Arktis im Wandel: Vier Millionen Menschen zwischen den Fronten

Franziska Lindner
Eine Arktisbewohnerin in Fellen im Schnee

Jamal-Halbinsel: Im russischen Teil der Arktis leben etwa 2,5 Millionen Menschen

(Bild: evgenii mitroshin/Shutterstock.com)

Die Arktis ist zu einem Brennpunkt geworden. Bodenschätze werden freigelegt und militärische Präsenz ausgebaut. Die Bevölkerung wird dabei ausgeblendet.

Die Arktis wird mehr und mehr zu einem Ort der Konkurrenz zwischen verschiedenen Groß- und Regionalmächten.

Der designierte US-Präsident Donald Trump möchte die unter dänischer Verwaltung stehende Insel Grönland zu einem Teil der Vereinigten Staaten von Amerika machen; aus Gründen der nationalen Sicherheit.

Über 50 Prozent des Gebiets der Arktis gehört zur Russischen Föderation. Auf diesem Gebiet lebt auch der größte Teil der arktischen Bevölkerung.

Menschen und Ressourcen in der Arktis

In der Arktis leben fast vier Millionen Menschen, darunter althergebrachte Jäger und Hirten, Neuankömmlinge und Stadtbewohner. Etwa 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner gehören zu den indigenen Völkern, die ihre traditionellen Tätigkeiten im Kontext einer sich verändernden Welt fortsetzen.

Im russischen Teil der Arktis leben etwa 2,5 Millionen Menschen, darunter 40 indigene Völker wie etwa Sami, Tschuktschen und Chanten. Weitere vergleichsweise größere Bevölkerungsanteile finden sich in Island, auf Grönland, den Färöer Inseln, in Kanada und den USA.

Die Veränderungen der arktischen Umwelt wirken sich auf die Bewohnerinnen und Bewohner, ihre Lebensgrundlagen, Kulturen und Sprachen auf verschiedene Weise aus.

Die größte Herausforderung, mit der arktische Gemeinschaften konfrontiert sind, sind die Auswirkungen des Klimawandels, welche die Ergreifung von Maßnahmen zur Anpassung und Stärkung der Widerstandsfähigkeit notwendig machen.

Gleichzeitig wirken sich global stattfindende geostrategische und geopolitische Entwicklungen auf die Region aus. Neue, kürzere Seewege zwischen West und Ost machen das Gebiet mit Bezug auf den internationalen Handel interessant.

Mit enormen militärischen Investitionen flankieren zum einen die anliegenden Nato-Staaten und zum anderen Russlands ihre Sicherheits- sowie Wirtschaftsinteressen. Ausgedehnte wissenschaftliche Erkundungen deuten auf das Interesse an den bedeutenden Ressourcen der Region hin.

Projekte für die Menschen

Doch der Abbau von Ressourcen schafft Notwendigkeiten wie Infrastruktur jeglicher Art (Verkehr, medizinische Versorgung, Digitales) oder Humankapital. Die Arktis bietet dabei Potenzial für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, die Raum für Investitionen bietet und zugleich lokalen Gemeinschaften zu Gute kommen kann.

Innerhalb des im Jahre 1996 gegründeten Arktischen Rates, dem acht Länder mit unterschiedlich großen Arktisanteilen angehören, fanden und finden verschiedene transarktische Projekte statt, die gezielt gesellschaftliche Entwicklungen sowie die Förderung der indigenen Bevölkerung vorantreiben sollen.

Die Themen reichen von Gesundheit, schulischer Bildung, Ökologie bis zu Geschlechtergleichheit.

Da die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation im Arktischen Rat seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 eingestellt ist, decken die Programme den russischen Teil der Arktis nicht mehr ab. Doch lebt dort mehr als die Hälfte der arktischen Bevölkerung.

Der Beitrag der Arktis zum Bruttoinlandsprodukt Russlands wird von Experten auf 15 bis 20 Prozent geschätzt. In Russland werden daher auf politischer und wirtschaftlicher Ebene eigene staatliche Entwicklungsprogramme für die Arktis aufgestellt.

Wissenschaft wichtiger als Ressourcen

Auf einem wissenschaftlichen Seminar zur Zukunft der Arktis an der Fakultät für Weltwirtschaft der Moskauer Forschungsuniversität Higher School of Economics (HSE) erklärte Professor Valery Krukov: "Solange die Arktis ein Gebiet von Ressourcen-Megaprojekten bleibt, die von großen Unternehmen durchgeführt werden, werden selbst deren relative Erfolge nicht zur Entwicklung der Region als Ganzes führen".

Die Entwicklung der wissensbasierten Wirtschaft mache es notwendig, neue Ansätze für die Entwicklung der Region zu finden. Ressourcen spielten in der Arktis eine große Rolle, aber ihre Bedeutung näme mit der Zeit ab, Wissen und Intelligenz rückten in den Vordergrund.

Zu den wichtigsten Prioritäten gehörten daher neben der Entwicklung der arktischen Zone als Ressourcenbasis, die Förderung einer hohen Lebensqualität und des Wohlergehens der dortigen Bevölkerung.

Die arktische Region und ihre Wirtschaft kennzeichnen die große Entfernung zu den Märkten, das Fehlen lokaler Märkte sowie einzigartige Umweltbedingungen.

Infolgedessen bestehen dort einzigartige Produktions- und Technologiekomplexe, die einerseits auf ein hohes Maß an zentralisierten Entscheidungen ausgerichtet sind und andererseits auf lokalisierte Fähigkeiten, Wissen über spezifische Praktiken in bestimmten Regionen angewiesen sind.

Die wichtigste Aufgabe bestehe daher darin, die Rolle der wissenschaftsintensiven Dienstleistungen zu stärken. Die Arktis müsse mit den Kompetenzzentren innerhalb des Landes, insbesondere im östlichen Teil des Staates, verbunden werden.

Auch habe der nördliche Seeweg für Russland keinen Sinn ohne meridionale, also in Nord-Süd-Richtung verlaufende Verkehrswege, die es mit den Zentren der wissenschaftlichen Forschung und der industriellen Produktion in Sibirien verbinden.

Andernfalls werde sie nur für den Export natürlicher Ressourcen und den Import von Ausrüstungen für deren Gewinnung aus dem Ausland genutzt, ohne einen Multiplikatoreffekt für die Wirtschaft des Landes als Ganzes zu erzeugen.