Atomkraft-Revival: Wo Putin und Biden einer Meinung sind
Russischer Umweltschützer sagt: Moskau und Washington pushen gemeinsam Nuklearenergie auf COP28. Warum? Und was ist mit Umweltverbrechen in der Ukraine? Gastbeitrag.
Der russische Präsident Wladimir Putin ist diese Woche nach Abu Dhabi gereist, hat aber nicht am Klimagipfel COP28 in Dubai teilgenommen. Es ist Putins erste Reise in die Region seit dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Er besucht auch Saudi-Arabien, um sich mit dem Kronprinzen Mohammed bin Salman zu treffen. Gegen Putin liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine vor.
Aber weder Saudi-Arabien noch die Vereinigten Arabischen Emirate haben den Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterzeichnet, sodass sie nicht verpflichtet sind, ihn festzunehmen.
Aktivisten auf der COP28 haben gegen Putins Besuch mit Schildern protestiert, auf denen zu lesen war: "Eure Macht geht zu Ende" und "Fossile Brennstoffdiktatoren raus". Auch die Ukrainer beschuldigen Putin, in ihrem Land Umweltverbrechen zu begehen.
Auf der Klimakonferenz hat Russland eine von den USA angeführte Initiative zur Verdreifachung der weltweiten Kernkraftkapazitäten begrüßt. Das geschah in einer seltenen Übereinkunft, in der 21 Nationen Wege zur Erreichung von Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 vorschlagen, darunter neben den USA auch Frankreich, Großbritannien und die Ukraine.
Auf der COP28 hat der US-Sonderbeauftragte für Klima, John Kerry, am Dienstag einen internationalen Plan zur Förderung der Kernfusion vorgestellt, an dem 35 Nationen beteiligt sind. Er sagte:
Ich glaube, basierend auf Informationen von Freunden und Leuten, die ich respektiere, sowie Beweisen, die ich gelesen habe, dass die Kernfusion das Potential hat, unsere Welt zu revolutionieren und alle Optionen, die vor uns liegen, zu verändern und die Welt mit reichlich und sauberer Energie zu versorgen.
Amy Goodman von Democracy Now hat auf der COP28 in Dubai mit Wladimir Sliwjak, dem Co-Vorsitzenden der führenden russischen Umweltorganisation Ecodefense, ein Interview geführt.
Sliuwjak wurde 2021 mit dem Right Livelihood Award, dem alternativen Friedensnobelpreis, für seinen Einsatz für die Umwelt und die Mobilisierung von zivilgesellschaftlichem Widerstand gegen die Kohle- und Atomindustrie in Russland, ausgezeichnet. Inzwischen hat er Russland verlassen.
Zuerst einmal: Wo leben Sie jetzt eigentlich jetzt, Wladimir Sliwjak?
Wladimir Sliwjak: In Deutschland.
Ich möchte Sie zu der Initiative befragen, die von den Vereinigten Staaten vorangetrieben wird. Die fossilen Emissionen sollen reduziert werden. Und Leute wie John Kerry, der Klimabeauftragte der Vereinigten Staaten, sagen, dass die Kernenergie die Antwort ist.
Wladimir Sliwjak: Ich denke, er liegt falsch. Meiner Meinung nach ist es ein großer Fehler der Biden-Regierung, darauf zu drängen. Und dafür gibt es drei Gründe. Erstens müssen wir jetzt etwas für das Klima tun, aber die Kernkraft wird, selbst wenn sie etwas bewirkt, nur sehr wenig bewirken, und wir müssen lange warten, etwa 20 oder 30 Jahre, bis sich etwas tut.
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Der zweite Punkt ist, dass es sich um eine riskante Technologie handelt. Sie produziert Atommüll, der für Tausende von Jahren gefährlich sein wird, und die nächsten Generationen werden für diesen Atommüll bezahlen müssen, um ihn sicher zu lagern.
Und der dritte Punkt ist, dass die Kernenergie die teuerste aller Energiequellen ist. Wenn man also die Kernenergie fördert, muss man sich darüber im Klaren sein, dass dadurch Ressourcen von den erneuerbaren Energien abgezogen werden, und die erneuerbaren Energien sind die eigentliche – die effizienteste Antwort auf den Klimawandel.
Die USA und Russland sind, gelinde gesagt, zerstritten, zum Beispiel wegen der russischen Invasion in der Ukraine, aber hier sind sie sich nicht uneinig.
Wladimir Sliwjak: Das ist sehr beunruhigend und enttäuschend, denn wir haben die USA bei früheren COPs nicht für die Atomkraft werben sehen. Aber leider haben sie begonnen, das zu tun, was Russland schon seit Langem tut, nämlich für die Atomkraft zu werben, die eindeutig eine gescheiterte Lösung in Hinsicht auf den Klimawandel ist.
Biden kommt nicht zum UN-Klimagipfel. Wladimir Putin, der russische Präsident, anscheinend auch nicht, aber er ist in die Vereinigten Arabischen Emirate gereist. Er war am Dienstag in Abu Dhabi. Er reist auch nach Saudi-Arabien. Hat Sie das überrascht? Es stellt eine seltene Reise außerhalb Russlands dar. Was glauben Sie, warum er hier ist?
Wladimir Sliwjak: Ich war sehr überrascht, denn Wladimir Putin war lange Zeit nicht mehr wirklich international unterwegs. Es gibt zwei wichtige Dinge für Putin hier. Das eine ist das Öl. Sie werden über die Ölpreise sprechen und darüber, wie sie die Ölbohrungen und den Verkauf von Öl in der ganzen Welt regulieren wollen, um die Preise hochzuhalten.
Und der zweite Punkt ist natürlich Waffen. Russland braucht mehr davon. Man produziert nicht genug Waffen für den Krieg in der Ukraine – also nicht so viel, wie man in der Ukraine einsetzt. Ich gehe davon aus, dass Putin nach neuen Lieferungen aus arabischen Ländern Ausschau halten wird.
Die 60-Milliarden-Dollar-Frage
Warum, glauben Sie, fördern die USA gerade jetzt die Atomkraft?
Wladimir Sliwjak: Es geht um Geld für die westliche Atomindustrie. Denn schon seit Langem stecken Investoren ihr Geld nicht mehr in Atomkraftwerke, weil sie riskant sind, die Finanzierungsbudgets immer überschreiten und der Bau lange dauert.
Das war in der Vergangenheit ein ziemliches wirtschaftliches Desaster. Die Investoren wollen also kein Geld mehr in diese Technologie investieren. Und was die Regierungen offensichtlich vorhaben, ist, hier bei den Klimaverhandlungen auf die Atomkraft zu drängen.
Und zwar aus einem einfachen Grund: um Geld aus dem Klimafonds für den Bau neuer Atomkraftwerke verwenden zu können. Es geht nicht um das Klima. Es geht vor allem darum, die westliche Atomindustrie zu retten.
Als ich vor ein paar Jahren nach dem UN-Klimagipfel in Kattowitz in Riwne und Lwiw in der Ukraine war, sah ich dort Denkmäler für die Menschen von Tschernobyl. Und es gibt sie überall in der Ukraine und in Russland. Können Sie über die Bedeutung von Tschernobyl für Ihre Ablehnung der Kernenergie sprechen und darüber, inwiefern Sie erneuerbare Energien als Lösung sehen, selbst kurzfristig?
Wladimir Sliwjak: Wenn wir über den Klimawandel sprechen und darüber, was wir dagegen unternehmen wollen, dann sind erneuerbare Energien natürlich die erste Wahl, und zwar aus dem Grund, dass sie billiger sind als die Kernkraft. Sie lassen sich viel schneller installieren, was bedeutet, dass man viel schneller Ergebnisse bzw. Effekte bei der Emissionsreduzierung erzielen kann. Das ist es, was wir im Moment brauchen.
Die Kernkraft ist eine riskante Technologie. Wir haben Fukushima erlebt, davor fand Tschernobyl statt. Tschernobyl hat letztlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt.
Tschernobyl war der Auslöser für neue zivilgesellschaftliche Bewegungen, Anti-Atomkraft-Bewegungen in der Sowjetunion. Sie wurden aktiv und schafften es Ende der 1980er-Jahre, die Entwicklung der Kernkraft in der Sowjetunion vollständig zu stoppen.
Die Atomenergie wurde später wieder aufgenommen, vor allem als Putin an die Macht kam. Er ging in großem Stil vor.
Können Sie etwas über die Klimaverhandlungen hier in Dubai sagen – haben Sie noch Hoffnung? – und auch über einen neuen Bericht, der gerade über die Umweltauswirkungen von Russlands Invasion und Krieg in der Ukraine veröffentlicht wurde?
Wladimir Sliwjak: Zunächst einmal sind diese Klimaverhandlungen ein handfester Skandal, denn der Präsident dieser COP ist tatsächlich der Chef eines großen Ölkonzerns, eines der führenden Unternehmen der Welt.
Der Mann, der andere Länder dazu bringen soll, ein Abkommen über den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu schließen, ist in Wahrheit an der Förderung von Ölverträgen für sein Unternehmen interessiert. Ich weiß also nicht, was für ein Ergebnis wir von dieser COP erwarten sollen.
Und es stimmt, dass die Ukraine vor ein paar Tagen eine Bewertung der Umweltschäden durch den Krieg in der Ukraine, den russischen Krieg in der Ukraine, vorgelegt hat. Und die Vertreter des ukrainischen Staates sagten, dass die russische Armee fast 3.000 Umweltverbrechen begangen hat, die einen Wert von über 60 Milliarden US-Dollar haben.
Das sind natürlich nicht die Gesamtkosten eines Krieges oder die Schäden, die durch den Krieg entstanden sind. Es geht nur um die Umweltkosten eines Krieges.
Darin enthalten sind etwa 150 Millionen Tonnen CO2, die durch den Krieg zusätzlich emittiert wurden, was ohne Krieg nie geschehen wäre. Der ukrainische Staat schätzt den Wert dieser Treibhausgasemissionen auf etwa zwölf Milliarden Dollar.
Sie verlangen, dass die internationale Gemeinschaft von Russland Reparationen einfordert, einschließlich dieser 12 Milliarden Dollar für zusätzliche CO2-Emissionen und der über 60 Milliarden Dollar für Umweltschäden, die durch den Krieg verursacht wurden. Im Moment versucht die Ukraine die Vereinten Nationen dazu zu drängen, einen Weg zu finden, wie diese Reparationen von Russland eingezogen werden können.
Wären Sie in der Lage, diese Dinge auch in Russland zu sagen? Und wann haben Sie Ihre Heimat verlassen?
Wladimir Sliwjak: Auf keinen Fall. Russland ist – meiner Meinung nach – ein faschistischer Staat, den man leicht mit Nazi-Deutschland aus dem 20. Jahrhundert, aus dem Zweiten Weltkrieg, vergleichen kann. Alle Arten von politischem Aktivismus werden unterdrückt.
Jeden Tag erfahren wir, dass jemand ins Gefängnis gekommen ist oder es einen neuen Strafprozess gibt. Alle stehen unter dem Druck vonseiten des Staates. Feministische Aktivisten, LGBT-Aktivisten, Umweltaktivisten, Menschenrechtsaktivisten.
Das Putin-Regime ist hinter der Zivilgesellschaft her. Es will das Ende der Zivilgesellschaft. Wenn man sich also entschließt, Putin in Russland zu kritisieren, wird man sofort ins Gefängnis gesteckt.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.