Arctic LNG 2: Chinas Schiffe tricksen für Putins Gas-Projekt
China schickt heimlich Kraftwerksmodule nach Russland. Die Frachter sollen Putins wichtigstes Gas-Projekt retten. Doch der Winter könnte alles zunichtemachen.
Um Fracht vom und zum Werk Arctic LNG 2, das auf der Sanktionsliste steht, zu verschleiern, verschwinden sämtliche Schiffe vom Radar. Um den Ausbau auf Gydan fortzusetzen, sollen Kraftwerksmodule aus China Abhilfe schaffen.
Wettlauf gegen Zeit und Sanktionen
In einem verzweifelten Versuch, Russlands größtes LNG-Projekt zu retten, sei aus China eine kleine Flotte von Frachtschiffen in Richtung Arktis aufgebrochen. Nur noch wenige Wochen, bevor das Meereis im Winter die Route durchs Eismeer unpassierbar macht, sei diese heikle Fracht ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen westliche Sanktionen, heißt es in einem Bericht vom High North News Portal Anfang Oktober.
Dem vorausgegangen waren laut diesem Bericht Verlademanöver in China, an dem sechs Schiffe beteiligt gewesen sein sollen, um drei Kraftwerksmodule und eine Umspannstation von der Wisons Zhoushan-Werft zu verladen, umzuladen und schließlich unentdeckt auf den Weg zu bringen.
Wison baut einfach weiter
Ungeachtet von Sanktionen hatte Wison New Energies insgesamt fünf Kraftwerksmodule und die Umspannstation als Ersatz für den Turbinen-Lieferausfall vom US-Unternehmen Baker Hughes für Arctic LNG 2 fertig gebaut. Dabei hatte der chinesische Techniklieferant im Juni den Ausstieg aus dem Russlandgeschäft erklärt und im Juli einen Frachter mit Modulen für die dritte geplante Gasverflüssigungslinie von Arctic LNG 2 aus Furcht vor Sanktionen zurückbeordert.
Nach letzten Standortdaten beim Schiffsverfolgungsdienst Marine Traffic befanden sich die Frachtschiffe Ocean 28, Hunter Star, und Nan Feng Zhi Xing Ende September, Anfang Oktober nördlich von Japan. Alle drei Schiffe fahren unter der Flagge von Panama. Als Zielhäfen sind für die zwei zuletzt genannten Schiffe Sabetta auf der Nachbarhalbinsel Yamal genannt. Für die Ocean 28 ist indessen Arctic LNG 2 auf Gydan als Zielhafen vermerkt. Für die Passage in der Arktis sind die Systeme zur Standortanzeige AIS der Schiffe zeitweise abgeschaltet.
Klar zum Andocken auf Gydan
Laut AIS-Positionsangaben von Shipatlas hätten die Ocean 28 und Nan Feng Zhi Xing am Utrenniy-Terminal von Arctic LNG 2 angedockt und löschten derzeit ihre Modulfracht von Wison New Energies, berichtete gCaptain am 30. Oktober. Die Hunter Star ist noch unterwegs.
Auch die USA verhängte ihrerseits neue Sanktionen gegen weitere LNG-Tanker, Betreiber der Schattenflotte und Logistikunternehmen. Die Ocean 28 und Wison New Energies sind bislang nicht dabei. Gegen die Hunter Star und Nan Feng Zhi Xing liegen dagegen bereits Sanktionen vor. Sollten gegen Wison Strafmaßnahmen verhängt werden, drohen riesige Verluste und Auftragseinbußen.
Versteckte Lieferungen
Um endlich LNG von Gydan abzutransportieren, kam das Spoofing zum Einsatz. Die AIS-Daten werden dabei so programmiert, dass sie für Schiffe vorgetäuschte Standorte anzeigen, während sie an ganz anderer Stelle operieren. Anhand von Satellitenbildern zeigten das maritime Nachrichtenportal gCaptain und die Nachrichtenagentur Bloomberg, wie etwa die Pioneer und Everest Energy Fracht von Arctic LNG 2 aufnahmen.
Beide Schiffe gehören zur LNG-Schattenflotte und stehen inzwischen auf der Sanktionsliste der USA. Das Versteckspiel, wer die Fracht abnimmt, läuft noch. Nach russischer Lesart sind die Transporte für China vorgesehen und dort auch schon erste Lieferungen eingetroffen.
Westliche Medien legen indes nahe, dass das LNG von Gydan in Spezialspeicherschiffen in der Bucht von Murmansk und in der Bucht von Kamtschatka lagert. Belgiens Vorstoß, LNG von Gydan zu tracken, wiegelte Industrieexperte Leonid Chasanow damit ab, dass es keine Datenbank für Gasmoleküle gebe und es nicht einfach sei, den Tankerverkehr nachzuverfolgen.
Russland im Verzug bei LNG-Zielen
Bei all diesem Versteckspiel verpasst Russland sein Ziel, bis 2030 die Produktionskapazitäten von aktuell 37 auf 100 Millionen Tonnen LNG zu erhöhen. Das geht aus einer aktuellen Studie von der russischen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Kept, die bis Juni 2022 zum internationalen Netzwerk von KPMG gehörte, hervor.
In ihren Szenarien gehen die Kept-Analysten davon, dass bis 2030 die zwei noch ausstehenden Linien von Arctic LNG 2 hinzukommen, sodass die Produktionskapazität lediglich die Hälfte der ambitionierten Ausbaupläne umfasst und Russland erst im neuen Investitionshorizont nach 2035 zum Zug kommt. Zu sehr laste der Druck von Sanktionen auf der russischen LNG-Industrie und eine unzureichende Tankerflotte, um das LNG unter arktischen Bedingungen abzutransportieren.