Atomausstieg und Energiewende um jeden Preis? Was die Mehrheit wirklich will
Solarpaneele vor einem Atomkraftwerk. Bild: Yuri Hoyda/ Shutterstock.com
Deutsche gespalten in Energiefrage: Laut Umfragen wollen sie sowohl Atomkraft als auch Erneuerbare. Was sie eint: Angst vor Mehrkosten.
Der Atomausstieg in Deutschland bleibt nicht nur ein kontroverses Thema: Angesichts des absehbaren Endes der Regierungsbeteiligung der Grünen kocht nun sogar die Debatte über einen Wiedereinstieg in die Kernenergie hoch. Experten halten dies zwar für unwahrscheinlich. Doch die Kontroverse ist damit nicht beendet – was auch an internationalen Entwicklungen liegt.
Dazu gehört etwa ein aktueller Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Er sieht die Kernenergie weltweit auf dem Vormarsch. Grund für die besseren Zukunftsaussichten der vorwiegend wegen der ungelösten Endlagerfrage umstrittenen Atomkraftwerke ist die aktuelle Energiekrise. Laut IAEO-Direktor Fatih Birol steht die Kernenergie derzeit vor einem neuen Aufschwung. In diesem Jahr sei mit einer Rekordproduktion von Atomstrom zu rechnen.
Atomausstieg gegen den Willen der Mehrheit
Der zweite Grund wird mit Blick auf die Stimmungslage in Deutschland deutlich: Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap für das ARD-Morgenmagazin sprachen sich im April 2023 rund 59 Prozent der Befragten gegen die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke aus.
Dennoch wurde dieser Schritt am 15. April 2023 vollzogen. Die politische Entscheidung zum Ausstieg aus der Atomkraft konnte sich zu diesem Zeitpunkt gerade einmal einen Drittel der Bevölkerung stützen.
Die damalige Umfrage für die ARD ergab auch, dass die Abschaltung der Atomkraftwerke nur bei den Anhängern der Grünen und der SPD auf mehrheitliche Zustimmung stieß. 82 Prozent der Grünen-Anhänger und 56 Prozent der SPD-Wähler begrüßten das Ende der Atomkraft. Dagegen lehnten 83 Prozent der Unionsanhänger den Ausstieg ab, bei der AfD waren es 81 Prozent und bei der FDP 65 Prozent.
Debatte um Atomwiedereinstieg
Nun ist die Debatte um einen möglichen Wiedereinstieg in die Kernenergie entbrannt. Angesichts der Energiekrise durch EU-Sanktionen gegen Russland und ambitionierter Klimaziele – in beiden Fällen sind die Grünen in der Bundesregierung die maßgebliche politische Triebkraft – fordern einige Politiker und Experten, die Kernenergie als CO2-arme Brückentechnologie länger zu nutzen oder wieder einzusteigen.
Befürworter argumentieren, die Reaktoren seien sicher und zuverlässig und könnten einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. "Es wäre falsch, auf diese Technologie ganz zu verzichten", sagte etwa der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Januar. Seine Partei hatte sich im Wahlprogramm für eine Laufzeitverlängerung der letzten Reaktoren ausgesprochen.
Kritiker sehen dagegen nach wie vor keine Zukunft für die Atomkraft. Sie verweisen auf die Risiken der Technologie, ungeklärte Entsorgungsfragen und hohe Kosten. "Die Kernenergie ist eine Auslauftechnologie", bekräftigte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch Umweltverbände wie der BUND lehnen längere Laufzeiten strikt ab und setzen auf den zügigen Ausbau erneuerbarer Energien.
Mehrheit setzt auf Erneuerbare
Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass die Deutschen mehrheitlich auf Wind, Sonne und Wasserstoff setzen, um unabhängiger von Energieimporten zu werden. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) Ende November sprachen sich 76 Prozent für eine stärkere Nutzung der Solarenergie aus. 70 Prozent befürworteten den Ausbau der Windkraft und 66 Prozent wollten Wasserstoff aus Ökostrom stärker nutzen.
Weit hinten in der Prioritätenliste rangiert die Kernenergie. Nur 29 Prozent der Befragten halten sie für wichtig, um die Energieversorgung zu sichern. Noch weniger Zustimmung erhalten Gas (13 Prozent) und Kohle (fünf Prozent).
"Die Zukunft der Energieversorgung gehört den erneuerbaren Energien", folgert DBU-Generalsekretär Alexander Bonde aus den Ergebnissen. Sie seien der Garant für mehr Umweltschutz und Unabhängigkeit. "Das hat die Mehrheit der Deutschen erkannt."
Sorge vor steigenden Energiepreisen
Und nun? Ist die Mehrheit gegen die Abschaltung der Atomkraftwerke – oder für erneuerbare Energien? Die Antwort lautet: beides. Denn in allen Umfragen spielt vor allem ein Faktor eine Rolle: die Angst vor Versorgungsengpässen und damit steigenden Preisen.
Eine große Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Energiewende mit einer weiter steigenden Belastung für private Haushalte einhergeht. Dies geht aus der Umfrage für die ARD vom April 2023 hervor und wurde durch die Meinungsumfragen im Laufe dieses und des vergangenen Jahres immer wieder bestätigt.
Die Energiepreise sind vor allem durch die Verknappung von Gas und Öl infolge des russischen Angriffskrieges und der mehr als ein Dutzend Sanktionspakete der EU gegen Russland stark gestiegen und belasten viele Haushalte.
Das ist die Hauptsorge der Menschen. Der Kampf der Befürworter und Gegner erneuerbarer Energien, der Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern oder der Atomenergie – er findet nicht in deutschen Wohnzimmern statt, sondern zwischen politischen Kräften und Lobbyorganisationen.