Architektur mit Fernbedienung
Ein neues Architekturbuch?
Wenn junge Architekten zwischen 30 und 50 ihr erstes Buch produzieren, ist das Ergebnis meist vorhersagbar : Konventionen herrschen vor, die zielgruppengerecht und marketingorientiert auf mögliche Adressaten zugeschnitten sind. Beim Bauen geht es in erster Linie um die Ökonomie, und die Ästhetik ist da einmal mehr schöne Verpackung des (Geld)Scheins. Es geht auch anders, doch das ist selten. So ein Buch hat Anton Markus Pasing vorgelegt, und es bedarf dreier Anläufe zum vorläufigen Verständnis.
1. Versuch
Erinnert sich noch jemand an 'Jam'? 1970 als billig geklebtes Paperback im Grossformat erschienen, das bei ersten Versuch des Lesens bereits auseinanderbrach, war es im heutigen Jargon das Kultbuch einer Kultgruppe. Archigram hiessen die Leute, und ihr Lautsprecher war Peter Cook, der alsbald nach Frankfurt zog, der Lehre wegen. Ron Herron hat als einziger im eigenen Fach Karriere gemacht, und das auch erst sehr spät. Ansonsten ist die Gruppe eine Fussnote der Architekturgeschichte geworden, Fleissaufgabe für baugeschichtliche Magisterarbeiten. Das Buch selbst war das, was sein Titel sagte - Vierfruchtmarmelade im Zwanziglitereimer, jeder Löffel ein Erlebnis. Eine wüste Collage von Gedankensplittern, ohne grosse Reflexion assoziativ zusammengesetzt und in aller Naivität und Offenheit den BetrachterInnen als Rohling vorgesetzt.
Wer daraus Diamanten brauchte, musste selber schleifen. Einzelne Entwürfe haben überlebt, sind in die Sammelbände von Heinrich Klotz und Vittorio Lampugnani eingeflossen und haben eine Rezeption begründet, deren deutlichster Ausfluss der Brocken S,M,L,XL von Rem Koolhaas war. Der Unterschied über ein Vierteljahrhundert lag in den anderen Darstellungstechniken, weniger im Prinzip des Collagierens. Wo Zeichnungen und Klebebildchen grob gerastert zusammengeschustert wurden, waren nun 3D-Renderings, Duotonphotographien und Screenshots aller Art getreten, diese zudem in unendlichen Variationen farbig angelegt und tausendfach übereinanderkopiert („gelayert" seit neuerem in Graphikerstuben).
Unausgesprochen - er spricht nie etwas aus, doch davon später - bezieht sich Pasing auf beide Bücher und entwickelt eine eigene Mischung. PhotoShop und QuarkXPress lugen aus jedem Winkel, die Konventionen der Computerprogramme sind unüberbrückbar oder scheinen es wenigstens. Dies einmal abgezogen - es stört schon arg - und auch der Carson-Verschnitt in der Typographie vergessen - der macht weite Strecken schlicht unlesbar -, bleibt über alle Geschichtsbezüge hinaus auch noch genug Eigenes. Und der Verweis ins Gewesene ist eine schöne Heimat. Archigram als Ort des Denkens, The Walking City und Wolf Dörings Metastadtstrukturen geben schon einen guten Hintergrund ab für jemand mit Anspruch. Und den hat Anton Markus Pasing, auf jeder Seite, mit jedem Projekt.
2.Versuch
Das Buch hat einen englischen Titel und ist zweisprachig. Die Übersetzung stammt nicht von einem native speaker und ist ein wenig bemüht. Der Ärger darüber schwächt sich bei mehrfachem Lesen jedoch merklich ab, denn die Rückübersetzung ins Deutsche führt allzu deutlich vor, welche Schwächen die Texte des Architekten haben. Sie sind - so nicht Projektbeschreibungen für Wettbewerbe mit ihrem hochredundanten Anteil an ritueller Innovationsbeschwörung - im Wortsinn Künstlertheorie mit all ihren Eigenarten.
Vieles kommt in der Form kurzer und kürzester Geschichten daher. Oft ist dabei von Kindern die Rede - eigenen, anderen, imaginierten. Zudem werden manche Genres der Trivialliteratur bemüht, auch der Film. Pasing wäre sicher Schriftsteller geworden, wenn ihm die Texte wichtiger als die Bilder, Montagen und Entwurfszeichnungen gewesen wären. So bleibt das Problem, was viele Texte sollen. Sie gehen über die Deskription weit hinaus und fürchten die Legitimation - alte Schwierigkeit aller Künstlertheorie - wie der Teufel das Weihwasser. Für eine echte Provokation sind sie zu ernsthaft, für Ironie zu wenig distanziert. Meist helfen sie rein gar nichts. Noch weniger helfen allerdings die beiden Vorworte anderer Autoren; sie sind schlicht überflüssig. Einzig hilfreicher Text ist der von Thomas Wulffen, er behandelt ein typisches Projekt von Architektur auf Zeit.
3.Versuch
Anton Markus Pasing ist eine Generation jünger als Coop Himmelblau, die Haus-Rucker-Company, die Brüder Krier, Daniel Libeskind, Hans Kollhoff und Rem Koolhaas. Als Nachgeborener kann er sich nicht mehr auf den Charme einer studentischen Unbefangenheit in Theoriebildung und photomontierter Utopie berufen - wie diese gegenüber den Metabolisten und der Archigram, deren Denken er nun als Enkel legitim adaptiert. Wie alle Genannten ist er mit seinem ersten Buch das Wagnis eingegangen, sein Denken zu präsentieren, eine un-praktische Position einzunehmen und sich nicht mit fertigen Projekten zukünftigen Bauherren wohlfeil vorführen zu können. Wettbewerbe hat er wohl gewonnen, doch von Realisation steht da nichts.
Das Buch ist also in jeder Hinsicht für Autor wie Verlag ein Wagnis und kann als solches nicht abschliessend beurteilt werden. Die hier kritisierte Disparatheit ist in jedem Fall der Betrachtung auch ein unbedingter Vorteil : Der Einstieg in die Beschäftigung mit diesem Buch gelingt von jeder Seite aus, einzeln. Insofern ist das Werk auch ein Kind des Medienzeitalters, wäre ohne Netzkunst und Design-Websites gar nicht denkbar und möglich. Das schnelle Durchklicken im Netz verdeckt häufig genug die Unzulänglichkeiten der textlichen Angebote; in einem Buch wird genauer gelesen und härter kritisiert, dennoch lohnt sich der Aufwand in jedem Fall.
Das Medium Buch hat wie die illustrierte Presse insgesamt schon jetzt ästhetisch erheblich vom Netz und den dort etablierten Seh-, Lese- und Hörweisen profitiert. Dieses Buch ist in erster Linie eine beachtliche, weil komplexe und sperrige Rückübersetzung der Computergraphik und des Netzbildens in das alte Medium bedruckter Blätter zwischen zwei Kartons. Allein dafür gebührt ihm eine längere Aufmerksamkeit.
Anton Markus Pasing, remote controlled architecture, Verlag H.M. Nelte, Wiesbaden 1998, ISBN 3-932509-20-X, 184 S. mit 420 Abb., 24 x 24 cm, DM 78,00.