Arbeitszeit: Mit 60-Stunden-Woche gegen Fachkräftemangel

Christoph Jehle
Geschäftsmann am Schreibtisch im Stress, unscharfer Bildrand

Bild: PeopleImages.com - Yuri A /shutterstock.com

USA: Arbeitsverdichtung statt Zuwanderung. Google zeigt die Richtung. Ist diese Entwicklung auch in Deutschland möglich?

In der Vergangenheit hatten US-amerikanische Firmen, die keine illegalen Einwanderer mehr an ihrem US-Standort beschäftigen konnten, die Chance ihre Produktion nach Korea und später nach China auszulagern, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Dieser Ausweg ist inzwischen verbaut, weil die nun fälligen Einfuhrzölle mit ihren variablen Halbwertszeiten sich nicht mehr sicher vorherbestimmen lassen und damit eine fundierte Kalkulation derartiger Produktionsverlagerungen weitgehend verhindern.

Da es aufgrund der Rückführung von Migranten nun absehbar an Personal mangelt und Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Löhnen kaum mehr darstellbar sind, sieht man sich in den USA zunehmend gezwungen, die verbliebenen Beschäftigten stärker auszulasten oder auf Kinderarbeit zu setzen, um im Wettstreit mit KI-Anwendungen noch Land zu sehen.

Google-Mitgründer Sergey Brin prescht mit Forderung nach 60-Stunden-Woche voran

Sergey Brin ist neben Larry Page Mitgründer von Google und gemeinsam besitzen sie die Mehrheit der Firmenanteile. Daher haben sie auch nach wie vor die Möglichkeit, das Geschäft mitzubestimmen.

Brin will Googles Mitarbeiter motivieren, indem er sowohl deutlich mehr Arbeitsstunden als auch die Rückkehr ins Büro fordert. Er geht davon aus, dass sich die Produktivität der Google-Mitarbeiter durch diese Maßnahmen auf jeden Fall erhöhen würde.

Für diese Erwartung gibt es keine wissenschaftlich belegte Begründung, was jedoch in der aktuellen, wenig wissenschaftsbasierten Tendenz in den USA offenbar kein Grund dafür ist, die Forderung nach längeren Arbeitszeiten hinsichtlich ihrer Effizienz zu hinterfragen.

Unter dem Motto ″America first″ müssen sich auch die Arbeitnehmer verstärkt für ihr Land engagieren. Und damit kein Arbeitnehmer seine Motivation für den Arbeitgeber verliert, werden in den USA zur Überwachung der Beschäftigten aktuell auch Lügendetektoren eingesetzt.

Deutschland: Work-Life-Balance hat Einzug gehalten

In Deutschland passt die Vorstellung von einer 60-Stunden-Woche, zumal noch ausschließlich im Büro, nicht zum hiesigen Arbeitsmarkt.

Hierzulande wäre eine 60-Stunden-Woche rechtlich zwar möglich, aber nur kurzfristig. In den folgenden Wochen müsste man anschließend durch weniger Arbeitszeit einen Ausgleich schaffen, um wieder auf den erlaubten Wert von maximal 48 Wochen-Stunden zu kommen.

Zudem hat hierzulande mittlerweile die "Work-Life-Balance" Einzug gehalten und die Tendenz geht zur Vier-Tage-Woche. Das steht den Forderungen des Google-Gründers diametral entgegen.

Vor die Entscheidung gestellt, mehr zu arbeiten oder gekündigt zu werden, könnte sich jedoch so mancher für das Experiment entscheiden, falls die Gesetzeslage geändert würde und längere Arbeitszeiten freigegeben würden.

Auch wenn die kommende Bundesregierung in Deutschland weniger rigide als Trump bei seinen Abschiebungen vorgehen will, könnte der Ruf Deutschlands als Land, in dem man arbeiten und vergleichsweise gut verdienen kann, durchaus leiden.

Pflegekräfte könnten dann ebenso einen Bogen um Deutschland machen, wie dringend benötigte Saisonarbeitskräfte in Landwirtschaft und Gastronomie.

Die Reduzierung der Umsatzsteuer für die Gastronomie wird ohne Personal kaum eine Wirkung entfalten. Längere Arbeitszeiten während der Saison für das verbliebene Personal könnten einen Einstieg in die Verlängerung der Wochenarbeitszeiten bieten.

Wenn dann noch die derzeitige Verärgerung der ÖPNV-Kunden über die von den Gewerkschaften verkündeten Streiks genutzt wird, um das Streikrecht einzuschränken, könnte dem Widerstand gegen gebotene Arbeitszeitverlängerungen Wind aus den Segeln genommen werden.

Als Folge verlängerter Arbeitszeiten dürfte die traditionelle Gastronomie auch mit reduzierter Umsatzsteuer nicht wieder auf die Beine kommen und noch mehr Marktanteile an die Systemgastronomie verlieren, die nur industrielle Fertigprodukte in Fritteuse und Mikrowelle aufwärmt, wofür man kein ausgebildetes Fachpersonal benötigt.

Längere Arbeitszeiten und gesundheitliche Folgen

Längere Arbeitszeiten führen zweifelsohne zu einer Vereinzelung der Beschäftigten, weil weder ein Familien- noch ein Vereinsleben sich noch realisieren ließe. Man muss in diesem Zusammenhang nur einmal auf die Folgen der Ganztagsschulen schauen, welche die Jugendarbeit vieler Vereine weitgehend zum Erliegen gebracht hat.

Ob ein erhöhtes Arbeitspensum der Beschäftigten zu mehr Burn-outs und mehr inneren Kündigungen führen würde, ist eine berechtigte Frage. Eine wohl unvermeidbare Folge der zunehmenden Arbeitsbelastung werden familiäre und gesundheitliche Probleme sein.

Wenn kontrolliert längere Arbeitszeiten gefordert werden, wird dies im besten Fall zu einem vermehrten Dienst nach Vorschrift und zur innneren Kündigung führen.

Die Bindung der Arbeitnehmer an ihren Arbeitnehmer dürfte weiter fallen. Laut Gallup Engagement Index Deutschland 2024 gab nur die Hälfte der Beschäftigten an, in einem Jahr noch uneingeschränkt bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber sein zu wollen. Headhunter sind angeblich so aktiv wie nie zuvor.

Gleichzeitig sinkt das Vertrauen der Arbeitnehmer sowohl in die finanzielle Zukunft ihres Arbeitgebers als auch konkret in ihre Führungskräfte.

Auf Sicht ist damit zu rechnen, dass die Einflüsse der unter Trump zugespitzten Entwicklung hin zur autokratischen Herrschaft der Wohlhabenden auch in Deutschland an Einfluss gewinnen, was nicht unbedingt auf große Freude trifft.