Armin Laschet - der Öffnungs-Kanzlerkandidat
In dem Kampf um die Kanzlerkandidatur der CDU/CSU ging es nicht allein um die Entscheidung zwischen zwei Politikstilen. Wichtiger war die Haltung der Kontrahenten in der Corona-Pandemie
Armin Laschet plädierte von Beginn an mit Blick auf "die Wirtschaft" für schnelle Lockerungen der Einschränkungen. Er versuchte stets zu bremsen, wenn Bundesregierung und Landesregierungen sich für ein Lockdown aussprachen. Anders Markus Söder: An der Seite von Kanzlerin Merkel plädierte er für Vorsicht bei Lockerungen und befürwortete härtere Einschränkungen.
Die ersten Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren im Frühjahr 2020 gerade erst in Kraft getreten, als am 26. März 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) - wohlgemerkt im Wirtschaftsteil - unter der bezeichnenden Überschrift "Geld oder Leben" ein Artikel erschien, in dem bereits wieder über die Aufhebung dieser Maßnahmen nachgedacht wurde.
Neben dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner war es der Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, der als Befürworter einer schnellen Lockerung genannt wurde. Nur wenige Tage später legte Laschet nach. In der Zeitung Die Welt schrieb er am 29. März 2020 unter der Überschrift "Jetzt müssen wir für die Zeit nach Corona planen":
Wir als Politiker sind (…) gut beraten, nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft zu verfallen, sondern auch in dieser Stunde der Exekutive Maß und Mitte zu wahren. (…) Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch.
Armin Laschet, Die Welt, 29.03.2020
Vor allem mit Blick auf Laschet hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte April 2020 in einer Sitzung des CDU-Präsidiums vor einer "Öffnungsdiskussionsorgie" gewarnt. In einem Interview in der FAZ unter der Überschrift "Ihr seid nicht allein!" antworte Laschet auf die Frage: "Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Montag im CDU-Präsidium vor einer 'Öffnungsdiskussionsorgie' gewarnt. Sehen Sie diese Gefahr auch?" mit salbungsvollen Worten, mit denen er sich zum Anwalt der von den Maßnahmen betroffenen "kleinen Leute", der alten Menschen und vor allem der Kinder machte:
Ich plädiere für eine Kultur der offenen transparenten Abwägung. Wir müssen klar sagen, dass auch wesentliche Schäden durch die harten Maßnahmen entstanden sind. Dies hat auch der Ethikrat so formuliert.
Es gibt Schäden durch den Lockdown für Menschen, die plötzlich mit 60 Prozent ihres Einkommens leben müssen, für depressive, für einsame Menschen, für alte Menschen, die ihren Besuch nicht mehr empfangen können, für Kinder, deren Kindeswohl gefährdet ist, die nicht mehr in die Kita und in die Schule kommen. Niemand sieht mehr, was hinter verschlossenen Türen passiert. Alle diese Faktoren richten auch gesundheitliche Schäden an. Deshalb müssen wir in Bund und Ländern Tag für Tag neu erklären, ob das, was wir machen, wirklich verhältnismäßig und erforderlich ist, immer wieder abwägen. Jeden Tag neu. Das ist obendrein allein schon verfassungsrechtlich geboten.
Armin Laschet (CDU), FAZ, 22.04.2020
Kein Wort von ihm darüber, dass die erlassenen Maßnahmen zum Schutz der von einer gefährlichen und für allzu viele tödlichen Krankheit Bedrohten erlassen wurde.
Wem aber seine Sorge tatsächlich galt, das zeigte seine Reaktion auf den Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeitungsbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück und damit in seinem Bundesland NRW im Juni 2020. Da stand plötzlich nicht mehr die Sorge um "die Menschen" in Gestalt der dort Arbeitenden im Mittelpunkt. Die FAZ- schrieb über das Verhalten Laschets angesichts dieses Skandals:
Der Ministerpräsident hatte am Mittwoch auf die Frage, was der Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies über die bisherigen Lockerungen aussage, geantwortet: "Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren." Mehrere SPD-Politiker hatten daraufhin eine Entschuldigung gefordert.
FAZ, 18.06.2020
Laschet ging es mit seiner Intervention allein darum, das Skandalunternehmen aus den Schlagzeilen und damit in Schutz zu nehmen.
Über die Hintergründe dieser offenen Parteinahme von Laschet zugunsten von Tönnies informierte Greenpeace:
"Nicht zum ersten Mal werden Vorwürfe gegenüber der CDU/CSU laut, sich von der Fleischlobby einwickeln zu lassen. In Nordrhein-Westfalen kommt hinzu: Die Fleischindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das Land beheimatet mit Tönnies und Westfleisch die größten Schlachtkonzerne Deutschlands und ist damit nach Niedersachsen der größte Fleischproduzent. Das weiß auch die Industrie und pflegt offensichtlich die Beziehungen zur Politik: Mehrere Medien wie RND berichteten am Montag über Parteispenden der Firma Tönnies in Höhe von insgesamt 147.000 Euro (seit 2005), die ausschließlich an die CDU gingen, sowie von einer Privatspende Clemens Tönnies über 11.700 Euro im Jahr 2002 ebenfalls an die CDU."
Anders Markus Söder. In direktem Gegensatz zu Armin Laschet profilierte er sich in der Pandemie-Krise als Warner vor zu schnellen Lockerungen. Dabei folgte er dem Kurs von Kanzlerin Merkel. Er suchte den Schulterschluss mit seinem Kollegen in Baden-Württemberg, dem Grünen Winfried Kretschmann.
In einem gemeinsamen Brief an die anderen Ministerpräsidenten mahnten beide Ende März 2021 entschiedene Schritte zur rechtzeitigen Brechung der dritten Infektionswelle an. Der Tagesspiegel schrieb:
Es ist ein ungewöhnlicher Schritt in der Corona-Pandemie: In einem gemeinsamen Brief an ihre 14 Ministerpräsidenten-Kolleginnen und -Kollegen fordern Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne) eine strikte Anti-Corona-Politik mit einer konsequenten Umsetzung der Notbremse in Hotspots, auch mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen.
Tagesspiegel, 31.03.2021
Zu den von Söder und Kretschmann zum Handeln aufgeforderten Ministerpräsidenten gehörte vor allem Armin Laschet aus NRW.
Die Forderungen von Kretschmann und Söder als auch die immer wieder zum Handeln antreibende Politik von Merkel sind in der Bevölkerung populär und ein Grund für die guten Umfragewerte des bayerischen Ministerpräsidenten.
Anders als viele glauben machen wollen, steht nämlich auch ein Jahr nach Beginn der Corona-Krise die große Mehrheit der Bevölkerung weiter hinter den erlassenen Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie. Ein erheblicher Teil von ihr fordert sogar deren Verschärfung. Auch unter den Mitgliedern und Anhängern der Unionsparteien ist das nicht anders.
Diese ungebrochene Stimmungslage bewog Armin Laschet nach Ostern schließlich doch noch der Forderung nach einem Lockdown zu entsprechen. Überraschend forderte er nun aber einen sogenannten "Brückenlockdown". Die Süddeutsche Zeitung schrieb über diese semantische Wortneuschöpfung: "Politik in Zeiten von Corona ist manchmal auch die hohe Kunst der Verschleierung. So hat der CDU-Vorsitzende Armin Laschet mit seiner kühnen Konstruktion des 'Brückenlockdown' tief in die rhetorische Trickkiste gegriffen."
Die Wortneuschöpfung stellte den Versuch dar, dem Erfordernis eines notwendigen erneuten Lockdowns zur Brechung der dritten Infektionswelle einerseits zu entsprechen und zugleich dessen unverzügliche Rücknahme - am schnell zu erreichenden anderen Ende der Brücke - zu versprechen. So sollte das Image des Öffnungskanzlerkandidaten gewahrt werden.
Mit der Entscheidung des CDU-Parteivorstandes für Armin Laschet und gegen Markus Söder haben sich die Unionsparteien dafür ausgesprochen, mit einem Öffnungs-Kanzlerkandidaten in die Bundestagswahlen zu gehen. Damit setzten sich die Vertreter der Interessen des Kapitals durch, denen die Restriktionen zur Eindämmung der Pandemie schon lange viel zu weit gehen und die sich bei der Frage "Geld oder Leben" - ihrem Klasseninteresse entsprechend - für Geld entscheiden.
Eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung Laschets spielte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.1 Wie Laschet hatte sich auch er frühzeitig gegen aus seiner Sicht zu weitgehende Einschränkungen ausgesprochen. In einem Interview im April 2020 sagte er:
Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen.
Wolfgang Schäuble, Tagesspiegel, 26.04.2020
In einer Kanzlerschaft von Markus Söder hatten diese Kräfte die Gefahr gesehen, dass er sich mit Hilfe seiner großen Popularität im Volk gegen die Interessen "der Wirtschaft" wenden könnte. Vor allem deshalb entschieden sie sich für den sowohl in den Unionsparteien als auch in der Bevölkerung unbeliebten Kandidaten Armin Laschet.