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Arschlöcher raus!

Eine Gutmenschin packt aus

Warnung: Der folgende Artikel enthält Kraftausdrücke und unbequeme Wahrheiten, die Ihre Vorurteile über Gutmenschen nachhaltig erschüttern könnten.

Ich bin, der geneigte Leser weiß es wahrscheinlich schon, ein Gutmensch. Oder besser noch: eine Gutmenschin. Ich habe lange gezögert, den Begriff für mich zu beanspruchen, aber man hat ihn mir so oft um die Ohren geschlagen, dass ich mich wohl damit abfinden muss. Dabei ist es so uncool, ein Gutmensch zu sein. Zum Glück hatte ich noch nie ein Problem damit, uncool zu sein (übrigens ein weiterer Punkt, der mich als Gutmenschin qualifiziert).

Gutmenschen sind den meisten ja irgendwie unheimlich. Viele Leute fürchten sich geradezu vor ihnen. Aus gutem Grund: Jeder Nicht-Gutmensch wird bestätigen, dass die Gutmenschen den Untergang des Abendlandes herbeiführen. Ich habe mich als Gutmenschin daher einer Analyse unterzogen und bin zum Schluss gekommen: Ja, es stimmt. Wenn es nach mir ginge, wäre mit dem Abendland, wie wir es kennen, Sense.

Ich bin eine Hardlinerin. Gegen mich sind Rechtsradikale gesinnungslose Weicheier. Ich bin unbeugsam in meiner ideologischen Verbohrtheit. Ich huldige meinen Prinzipien mit dem Fanatismus einer Neo-Konvertitin. Ich glaube an den universellen Anspruch meiner Überzeugung. Ich will alle meinen Idealen unterwerfen, ich will eine gleichgeschaltete Gesellschaft, die den von mir verfochtenen Gesetzen unterliegt. Und ich mache dabei keine Ausnahmen, nicht einmal für alte Leute, Frauen oder Rollstuhlfahrer.

Tatsächlich: Ich bin die wahre Bedrohung. Die Unken rufen zu Recht.

Das zeigt sich gerade in Zeiten wie diesen. Denn momentan bin ich besonders gefährlich. Ich habe eine Stinkwut. Mein Gutmenschinnentum trieft mir aus allen Poren. Ich bin drauf und dran, mit einer Spraydose durch die Stadt zu laufen und meinen Frust in meterhohen Lettern an alle Gebäude zu sprühen: Arschlöcher raus!

Ja, Sie haben richtig gelesen: Arschlöcher raus!

Man sagt Gutmenschen ja nach, sie seien zu schlaff für Kraftausdrücke. Das ist ein Missverständnis. Als beglaubigte Gutmenschin kann ich hier ja mal stellvertretend für die anderen sprechen: Wir können durchaus auch anders. Wir halten es nur meistens schlicht für unangebracht, in einem Diskurs unflätig zu werden, wenn wir ernstgenommen werden wollen. Dennoch schrecken auch wir nicht davor zurück, gewisse Dinge beim Namen zu nennen.

Europa hat ein Arschloch-Problem

Und es ist eine nicht mehr zu vertuschende Tatsache: Europa hat ein Arschloch-Problem. Da werden mir vermutlich wieder die meisten Leser zustimmen. Man hält ja gerne vor allem die anderen für Arschlöcher. Und viele behaupten, die Arschlöcher bestünden vor allem aus Asylsuchenden, Ausländern und Andersfarbigen. Doch das ist viel zu kurz gedacht.

Freilich: Wir haben kein Problem damit, den bettelnden Krückenmann, der nach Feierabend wieder grade gehen kann, als Arschloch, Schmarotzer oder sonstiges zu bezeichnen. Und uns fallen unzählige Beispiele ein, wenn es darum geht aufzuzählen, dass Ausländer stehlen, sich Vorteile erschleichen oder sich sonstwie daneben benehmen.

Und jetzt verrate ich Ihnen ein unerhörtes Geheimnis: Nicht einmal Gutmenschen mögen solche Leute. Ganz im Gegenteil. Auch Gutmenschen ärgern sich, wenn Ausländer stehlen. Aber Gutmenschen gehen in ihrer Radikalität noch einen Schritt weiter: Sie ärgern sich nämlich auch, wenn Inländer stehlen. Gutmenschen geht es nämlich nicht um die Person, sondern um die Sache. Da wird nicht mal eben ein Auge zugedrückt, weil der Kinderschänder Markenanzüge trägt und einen Audi fährt. Gutmenschen machen vor gar nichts Halt. Sie bekämpfen nicht nur die paar Arschlöcher aus Afghanistan (ja, sogar dort gibt es welche!). Sondern Arschlöcher im allgemeinen. Und sie wissen: Arschlöcher lauern auch dort, wo man sie auf den ersten Blick nicht vermutet.

Die engagierte Tierschützerin, die Straßenhunde aus Kreta einfliegen lässt, aber kein Problem damit hat, Griechen vor die Hunde gehen zu lassen - ein Arschloch.

Der ältere Herr, der seit 50 Jahren beim Männerchor singt und beim Veteranentreffen gegen die jüdische Weltverschwörung wettert - ein Arschloch.

Der Spitzenkoch, der nur bio und regional kocht und seine spärliche Freizeit investiert, um gegen Ausländer zu hetzen - ein Arschloch.

Der joviale Büroangestellte, der hervorragend Tennis spielt und seine Frau und sein Kind regelmäßig schlägt - ein Arschloch.

Die attraktive Mittvierzigerin, die diesen erfolgreichen Kochblog schreibt und ihrem Ex-Freund das Leben zur Hölle macht - ein Arschloch.

Und wenn Sie nur ein bisschen nachdenken, dann fallen Ihnen bestimmt noch zahllose weitere Beispiele ein.

Vielleicht zucken Sie jetzt ein bisschen hilflos mit den Schultern und sagen: "Was soll man machen? So ist das eben. Kein Mensch ist vollkommen."

Als Gutmensch hat man eine moralische Verpflichtung

Aber was ein echter Gutmensch ist, gibt sich damit nicht zufrieden. Als Gutmensch hat man eine moralische Verpflichtung. Das Ziel ist es dabei gar nicht, die Welt gut zu machen. Sondern besser. Und die gute Nachricht ist: Die meisten Arschlöcher sind heilbar. Daher müssen Gutmenschen Arschlöchern entgegentreten, egal, wo sie ihnen begegnen. Das kann der Moslem sein, der seine Frau zu Hause einsperrt. Aber auch die Christin, die ihre Mitarbeiterin mobbt.

Denn wenn man sich für eine gewaltfreie, solidarische, gerechtere Gesellschaft stark machen will, darf man Recht und Unrecht nicht mit zweierlei Maß messen. Man muss Missstände anprangern und sich wenn nötig auch mit den Mächtigen und Einflussreichen anlegen, statt immer nur mit denen, die sowieso schon am Rand der Gesellschaft leben. Und vor allen Dingen: Man muss die Schwachen schützen, ohne Ansehen der Person. Auch, wenn man für seine Ideale als naiver Idiot belächelt wird. Dass man dabei zuweilen an seine Grenzen stößt, dass man an den eigenen Überzeugungen zweifelt, dass man manchmal einfach nicht mehr kann: das gehört dazu. Aber eine gute Sache bleibt eine gute Sache, auch wenn sie schwierig ist und aussichtslos erscheint.

Ja, wenn sich diese Ideologie flächendeckend durchsetzen würde, dann sähe es in unserem Abendland wahrlich anders aus. Kein Wunder also, dass wir Gutmenschen als Bedrohung wahrgenommen und bekämpft werden.

Derzeit scheint es freilich, als ob wir auf verlorenem Posten stünden. Die Hetzer, die Hassposter und Geiferer, kurz: die Arschlöcher, sind viel lauter und sichtbarer als wir. Aber sind sie auch zahlreicher? Das will ich bezweifeln.

Als Gutmenschen können wir nun einmal nicht zu denselben Mitteln greifen wie die, die uns diskreditieren. Persönliche Angriffe, Shitstorms, das Verbreiten von Lügen oder gar physische Gewalt zählen nicht zu unserem Repertoire und dürfen auch niemals eine Option werden. Wir diskutieren lieber und halten der Hetze handfeste Fakten gegenüber, selbst wenn sich nicht viele Menschen durch Tatsachen von ihren Überzeugungen abbringen lassen. Und wir lächeln müde, wenn man uns ernsthaft zum Vorwurf macht, Menschenfreunde zu sein. Denn die Menschen zu kennen und dennoch ein Menschenfreund zu sein - das fällt sogar den eingefleischtesten Gutmenschen schwer. Trotzdem müssen wir es immer wieder versuchen.

Denn letzten Endes gibt es nur ein wirklich probates Mittel, um die Zahl der Arschlöcher zu verringern: selbst keins zu sein.


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