Atemberaubende Bilderberge
Lauschangriff beim Betrachten von Urlaubsfotos
Fotografieren ist nicht das Problem. Das kann jeder. Das Problem sind die Bilder. Genauer gesagt: die digitalen Bilderberge, die irrwitzig schnell anwachsen. Wer soll sich das ganze Zeug eigentlich anschauen? Und wie, bitteschön, soll man nach ein paar Monaten diesen Schnappschuss finden, auf dem der Hund das Kind vom Nachbarn in den Gartenteich schubst? Früher hätte man einen Stoß Papierbilder durchwühlt. Heutzutage, wo jeder nur noch digital knipst, muss man seine Festplatte durchforsten und das Auge blitzschnell über Hunderte von Thumbnails gleiten lassen. Schließlich sind Dateinamen wie DSC00583.JPG wenig hilfreich. Natürlich könnte man seine Dateien gleich nach dem Runterladen sinnvoll benennen und verschlagworten - aber das dauert, und außerdem ist das nur was für Langweiler.
Am einfachsten wäre es, wenn die Bilder selbst die lästige Schreibarbeit erledigen würden, und in der Tat gab es schon zu Analog-Zeiten die Möglichkeit, Datum und Uhrzeit der Aufnahme aufs Bild zu bannen. Sehr viel weiter hilft das notorischen Ordnungsmuffeln aber auch nicht, also werden digitale Kameras inzwischen mit GPS-Sendern ausgestattet, während Kamera-Handies die Aufnahme-Position über den nächstgelegenen Sendemasten ermitteln. Leider interessiert sich das menschliche Erinnerungsvermögen weniger für solche Basisdaten als vielmehr für das, was man als Kontext, also das "Drumherum" bezeichnen könnte. Genau das liefert eine Software namens PhotoCompas, die Forscher der Stanford University entwickelt haben.
Das Programm gruppiert die Bilder nicht nur nach geographischen Gesichtspunkten, sondern etikettiert sie auch noch mit einer Reihe von Ortsnamen, die dem User helfen sollen, seine Aufnahmen später wiederzufinden. Weil man aber nicht erwarten kann, dass sich Ausflügler an die Namen von Dörfern und Kleinstädten erinnern, orientiert sich das Programm weniger an einzelnen Ortsnamen als vielmehr an Referenzpunkten. Statt 'Stanford' heißt es dann zum Beispiel 'rund um San Francisco' oder '40 Kilometer südlich von San Francisco'. Werden in einer einzigen Gegend besonders viele Aufnahmen gemacht, wird feiner unterteilt.
Noch einen Schritt weiter in Sachen Kontext geht Margaret Fleck vom Hewlett Packard Labor in Paolo Alto, Kalifornien. Ihre Software setzt dort an, wo schreibfaule User bereitwillig Informationen über ihre abgespeicherten Bilder preisgeben: beim Gespräch mit Freunden. Idealerweise geschieht das vor dem PC, beim gemeinsamen Betrachten der Bilder. Das Programm von Margaret Fleck hört einfach nur zu und macht Notizen. Genauer gesagt verwandelt es Gespräche in Text, identifiziert Stichwörter wie "Venedig" oder "Hochzeitsreise" und verbindet diese dann mit dem dazugehörigen Bild. Um es später zu finden, gibt man diese Stichwörter in ein Such-Fenster ein.
Klingt bequem, könnte aber unangenehme Folgen haben. Besonders für Plaudertaschen mit einer Schwäche für pikante Details. Schließlich hört der Prototyp von Margaret Fleck immer mit und kommt anders als herkömmliche Spracherkennungsprogramme mit den unterschiedlichsten Sprechern klar. Sie müssen noch nicht mal direkt ins Mikrophon hineinsprechen. Rechtlich gesehen ist Flecks kleiner Lauschangriff problematisch. In Deutschland zum Beispiel darf man Gespräche nicht ohne weiteres mitschneiden, vielmehr braucht man das Einverständnis der Betroffenen. Ein Aspekt, auf den Margaret Fleck in ihrer Studie nicht eingeht. Sie konzentriert sich voll und ganz auf die wunderbaren Foto-Geschichten, die die Nutzer mit all ihren Freunden und Verwandten teilen können.
Mit einer Mischung aus Chronologie, Schlagworten und Bilderkennung arbeitet die neue Version der Sortier-Software von Microsoft, die Bill Gates im Januar auf der CES in Las Vegas vorgestellt hat. Wobei der User selbst entscheidet, welche Begriffe für welche Gruppe von Bildern gelten sollen. So kann er beispielsweise allen Fotos aus dem letzten Urlaub das Stichwort 'Provence' zuordnen und dann - je nach Lust und Laune - mittels Bilderkennung alle Landschaftsaufnahmen oder Portraits zusammenstellen lassen. Auch an der Universität von Berkeley wird in Sachen Motiv-Erkennung geforscht. Margaret Fleck, die gemeinsam mit ihrem Ehemann David Forsyth Algorithmen zum Aufspüren nackter Haut entwickelt hat, ist überzeugt davon, dass eine erfolgreiche Software die unterschiedlichsten Komponenten in sich vereinigen wird.
Noch befinden sich die Programme zur Vertextung digitaler Bilder im Entwicklungsstadium und die privaten Bilderberge sind verhältnismäßig überschaubar. In spätestens zehn Jahren jedoch haben sie sich in ausgewachsene Gebirge verwandelt, die dem Betrachter den Atem rauben. Wer sich bis dahin kein schlaues System für eigene Zwecke überlegt hat, muss seine visuellen Erinnerungen wohl oder übel von einer schlauen Software verwalten lassen. Das Gemeine daran: so gut es die Entwickler meinen mögen, so schlecht sind die Aussichten für die Anwender. Schließlich bezahlen sie die eigene Bequemlichkeit mit einer gehörigen Portion Freiheit. Sind alle Bilder erst einmal zentral erfasst und katalogisiert, ist es ein Leichtes, die Daten zu kontrollieren. Geht es nach dem Willen der Hersteller, sollen sie in Zukunft verstärkt Zugriff auf die Inhalte der so genannten 'Personal Computer' haben. Wie gesagt: Fotografieren ist nicht das Problem. Das Problem sind die Bilder. Und was man mit ihnen macht.