Antwort auf Energiepreis-Abzocke: "Wir zahlen nicht – wir streiken!"
Nach einem eher lauen Protestherbst gibt es neue Initiativen. Auch ein Zahlungsboykott wird angestrebt. Hinzu kommen Tarifkämpfe, wie aktuell bei der Post.
Der zunächst als "heiß" angekündigte Herbst der Krisenproteste war im vergangenen Jahr eher lau. Nach der Großdemostation des Berliner Aktionsbündnisses Umverteilen hat man auch wenig von den Beteiligten gehört. Doch die linken Initiatoren sind nicht in den Winterschlaf verfallen, sondern suchen nach neuen Aktionsmöglichkeiten.
So wurde in Berlin kürzlich die Initiative "Wir zahlen nicht – wir streiken" in Leben gerufen. Zuvor hat eine Sprecherin aus der außerparlamentarischen Linken einen differenzierten Rückblick auf die Herbstproteste gegeben und plausibel erklärt, warum die von vielen erhofften und von den Staatsapparaten befürchteten Großproteste ausblieben.
Dabei erwähnte sie auch die keynesianische Politik der Regierung, die finanzielle Mittel für Unterstützungsprogramme aufbrauchte, damit die Folgen der Energiekrise und Inflation zumindest teilweise abgefedert wurden. Reformlinke würden erklären, dass ein Grund hierfür bereits die Angst vor möglichen Unruhen in der Bevölkerung war.
Hierbei geht es allerdings auch um das kapitalistische Gesamtinteresse, das mit diesen Maßnahmen auch gegen manche kapitalistischen Einzelinteressen umgesetzt wurde. Natürlich bedeuten auch diese Maßnahmen vor allem für die einkommensarmen Menschen keinesfalls ein sorgenfreies Leben, aber das ist schließlich auch nicht Zweck des Kapitalismus, genauso wenig ist ihm mit der Forderung nach Gerechtigkeit beizukommen, was der Wiener Publizist Franz Schandl kürzlich in der Wochenzeitung Freitag kongenial darlegte.
Opfer für den nationalen Standort bringen
Die staatlichen Sozialprogramme haben denn auch weniger das Ziel, das Leben der Menschen, vor allem der armen Menschen zu verbessern. Sie sollen das Gefühl haben, die Regierenden beziehungsweise der Staat tue auch etwas für sie. Dann sind sie auch noch williger bereit, Opfer für den nationalen Standort zu bringen. Die nationalistischen Proteste der AfD und ihres rechten Umfelds, die ja gerade keine Sozialproteste waren, wie Stefan Dietl in der Jungle World gut begründet, sind bei aller Anti-Regierungsrhetorik ebenfalls ein Aufruf für die nationale Volksgemeinschaft.
Linke Proteste hingegen müssen gerade den Mythos des Opferbringens für Staat und Nation hinterfragen. Sie haben es in einer Gesellschaft, wo es wenig Klassenkampf und viel Standortlogik gibt, natürlich schwerer als in Ländern wie Großbritannien, wo Klassenkampf immer schon, auch vor der aktuellen Streikwelle, zum gesellschaftlichen Alltag gehörte.
Von dort kommt die Kampagne, Miet- und Stromschulden einfach nicht mehr zu bezahlen. Zwei Vertreter der britischen Kampagne berichteten kürzlich in Berlin über die große Resonanz, die ihre Kampagne gerade bei Menschen fand, die noch nicht politisch organisiert waren. Allerdings wird es noch eine Weile brauchen, bis sie die angestrebte Million Unterschriften von Menschen haben, die ankündigen, ihre Schulden nicht mehr zu bedienen.
Vier sehr konkrete Forderungen
Die Kampagne ist das Vorbild für die in Berlin vorgestellte Initiative "Wir zahlen nicht". Auch sie habt sich das große Ziel gesetzt, eine Million Unterstützer zu finden, bevor sie mit dem Zahlungsboykott beginnt. Vier sehr konkrete Forderungen wurden aufgestellt: das Verbot von Stromsperren für Menschen, die Rechnung nicht bezahlen können, eine Deckelung des Strompreises bei 15 Cent pro Kilowattstunde, 100 Prozent erneuerbare, dezentral erzeugte Energie und schließlich eine Vergesellschaftung der Energiewirtschaft.
Damit wird an verschiedene aktuelle Kämpfe, beispielsweise die der Klimabewegung, aber auch der Bewegung für die Sozialisierung der Immobilien- und Energiewirtschaft angeknüpft. Mit der Kampagne kann man auch nach dem Vorbild von Bündnissen wie Zwangsräumung verhindern, die Parole "Stromsperren verhindern" ausgeben und damit Betroffene unterstützen, die das wünschen.
Es gibt also neben dem realen Zahlungsboykott noch viele Anknüpfungsmöglichkeiten für eine außerparlamentarische Linke. Interessant ist, dass die Organisatoren den anvisierten Zahlungsboykott als Streik bezeichnen. Daher ist es umso notwendiger, den Kontakt zu Arbeitskämpfen zu suchen.
Warum die Linke wieder von der Post sprechen sollte
Dafür bietet sich aktuell mit den Warnstreiks bei der Post eine gute Gelegenheit. Viel ist in den letzten Jahren in der gesellschaftlichen Linken über "Post" geredet worden. Da gab es den Post-Fordismus, die Postmoderne und viele andere Begrifflichkeiten mit der Vorsilbe Post. Ich habe immer gesagt: Wenn es um Post geht, frage ich meinen Freund Hartmut. Der ist Briefzusteller und hat sich in den letzten Tagen am Warnstreik beteiligt.
Den haben vielleicht auch manche Linke mitbekommen, weil ihr Briefkasten leer geblieben ist. Dabei sollten Linke gerade jetzt über Post sprechen und den Arbeitskampf unterstützten. Denn er ist die Fortsetzung der Krisenproteste, die nicht wenige im Herbst erhofften. Doch sie blieben klein.
Bündnisse wie "Genug ist genug" haben schon damals dafür plädiert, die Tarifverhandlungen der nächsten Zeit zu unterstützen. Mit dem Arbeitskampf bei der Post besteht dazu jetzt die Möglichkeit. Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft fordern 15 Prozent mehr Lohn, weil angesichts der Inflation nur so ein Reallohnverlust verhindert wird.
Bei der Post ist der Kampf auch deshalb besonders aussichtsreich, weil das Unternehmen zu den Corona-Krisengewinnern gehört. Gleichzeitig wird seit Jahren nicht nur bei den Beschäftigten gespart, sondern auch der Service immer mehr eingeschränkt. Viele Postfilialen in Stadtteilen wurden geschlossen, so dass manche heute Kilometer weit laufen müssen, um ein Paket abzugeben oder abzuholen.
Alles steht seit Jahren unter dem Primat der Profitmaximierung. Der Arbeitskampf, der mit dem jetzigen Warnstreik noch in der ersten Runde ist, könnte daher eine gute Gelegenheit sein, um die ver.di-Parole "Zusammen geht mehr" konkret in die Praxis umzusetzen. Da gibt es viele Möglichkeiten.
So kann durch Aufkleber auf die Briefkästen den Zusteller vermittelt wird, dass man ihren Arbeitskampf unterstützt, auch wenn dann der Briefkasten mal leer bleibt. Zudem könnten Kundgebungen und Demonstrationen organisiert werden, um die Solidarität mit den Beschäftigten der Post mit der Forderung zu verbinden, dass die fortgesetzte Schließung von Postfilialen in den Kiezen beendet wird.
Im Gegenteil müssen sie wieder eröffnet werden, wo sie schon geschlossen wurden. Sie gehören zur sozialen Infrastruktur. So könnten die Tarifkämpfe zur Fortsetzung der Krisenproteste werden. Die Initiative "Wir zahlen nicht" ist dazu kein Widerspruch. Im Gegenteil, dort könnten die Forderungen auch bei den Menschen bekannt gemacht werden, die keinen Kontakt zur gesellschaftlichen Linken haben. Auf sie aber kommt es an, wenn man nur in die nähe der anvisierten Million Unterstützerinnen und Unterstützer kommen will.
Zudem heißt es in der Initiative "Wir zahlen nicht – wir streiken". Da wäre es doch naheliegend, sich mit den Menschen im Arbeitskampf zu verbinden.