Armee umwirbt Kinder
Die Bundeswehr wirbt massiv unter Minderjährigen für den Dienst an der Waffe
„Gut ausgebildete, gleichermaßen leistungsfähige wie leistungswillige Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“, heißt es im aktuellen Weißbuch 2006 - zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr des Bundesministeriums der Verteidigung. Trotz eines generellen Personalabbaus beziffert die deutsche Armee ihren Personalbedarf in dem zukunftsweisenden Strategiepapier mit jährlich „20.000 jungen Frauen und Männern“. Um diesen Bedarf sicherzustellen, schreckt die Bundeswehr auch nicht davor zurück Minderjährige anzuwerben.
„Bw-Beachen ’09 - Spaß und Action garantiert“, mit diesem Slogan wirbt die Bundeswehr in diesem Jahr für ihren Jugendsportevent. Über eintausend Jugendliche können an dem kostenlosen Beachvolleyball- und Beachsoccer-Turnier teilnehmen. Alle „Bw-Beachen“-Teilnehmern „erwartet neben den sportlichen Wettkämpfen ein super Rahmenprogramm mit prominenten Sportlern, Infotainment, Fun-Programm sowie Partys mit angesagten DJs, Radio Andernach und der Big Band der Bundeswehr“, heißt es dazu auf der Eventeigenen Website. Der erste Ausscheidungswettkampf findet vom 8. bis 10. Mai 2009 in der Bundeswehr-Sportschule im westfälischen Warendorf bei Münster statt – Turniere an der Offiziersschule des Heeres Dresden und am Marinestützpunkt Wilhelmshaven folgen. Dabei verfolgt die Armee ihr eigenes Ziel: „Bewerben kannst du dich, wenn du 16 oder 17 Jahre alt bist“ und „die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“. Der Teamsport-Event ist kein einfacher Freizeitspaß für unter 18-Jährige, hier soll der Armee-Nachwuchs rekrutiert werden. Das die Bundeswehr Minderjährige anwirbt hat System.
Auch am neunten bundesweiten Mädchen-Zukunftstag „Girls’Day“, der am 23. April 2009, stattfand, warben die deutschen Militärs gezielt Minderjährige. Die Armee beschränkte das Alter der Teilnehmerinnen bei den über 150 Bundeswehr-Veranstaltungen an diesem Tag im Vorfeld zwar auf Mädchen der Jahrgangsstufen 9 und 10, die also zwischen 14 und 16 Jahren alt sind. Nun kam durch einen Bericht der Militärzeitschrift aktuell - Zeitung für die Bundeswehr heraus, dass selbst 11-Jährige beim „Girls’Day“ von der Armee umworben wurden: „Die elf Jahre alten Mädchen Katrin Janzen und Fenja Albrecht aus Hude setzten sich in die Pilotensitze eines Marinehubschraubers vom Typ ‚Sea Lynx’ und kamen aus dem Staunen nicht heraus“, heißt es in dem „aktuell“-Bericht, mit der Überschrift „Überwältigende Eindrücke“. Der Untertitel des Berichts – „Mädchen der Klassen 9 und 10 erhalten einen Einblick in mehrere Verbände und Dienststellen“ – ist schlicht falsch. Beim Alter von elf Jahren sollten die beiden Mädchen in der 5. oder 6. Jahrgangsstufe sein.
Das Anwerben von Kindern durch die Bundeswehr war beim diesjährigen „Girls’Day“ kein Einzefall: „Beim Heer testeten 40 Mädchen das Leben der Fallschirmjäger der Luftlandebrigade 26 in Merzig. Nach einem kurzen Hallo um 8.00 Uhr morgens ging es direkt in die Packer-Halle. Dort zeigte ein Soldat, wie ein Fallschirm für den Sprung gepackt und vorbereitet wird. Kaum fertig, durfte die 13-jährige Lena Schmitt auf den 15 Meter langen Tisch steigen und losrennen. Den Schülerinnen wurde so gezeigt, wie sich der Schirm bei einem Sprung aus dem Rucksack fädelt“, heißt des in dem Bericht der Bundeswehr-Zeitung weiter. Es ist zu befürchten, dass unter den rund 7.800 Mädchen, die an diesem Tag an Armee-Veranstaltungen teilnahmen noch weitaus mehr Kinder waren. Das Anwerben unter 18-Jähriger für den Dienst an der Waffe beschränkt sich aber nicht nur auf Veranstaltungen wie dem „Bw-Beachen“ oder dem „Girls’Day“.
Bereits mehrfach warb die Bundeswehr in der größten deutschen Schülerzeitung SPIESSER. Die Zeitung hat eine Druckauflage von einer Million Exemplaren und ist bundesweit an über 18.000 Auslagestellen – vor allem an Schulen und Jugendeinrichtungen - kostenlos erhältlich. Die Leser sind laut Mediadaten zwischen 14 und 22 Jahren alt. Erstmals erschien im SPIESSER vom Juni 2007 – damals noch mit einer Auflage von rund 300.000 Exemplaren – eine ganzseitige Anzeige der Bundeswehr. Darauf folgte Armee-Werbung im Heft vom September 2007 , November 2007, April 2008 und November 2008. Auch im größten deutschen Jugendmagazin BRAVO soll die Armee schon geworben haben. Auch auf der BRAVO-Website, mit der Werbekunden laut herausgebenden Bauer-Verlag 10-20-Jährige erreichen können, warb die Bundeswehr schon. Zwischen dem Jugendmedium und der Armee scheint sogar eine weitergehende Kooperation stattzufinden: gemeinsam wurden im vergangenem Jahr 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab einem Alter von 16 Jahren für die „Bw Adventure-Games ’08“, einem von der Armee veranstalteten Abenteuerurlaub, gesucht.
Die Bundeswehr setzt aber auch gezielt selbst erstellte Medien ein um Nachwuchs zu gewinnen. Dazu gehört beispielsweise auch das Webportal treff.bundeswehr, das sich an Jugendliche von 14 bis 17 Jahren wendet. Die bunte Bundeswehr-Werbe-Website entging der Indizierung wegen der Verharmlosung des Kriegshandwerks im Jahr 2002 nur knapp. Auf der Website finden sich Videos von Panzern und Flugzeugen sowie Datenblätter von Maschinengranatwerfern und anderem Kriegsgerät neben Handy-Logos, Stundenplänen und kleinen Online-Videospielen.
Besonders Schüler sind Ziel der Bundeswehr-Werber: 2009 sollen 6526 Schulen angeschrieben und zu Bundeswehr-Werbeveranstaltungen eingeladen werden. Seit Oktober 2008 gibt es in Nordrhein-Westfalen die bundesweit erste Kooperationsvereinbarung zwischen einem Schulministerium und der Bundeswehr – ein Pilotprojekt, das später auch in anderen Bundesländern stattfinden soll. Jugendoffiziere sollen Laut der Vereinbarung im Sekundarbereich I und II und an Berufskollegs – also schon ab der 5. Schulklasse – eingesetzt werden um mit den Schülern über die Bundeswehr und deutsche Sicherheitspolitik zu reden. Der Vertrag sieht zudem die „Einbindung der Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren sowie von Lehrkräften“ vor.
Als „Unglaublich“ und „total daneben“ bezeichnet Ralf Willinger vom Kinderhilfswerk terre des hommes die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr: „Aus unserer Sicht ist es fatal wenn sich schon Kinder für das Militär begeistern“, so der Experte für Kindersoldaten. Gerade die „kindliche Begeisterung für Waffen und Technik“ sei eine einfache Möglichkeit junge Menschen für das Militär zu gewinnen. Zudem macht Willinger darauf aufmerksam, dass Deutschland schon lange das Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention aushöhlt. Die UN-Konvention sah vor, dass Kinder unter 15 Jahren nicht vom Militär geworben werden dürfen. 2002 trat ein Zusatzprotokoll in Kraft, in der die Altersgrenze auf 18 Jahren hinauf gesetzt wurde. „Leider wurde auf Druck einiger westlicher Länder – darunter auch Deutschland – eine Ausnahmeregelung in das Protokoll gebracht“, so Willinger. Staatliche Armeen dürfen daher noch immer ab dem 15. Lebensjahr rekrutieren – Deutschland macht dies offiziell ab dem 17. Lebensjahr. Die Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr sieht das Kinderhilfswerk daher kritisch. Die Bundeswehr war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Das volle Ausmaß der Rekrutierung von Kindern und unter 18-Jährigen durch die Bundeswehr ist nur schwer zu überblicken. Schon in den Sommerferien steht der nächste Coup des Bundeswehr-Jugendmarketings an: die „Bw Adventure-Games ’09“ – an dem kostenlosen Abenteuerurlaub der Armee dürfen in diesem Jahr sogar 30 Jugendliche ab 16 Jahren teilnehmen.