Astrazeneca: Individualabwägung vs. Politikerplan
Nicht jeder von der EU-Führung gekaufte Impfstoff wird von der Bevölkerung in gleichem Maße akzeptiert
Das Hamburg Center for Health Economics hat in einer Umfrage ermittelt, dass unter den Sars-CoV-2-Impfwilligen in Deutschland lediglich zwei Prozent den AZD1222-Impfstoff von Astrazeneca präferieren. 33,3 bevorzugen das nun mit dem Markennamen "Tozinameran" versehene BNT162b2-Serum von Biontech und Pfizer, 5,8 Prozent das Vakzin mRNA-1273 von Moderna, und 48 Prozent haben keine Vorliebe.
Leitmedien empört
Dieses Bild scheint sich auch im tatsächlichen Impfgeschehen widerzuspiegeln: Den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nach konnten von den gut 780.000 gelieferten Dosen des Astrazenaca-Serums bislang nur etwa 64.000 verimpft werden. Das lag unter anderem daran, dass man in Berlin den Impfstoff frei wählen konnte. Nun bekommen Personen unter 65 dort nur noch AZD1222.
Aus anderen Bundesländern, in denen die Bürger von vorneherein keine freie Wahl hatte, wird in größerem Maßstab von abgesagten und nicht wahrgenommenen Impfterminen mit AZD1222 berichtet: In Münster kam den Westfälischen Nachrichten fast ein Drittel der Rettungsdienstmitarbeiter und ambulanten Pfleger nicht zum vorgesehenen Termin, im Saarland berichtete Gesundheitsministerin Monika Bachmann, von 54 Prozent Ausfall.
Darüber empört man sich in manchen Leitmedien. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) verlautbarte beispielsweise ein Sebastian Schöbel: "Wir haben fast mehr Impfstoffe zur Auswahl als Käse-Sorten im Supermarkt. Doch statt sich über dieses Wunder der Wissenschaft zu freuen, wird rumgemeckert. Als ob man Impfstoffe wie schnöde Konsumartikel behandeln kann. 'Wie, den haben sie nur in einer Farbe? Und nur ohne Geschmack? Unerhört!'"
Arbeitsunfähig
Abgesehen davon, dass Schöbel den Eindruck vermittelt, seit mindestens 1989 nicht mehr einkaufen gewesen zu sein, hat er damit in einem Punkt recht (aber anders, als er wahrscheinlich meint): Die Wahl zwischen Emmentaler, Parmesan und Romadour ist tatsächlich nicht wie die zwischen Tozinameran, mRNA-1273 und AZD1222.
Dass das Astrazeneca-Serum in der Präferenz weit hinten liegt, hat nämlich mehrere Ursachen: Unter anderem gehören dazu Berichte über Nebenwirkungen, die bis zur zeitweisen Arbeitsunfähigkeit reichen: In Minden fielen beispielsweise 21 Beschäftigte des Rettungsdienstes wegen Fiebers und Schüttelfrosts aus, und am Braunschweiger Herzogin-Elisabeth-Hospital beendete man das Verimpfen von AZD1222 vorerst, nachdem sich 37 von 88 Angestellten wegen solcher Nebenwirkungen krank meldeten. Von Astrazeneca hieß es dazu, die "derzeit gemeldeten Reaktionen" seien "so, wie wir sie aufgrund der Erkenntnisse aus unserem klinischen Studienprogramm erwarten würden".
Widersprüchlich wirkende Politik zu Mutationen
Eine andere Ursache ist, dass der Astrazeneca-Impfstoff deutlich schlechtere Wirksamkeitsdaten aufweist als das Serum von Biontech, dem das Virus dem Firmenchef nach durch seine zahlreichen Andockstellen "schwer entkommen kann". Das gilt besonders für die Mutationen (vgl. Biontech-Chef "zuversichtlich", dass sein Serum auch gegen britische Corona-Mutation hilft). In Südafrika hat man deshalb das Verimpfen von AZD1222 sogar gestoppt. Auch die Weitergabe von Viren durch Geimpfte scheint der derzeitigen Datenlage nach bei Astrazeneca wahrscheinlicher als bei den beiden mRNA-Impfstoffen (vgl. Britische Corona-Mutation: Astrazeneca prüft Umbau des Impfstoffs).
Die auf eine Steigerung der Bereitschaft zur Impfung mit AZD1222 mit Äußerungen von Politikern und Medizinfunktionären, der Astrazeneca-Impfstoff sei wirksam, sind deshalb zwar nicht unrichtig, gehen aber am Kern der Bedenken vorbei und lassen das aktuelle Vorgehen der Politik widersprüchlich wirken: Wenn ein Impfstoff nur sehr begrenzt vor einer durchsetzungsfähigeren Mutationen schützt, wegen der der bayerische Ministerpräsident gerade das Verhältnis zu Tirol auf einen seit Andreas Hofer nicht mehr gesehenen Tiefpunkt abkühlte, dann ergibt es Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, ob man sich eine Impfung damit wirklich antun will.
Nicht nur deshalb, weil die Nebenwirkungen nicht ganz vernachlässigbar zu sein scheinen, sondern auch, weil unklar ist, ob und wann man nach einer Impfung mit Astrazeneca noch eine mit einem anderen Serum bekommt. Medizinisch spricht dem Immunologiegesellschaftsgeneralsekretär Carsten Watzl zufolge angeblich nichts dagegen - aber rechtlich könnte man dadurch auf der Prioritätenliste ganz weit hinten landen. Wegen dieser potenziell langen Wartezeit hilft es auch wenig, wenn Watzl vorschlägt, dass die Bundesregierung Astrazeneca-Geimpften eine zweite Impfung mit einem anderen Serum garantiert.
Wahl zwischen Risiken
Darüber hinaus trifft der Bürger mit der Entscheidung für einen Sars-CoV-2-Impfstoff auch eine Wahl zwischen einem im noch relativ unerprobten, aber sehr breit wirksamen mRNA-Verfahren zusammengebauten Serum wie dem von Biontech und Moderna, einem auf bewährtere Weise entwickelten Vektorvirenimpfstoff wie dem von Astrazeneca, und einem auf traditionelle Weise mittels inaktivierter Viren hergestellten Serum wie dem der chinesischen Firma Sinopharm. Letzteres lässt die Politik in der EU - anders beispielsweise als in Serbien, der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten - möglicherweise auch deshalb außen vor, weil sie auch in der Pandemie noch eine globale Rivalität mit China pflegt. Dort hat man übrigens den Impfstoff von Biontech als zu riskant eingestuft.
Warum soll ein Individuum in so einer unübersichtlichen Lage mit mehreren Faktoren nur die Politik entscheiden lassen, was gut für ihn ist? Warum soll es nicht selbst entscheiden, ob es einem traditionell entwickelten Impfstoff aus China mehr traut als einem experimentell entwickelten aus Deutschland? So lange es keine Impfpflicht gibt, entscheidet es letztendlich ohnehin selbst: Einfach dadurch, indem es sich nicht impfen lässt, wenn ihm ausschließlich ein Impfstoff angeboten wird, der in seiner persönlichen Risiko-Nutzen-Abwägung durchgefallen ist.
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