Atomare Kriegsgefahr: Politik am Rande des Abgrunds

Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Gefahr eines Atomkriegs in Europa wieder real. Und wahrscheinlich größer als irgendwann seit der Kuba-Krise 1962.

Heute jährt sich der Atombombenabwurf auf die japanische Stadt Nagasaki zum 77. Mal. Selten oder nie befand sich seither die Welt so nah an einem nuklearen Inferno wie heute. Dessen Verhütung bleibt die wichtigste politische Aufgabe unserer Zeit.

Was sich aber gerade in der Ukraine abspielt, wird auch als "Brinkmanship" bezeichnet; dieser Begriff bedeutet "eine Politik am Rande des Abgrunds", "eine Politik des äußersten Risikos", "ein Spiel mit dem Feuer". Und selbstverständlich ist "Brinkmanship" das genaue Gegenteil einer Politik der Vernunft, die jetzt unbedingt notwendig wäre und die politisch Verantwortlichen bei uns so gerne für ihr Handeln reklamieren.

Zunächst sei festgestellt: Der im Februar 2022 von Russland begonnene Ukraine-Krieg ist eine Katastrophe, verstößt gegen den Artikel 2, Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen und ist damit völkerrechtswidrig.

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

UN-Charta, Artikel 2, Absatz 4

Das hat dieser Krieg aber mit vielen anderen Kriegen seit 1945 und insbesondere der letzten Jahrzehnte gemein, die von den USA und der Nato geführt worden sind, wie zum Beispiel mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999, an dem auch Deutschland führend beteiligt war, oder gegen den Irak 2003. Diese Kriege waren ebenfalls völkerrechtswidrig, haben hunderttausende Menschenleben gefordert und Staaten zerstört.

Ein Stellvertreterkrieg, der sich zum Dritten Weltkrieg ausweiten könnte

Deshalb zeugt es von Doppelmoral, wenn der Westen das Reden über diese geschichtlichen Tatsachen als pure Ablenkung vom russischen Angriffskrieg disqualifizieren will, während er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin selbstverständlich Kriegsverbrechen vorwirft.

Der Krieg in der Ukraine hat ein Eskalationspotential bis hin zum Dritten Weltkrieg und zu einem Atomkrieg1 sowie eine lange Vorgeschichte der Provokationen, für die vor allem die USA und ihre Verbündeten hauptverantwortlich sind. US-geführte Nato-Manöver in der Ukraine waren beispielsweise in Deutschland noch vor wenigen Jahren auch in Kreisen umstritten, die sich grundsätzlich zur Nato bekennen, da die Ukraine hier als Aufmarschgebiet eines Militärpakts diente, dessen Mitglied sie nicht war und ist.

Der aktuelle Krieg in der Ukraine ist vor diesem Hintergrund ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland – und trotz der Gefahr eines nuklearen Infernos sind Bemühungen um eine Deeskalation und eine Verhandlungslösung vonseiten des Westens derzeit nicht geplant, weil Russland "ruiniert werden soll".

Bei dieser Einschätzung stütze ich mich vor allem auf die Argumente des US-Politikwissenschaftlers John Mearsheimer, der seit 2014 viele bedeutende wissenschaftliche Beiträge über den Ukraine-Konflikt verfasst hat, von denen einzelne 27 Millionen Aufrufe im Internet erhalten haben.

Dennoch haben unsere Hauptmedien im laufenden Informationskrieg mit Russland das Kunststück fertiggebracht, dass diese Gesichtspunkte hier praktisch nicht zur Kenntnis genommen und im medialen Gedächtnisloch entsorgt werden.

Kuba-Krise 1962

Ich gehöre zu der älteren Generation, deren Angehörige sich aus eigenem Erleben noch an die dramatischen Tage der Kuba-Krise im Oktober/November 1962 erinnern können, in denen wir damals nur knapp den Schrecken eines Atomkriegs entkommen sind.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs 1991 habe ich mir nicht vorstellen können, dass in meiner Lebenszeit uns in Europa noch einmal ein derartiges Szenario drohen könnte. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist die Atomkriegsgefahr jedoch wieder real geworden und derzeit nach Einschätzungen von Experten höher als irgendwann seit der Kuba-Krise 1962.

Kuba-Krise: Ein HSS-1 Seabat-Hubschrauber der US Navy über dem sowjetischen U-Boot B-59, das von US-Marinestreitkräften in der Karibik in der Nähe von Kuba an die Oberfläche gezwungen wurde. Bild: U.S. Navy

Deshalb dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen uns mit dieser unser aller Leben bedrohenden Gefahr auseinandersetzen, damit diese Tragödie, die das Ende der menschlichen Zivilisation in der Form, wie wir sie kennen, bedeuten kann, niemals Wirklichkeit wird.

Mit den US-amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 begann die Geschichte des atomaren Wettrüstens zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion.

Deshalb soll dieser Artikel einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der atomaren Aufrüstung und die als Reaktion darauf entstandene Anti-Atom-Bewegung in Deutschland bieten, an der auch ich aktiv teilgenommen habe. So habe ich 1983 mit vielen Tausenden Gleichgesinnter der damaligen Friedensbewegung im Bonner Hofgarten gegen die Aufstellung der Pershing-II-Raketen demonstriert.

Bei diesem Rückblick stütze ich mich im Wesentlichen auf eine sehr informative Zusammenschau zu diesem Thema, die von dem Münchner Autor und Friedensaktivisten Claus Schreer im Juli 2020 veröffentlicht worden ist.2 Ich habe den Text von Claus Schreer gekürzt und einige aktuelle Ergänzungen vorgenommen.