Atomare Seemacht China: Der nächste große Sprung
Manöver der chinesischen Marine bei Taiwan 2024. Bild: somkanae sawatdinak / shutterstock.com
China rüstet Marine massiv auf. Angeblich baut man am ersten nuklearen Flugzeugträger. Damit verbunden sind geopolitische Ambitionen. Die Hürden sind nicht nur technisch.
Neue Satellitenbilder der Werft in Dalian, der Hafenstadt auf der Halbinsel Liaodong im Gelben Meer, lassen Militärbeobachter aufhorchen: Sie zeigen möglicherweise den Baubeginn des ersten nuklear betriebenen Flugzeugträgers Chinas.
Type 004
Das als "Type 004" bezeichnete Schiff würde einen Meilenstein in Chinas maritimer Entwicklung markieren und China in den exklusiven Club der Nationen mit nuklear betriebenen Flugzeugträgern aufnehmen, berichtet das Portal Bulgarian Military.
Die Bilder vom Mai 2024 zeigen ein Modul, das als Teil eines Flugdecks identifiziert werden könnte. Charakteristische Strukturen deuten auf vier Startkatapulte hin – zwei am Bug, zwei mittschiffs. In der Nähe wurde ein Mockup des trägergestützten Kampfflugzeugs J-15 gesichtet, wie The War Zone berichtet.
Allerdings sind sich Analysten nicht einig, ob es sich bereits um ein Baumodul oder nur um ein Testmodul handelt.
Beeindruckende Fortschritte im Flugzeugträgerbau
Die chinesische Marine hat in nur einem Jahrzehnt beeindruckende Fortschritte im Flugzeugträgerbau gemacht. Der erste Träger, die "Liaoning", war noch ein umgebauter ex-sowjetischer Rumpf. Der zweite Träger "Shandong", der noch auf dem sowjetischen Entwurf der Liaoning basiert, war 2019 der erste rein in China gebaute Träger.
Die sich in der Erprobung befindliche "Fujian" verfügt als erster chinesischer Flugzeugträger über moderne elektromagnetische Flugzeugkatapulte – eine Technologie, die bisher nur die US-Navy beherrscht, wie das International Institute for Strategic Studies (IISS) analysiert.
Im Oktober 2024 demonstrierte China erstmals seine wachsenden Fähigkeiten mit einer "Dual-Carrier" Operation: Liaoning und Shandong operierten gemeinsam, begleitet von einer imposanten Flotte aus Type-055 Kreuzern, Type-052D Zerstörern und Type-901 Versorgungsschiffen.
Anfang September waren sogar alle drei Träger gleichzeitig auf See – die Liaoning kehrte von Übungen zurück, die Shandong lief aus, und die Fujian absolvierte ihre vierte Seeerprobung.
Manöver nahe Australien und Neuseeland
Diese maritime Expansion reicht inzwischen weit über die heimischen Gewässer hinaus: Am vergangenen Samstag führte ein chinesischer Flottenverband Schießübungen nahe Australien und Neuseeland durch, berichtet Reuters.
Die kurzfristig angekündigten Manöver zwangen internationale Fluglinien zur Umleitung ihrer Routen. Diese Operationen demonstrieren Pekings wachsende globale Ambitionen – Ambitionen, die mit dem geplanten Type 004 auf eine neue Stufe gehoben werden sollen.
Der neue Träger könnte mit nuklearem Antrieb leicht auf über 100.000 Tonnen Verdrängung kommen und gegenüber den geschätzten 85.000 Tonnen der Fujian einen weiteren Quantensprung darstellen.
Die vier Katapulte würden die Startkapazität deutlich erhöhen.
Erhebliche technische Herausforderungen
Allerdings steht China vor erheblichen technischen Herausforderungen: Die US-Navy brauchte sechs Jahre vom ersten Seegang bis zur vollen Einsatzfähigkeit ihres ersten Trägers mit elektromagnetischen Katapulten, der USS Gerald R. Ford.
Zwar betreibt China bereits nuklear getriebene U-Boote und elektromagnetische Katapulte befinden sich beim Träger Fujian in der Erprobung. Doch betritt China mit der Konstruktion eines Atomreaktors für Flugzeugträger Neuland.
Berichten zufolge hat China bereits einen landgestützten Prototyp-Reaktor für große Kriegsschiffe gebaut. Wie schnell ein funktionierender und sicherer Reaktor für einen Träger zur Verfügung steht, bleibt allerdings unklar.
Doch selbst wenn es chinesischen Ingenieuren gelingt, die technischen Herausforderungen in absehbarer Zeit zu meistern, wäre dies nur die erste Hürde. Die entscheidende Einschränkung für einen nuklear betriebenen Träger liegt in der Geografie des westlichen Pazifiks.
Die "First Island Chain"
Eine Kette von Inseln und verbündeten Staaten der USA – von Japan über Taiwan bis zu den Philippinen – begrenzt den direkten chinesischen Zugang zum offenen Ozean. Diese "First Island Chain" stellt für Chinas maritime Ambitionen eine erhebliche Einschränkung dar.
Für die Überwasserschiffe der chinesischen Marine bedeutet dies, dass sie bei Operationen jenseits dieser Kette stets das Risiko eingehen müssen, bei einer Eskalation der Lage vom Rückweg zu ihren Heimatbasen abgeschnitten zu werden. Dies gilt besonders für wertvolle Assets wie Flugzeugträger.
In einem möglichen Konfliktfall bliebe ein Einsatz jenseits der First Island Chain also ein Hochrisikounterfangen – vor allem wegen des dichten Netzes US-amerikanischer Militärbasen entlang dieser Linie: die 7. US-Flotte in Yokosuka, die großen Luftwaffenbasen auf den japanischen Hauptinseln und insbesondere die massive Militärpräsenz auf Okinawa.
Gerade Okinawa, nur etwa 650 Kilometer vor der chinesischen Küste, ist mit seinen 32 US-Militäreinrichtungen und 26.000 Soldaten eine permanente Bedrohung für chinesische Seeoperationen.
EDCA: Verteidigungsabkommen der USA mit den Philippinen
Das neue erweiterte Verteidigungsabkommen (EDCA) der USA mit den Philippinen verschärft Chinas strategisches Problem dramatisch. Die USA erhalten Zugang zu neun philippinischen Militärbasen – besonders kritisch für China sind die Stützpunkte auf Palawan, die das Südchinesische Meer überwachen, und die Basen in Cagayan im Norden der Philippinen, die die Straße von Luzon kontrollieren.
Gemeinsam mit der amerikanischen Militärpräsenz in Südkorea und der Kooperation mit Taiwan entsteht so ein lückenloser Überwachungs- und Kontrollgürtel vom Ostchinesischen bis zum Südchinesischen Meer.
Im Konfliktfall könnten diese Durchfahrten durch U-Boote, Flugzeuge und landgestützte Raketen blockiert werden. Ein Flugzeugträger wäre dann faktisch eingesperrt – entweder in den chinesischen Küstengewässern oder, noch gefährlicher, im Pazifik ohne sicheren Rückweg zu seinen Basen.
Taiwan: Langfristige Absichten?
Diese strategischen Einschränkungen könnten einen logischen Schluss zulassen: Der Type 004 wird für eine maritime Realität gebaut, in der die First Island Chain keine Barriere mehr darstellt. Nur die Kontrolle über Taiwan könnte diese Kette effektiv durchbrechen.
Erst dann wären freie Operationen im Pazifik möglich, erst dann könnte ein nuklear betriebener Träger sein strategisches Potential voll entfalten.
Der größte Vorteil eines Nuklearantriebs – die praktisch unbegrenzte Reichweite – kann nur zum Tragen kommen, wenn China die First Island Chain überwindet. Ansonsten müsste jeder Einsatz zwingend unterhalb einer kaum kalkulierbaren Eskalationsschwelle bleiben, deren Überschreitung den sicheren Rückweg gefährden würde – eine echte globale Machtprojektion ist ohne die Kontrolle über Taiwan nicht möglich.
Der Bau des Type 004 würde damit auf Chinas langfristige Absichten bezüglich Taiwan hinweisen: Die massive Investition in diese Technologie macht nur Sinn, wenn China von einer Lösung der Taiwan-Frage ausgeht.
Doch selbst wenn China die First Island Chain überwinden kann, so würden sich grundsätzliche Fragen zur Zukunft von Flugzeugträgern stellen. Denn China selbst verfügt mit der YJ-21 über eine Hyperschallwaffe, die mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit große Überwasserschiffe bedroht.
Im Schwarzen Meer zeigt die Ukraine, wie relativ einfache Seedrohnen eine große Flotte neutralisieren können. Die Huthi-Rebellen legen mit asymmetrischen Bedrohungen internationale Schifffahrtsrouten lahm – der Suezverkehr hat sich 2024 halbiert.
Die strategische Sinnhaftigkeit eines Supercarriers in Zeiten neuer Bedrohungen mag also fraglich sein. Die eigentliche Bedeutung des Type 004 liegt jedoch woanders: China investiert Milliarden in ein Waffensystem, das seine volle Wirkung erst nach einer fundamentalen Änderung der strategischen Position im Westpazifik entfalten kann.