April, der Monat, der sich gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern wendet
Doch was passiert in den anderen Monaten?
In den Vereinigten Staaten hat George W. Bush den Monat gegen den Kindesmißbrauch ausgerufen. In Science veröffentlichen Jennifer Freyd und Kolleginnen und Kollegen ihre Gedanken zu diesem Thema.
Ihre große Sorge erwächst aus der Erfahrung, wonach der sexuelle Missbrauch in unserer liberalen Gesellschaft einfach totgeschwiegen wird. Denn "aktenkundig" betroffen sind weltweit 20 Prozent der Frauen und 5-10 Prozent der Männer. In Wirklichkeit ist die Zahl der Opfer unendlich größer.
Nahezu die Hälfte der sexuellen Misshandlungen geht zu Lasten der Jugendlichen. Dabei sind 50 Prozent der Delikte im nahen Umfeld zu finden. Am Beispiel der Vergewaltigung bestätigt sich diese Vermutung: 41 Prozent der Täter waren mit dem Opfer bekannt. Oder bei den Kindern: 46 Prozent der Tatverdächtigen sind Bekannte oder Verwandte.
Dazu kommen weitere wichtige Faktoren, nämlich das Schweigen im gesamten Umfeld und das Verdrängen bei den Betroffenen. Dieser Umstand wird häufig übersehen, ist aber typisch für die Opfer. Jennifer Freyd und Mitarbeiter wollen deshalb eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fachleute erreichen und ferner, die Medien zur schonungslosen Aufklärung gewinnen.
In den Vereinigten Staaten sind die homosexuellen Handlungen verschiedener katholischer Priester an ihren anvertrauten Jugendlichen bekannt geworden. Die Mutter erzählt nichts oder hält die Annäherung des Priesters für Fürsorge und nicht für Missbrauch. Die nahen Verwandten sprechen nicht für, sondern gegen den Jugendlichen. Und die Hierarchie der Kirche kennt keine Bestrafung, sondern nur die Versetzung des Priesters. Womit der Kreis der Geschädigten nur noch größer wird. Anderswo wird ein Ring aufgedeckt, der sich dem Sex mit Kleinkindern und Jugendlichen bedient. Hierbei wird keine schonungslose Berichterstattung gefordert. Stattdessen wird, um die Kinder nicht zu gefährden, in den Medien nur weniges berichtet.
Dass das Verdrängen gleichwohl mit körperlichen und seelischen Problemen einhergeht, wird gerne vergessen. In unserer Zeit ist es die Bereitschaft zu Drogenkonsum und Kriminalität. Oder eine Neigung zu posttraumatischen Stress, Depression und Suiziden. In einigen Fällen kommt sogar die Bereitschaft hinzu, Menschen zu entführen oder zu verkaufen. Untersuchungen zeigen ferner, dass Opfer leicht zu Tätern werden, zum Beispiel als Vergewaltiger oder Schlächter im Krieg.
Jennifer Freyd und Mitarbeiter fordern deshalb ein "Institute of Child Abuse and Interpersonal Violence". Denn vieles bleibt noch ungeklärt. Nicht zuletzt die wechselvollen Beziehungen zur Familie oder zu nahen Verwandten.
Nach einem Bericht des amerikanischen Justizministeriums von 1996 werden die Kosten für die Behandlung von Vergewaltigungsopfern auf 1,5 Milliarden Dollar veranschlagt und die jährlichen Gesamtkosten für die Betroffenen gar auf 23 Milliarden Dollar. Wenn man bedenkt, dass lediglich 5 Prozent für die Forschung zu diesem Thema ausgegeben wird, ist das nach Ansicht der Wissenschaftler einfach zu wenig.
Frau Jennifer Freyd wird allerdings nicht die Sympathie von George W. Bush gewinnen können. Ihr Arbeitsgebiet ist nämlich das Betrayal Trauma. Da geht es nicht nur um den sexuellen Missbrauch, sondern ganz allgemein um den "Verrat" an unseren Werten. Kein Wunder, dass eine Mitarbeiterin, E.L. Zurbriggen, den engen Bezug zur Präsidentenwahl im Jahr 2004 herstellt. "In der Not klammern sich die Konservativen an einen starken Führer und sehen keine der Lügen, die dafür herhalten müssen", sagt sie und weiter: "Bleibt also nur zu hoffen, dass sich das Bild von George W. Bush wenigstens in den nächsten vier Jahren als Lüge entpuppt."