. Das ist kaum verwunderlich, denn im Bundestag sitzt kein Abgeordneter jüdischer Herkunft.

Im Zentrum steht die deutsche Staatsräson: Der Status Berlins an der Seite der rechtsextremen Regierung in Israel soll rechtlich abgesichert werden. Die Einleitung ist ein Offenbarungseid: Statt vom rechten, eliminatorischen Antisemitismus zu schreiben, wird sich am 7. Oktober 2023 abgearbeitet.

Nach Angaben des Informationsdienstes Rias wurden im Jahr 2023 rund 10 Prozent der antisemitischen Fälle in Deutschland (Gesamtzahl: 4.782) an deutschen Bildungseinrichtungen registriert. Schlimmer noch für die Staatsräson: Rund 12 Prozent der Studierenden meinen, der 7. Oktober sei Ausdruck des legitimen Befreiungskampfes der Palästinenser.

Anstatt auf die virulenten Daten des Antisemitismus einzugehen: 41 Prozent der jüdischen Studierenden verbergen ihre Religion aus Angst, 21 Prozent haben negative Erfahrungen mit ihrem Jüdischsein gemacht und vor allem, wie die Deutsche Welle berichtet, ist der größte Einzelaspekt antisemitischer Straftaten dem Rechtsextremismus zuzuordnen, wird das altbekannte Mantra des israelbezogenen, "importierten" Antisemitismus von links durch die Manege gezogen.

Schade nur, dass die Beweislage zu wünschen übrig lässt: Daniel Pönsgen, Referent beim Rias, sieht weit mehr als ein Drittel der Fälle als rechts motiviert. Der AfD ist in der Studie ein großes Kapitel gewidmet. Die AfD sei "eine Gefahr für jüdisches Leben", stimmte aber brav für die neue Resolution.

Strafen, Konsequenzen, Exmatrikulationen

Es beginnt harmlos: Dass deutsche Schüler verpflichtend eine Holocaust-Gedenkstätte besuchen müssen, wird niemand schlecht finden. Doch dabei bleibt es nicht. Unter Berufung auf die hoch umstrittene Antisemitismus-Definition der IHRA stellt der Deutsche Bundestag weitreichende Sanktions- und Disziplinierungsmaßnahmen in Aussicht. Diese sind allerdings als Empfehlung zu verstehen, rechtlich bindend sind sie – noch – nicht.

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Schüler sollen bei antisemitischem Verhalten zeitweise oder ganz ausgeschlossen, Studierende exmatrikuliert werden können. Erinnert sei dabei an die vergangene Debatte rund um das Palästina-Camp an verschiedenen Berliner Hochschulen, schon damals geisterten Exmatrikulationen als ultima ratio durch die Debatte.

Selbstaufgabe des akademischen Diskurses

Selbst der renommierte Daad zeigte sich in Person seines Präsidenten Joybrato Mukherjee offen für Zwangsexmatrikulationen.

In der Schule liegen disziplinarische Maßnahmen bei Fehlverhalten längst auf dem Tisch – der Schulverweis oder der erzwungene Schulwechsel können qua Klassen- oder Schulkonferenz verhängt werden.

Flankiert werden die repressiven Maßnahmen durch zu unterstützende Bewegungen: Aufklärung über jüdisches Leben, Sensibilisierung von Lehrkräften oder insbesondere die Forderung nach Antisemitismusforschung.

Abgerundet werden die Empfehlungen durch glasklare politische Entscheidungen: So soll das Amt des Landes-Antisemitismusbeauftragten flächendeckend verpflichtend werden. In Hessen ist dieses Amt mit dem CDU-Mann und Mitglied des Deutschen Ritterordens Uwe Becker in der neuen hessischen Landesregierung besetzt.

Dieser ehrte inmitten des Militäreinsatzes in Gaza öffentlich zwei IDF-Soldaten, was selbst in konservativen Kreisen für Aufregung sorgte.

Wie Bilder belegen, überreichte der Zeremonienmeister der Veranstaltung den beiden Soldaten jeweils eine Medaille, auf der ausgerechnet die vermeintliche Landkarte Israels zu sehen war, Palästina existierte nicht mehr. Becker nutzt sein Amt explizit, um in prozionistischer Manier jegliche Kritik an Israel und seinem Geschäftsgebaren von der Landkarte zu fegen.

Polizei und Staatsschutz sollen laut der Resolution die Campi überwachen, der akademische Austausch mit Israel soll intensiviert werden. Während fast alle akademischen Kontakte zum kriegführenden Russland auf Eis gelegt wurden, scheint die Kriegsführung Israels den Bundestag wenig zu kümmern.

Definitionshoheit ist Macht

Der Kern, der alle Maßnahmen sekundiert, ist jedoch die schleichende Anerkennung der IHRA-Definition von Antisemitismus. Diese setzt jegliche Kritik am Staat Israel mit antisemitischer Hetze gleich. Wie ein Gutachten der Rosa-Luxemburg-Stiftung nahelegt, weist die Arbeitsdefinition markante und vielfältige Schwachstellen auf.

Problematisch ist insbesondere der direkte Rückgriff auf die IHRA-Definition unter Punkt 8 (Seite 6) des Bundestagsbeschlusses. Die IHRA-Definition von Antisemitismus weitet den Antisemitismusbegriff bewusst und eindeutig auch auf den Bereich der Kritik am Staat Israel und seiner Politik aus. Wie die IHRA auf ihrer deutschen Seite selbst ausführt, ist zwar Kritik am Staat Israel erlaubt, Kritik an Israel kann jedoch als antisemitisch bewertet werden.

Damit wird der repressiven Definitionshoheit Tür und Tor geöffnet. Der Bundestag folgert daraus ein bewusstes Engagement gegen BDS-Boykottaufrufe, ein Ende kritischer Veranstaltungen auf dem Campus zum Gaza-Krieg sowie eine mit Blick auf kommende Generationen auch nachhaltige Diskursverengung an Schulen wie Universitäten.

Rechter Antisemitismus, der im Unterschied zu BDS tatsächlich für Gewalt gegen Juden verantwortlich ist, spielt hingegen in der Resolution nur eine Nebenrolle.

Unter Androhung von Staatsgewalt und Hausrecht wird die Luft für palästinensische Perspektiven auf Krieg, Vertreibung und Unrecht immer dünner. Der Sieger schreibt die Geschichte, und angesichts Syriens, der Schwächung der Hisbollah und der Abwehr des Iran ist dieser in Israel zu vermuten.

Resolutionspraxis als Modell für die Zukunft?

Wie dies in der Praxis aussehen kann, illustrieren zwei Beispiele. Als an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin palästinasolidarische Proteste aufkamen, wollte Rektorin Bettina Völter schlichten. Versuchte zu vermitteln, einen Diskursraum zu öffnen, mit scharfer Kritik an den besetzenden Studierenden.

Trotz Hausrecht ging ein Video viral: Die Polizei forderte, den Raum zu stürmen. Völter widersprach entschieden, die Situation sei unter Kontrolle. Es folgte ein rechtskonservativer Generalangriff, erst Stellungnahmen jüdischer Studierender und Lehrender, die die Öffnung des Diskurses verteidigten, retteten der Rektorin Amt und Würde.

Wieder in Berlin: Auf einem Schulhof verpasst ein beamteter Lehrer einem arabischen Schüler mit palästinensischer Fahne eine schallende Ohrfeige. 2 Tage nach dem 7. Oktober 2023 war es an der Neuköllner Schule in der Pause zu Sympathiebekundungen für die palästinensische Sache gekommen. Der 62-jährige Beamte musste sich in der Folge vor Gericht verantworten: Er ging dabei fast straffrei aus. Er bleibt Lehrer und Beamter.

Der Kritik der Gewerkschaft GEW ist zuzustimmen: "Antisemitismus ist wie jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Kritik an der Politik der israelischen Regierung, etwa im Hinblick auf den aktuellen Krieg in Gaza, muss aber möglich sein, ohne auf einer schwarzen Liste des Bildungsministeriums zu landen."

Wie lange dies noch möglich sein wird, erscheint angesichts der verabschiedeten Resolution fraglich.