Atomkrieg made in Germany? Wie die nukleare Bewaffnung Deutschlands vorangetrieben wird

Roter Knopf, dadrauf ein Atompilz. Drumherum ein Kreis in den Farben der Deutschlandfahne.

Der alte Bundestag will das Grundgesetz ändern. Das Ziel: Rüstungsbudgets ohne Grenzen. Und atomare Aufrüstung. Eine Warnung.

Am vergangenen Donnerstag haben die Abgeordneten des abgewählten Bundestages in Berlin darüber debattiert, das Grundgesetz zu ändern, damit in Zukunft keine Budgetbegrenzung mehr die Aufrüstung der Bundeswehr hin zur Kriegsfähigkeit behindert.

Die zweite und dritte Lesung soll am 18. März 2025 erfolgen, dem morgigen Dienstag. Damit zwingt die noch eine Woche bestehende Bundestagsmehrheit aus Union, SPD und Grünen in letzter Minute auch künftige Parlamente und Regierungen Deutschlands in ihren Schulden- und Aufrüstungskurs.

Die schon gewählten Abgeordneten des neuen Bundestages sollen nicht darüber abstimmen, da sie nicht in ausreichender Mehrheit für diese Pläne des BMVg sind.

Der dringend notwendige Klimaschutz, der auch aus den geplanten Sonderschulden finanziert werden soll, wird durch "Infrastrukturmaßnahmen" wie Straßen-, Brücken und Eisenbahnausbau für den Transport von Kriegsmaterial der Bundeswehr gen Osten sowie die Steigerung der Rüstungsproduktion und die Ausstattung laufender und zukünftiger Kriege, ad absurdum geführt.

Es ist auch nicht bekannt, dass diese oder die künftige Regierung auch Abrüstungsvorschläge oder Rüstungskontroll- oder Rüstungsbegrenzungsinitiativen vorlegt. Es ist eine rein einseitige Festlegung auf den militärischen Weg der Bundeswehr und des BMVg.

Das ist umso erschreckender, da der letzte verbleibende atomare Rüstungsbegrenzungsvertrag zwischen den USA und Russland, der New Start Vertrag, welcher die Anzahl der atomaren Sprengköpfe von Kernwaffen begrenzt, Anfang Februar 2026 ausläuft.

Verträge zur Rüstungskontrolle gekündigt

Alle anderen Rüstungsbegrenzungs- oder -kontrollverträge wie der Vertrag über die Begrenzung von atomaren Mittelstreckenraketen oder der Open-Skies-Vertrag, der die Möglichkeit der Überflüge zur Kontrolle der Einhaltung von Rüstungsbegrenzungen beinhaltete, wurden zuerst von den USA schon weit vor dem Krieg in der Ukraine gekündigt.

Was ist geschehen, dass politische Entscheider diesen riskanten Weg gehen?

Atomare Abschreckung wieder in der Debatte

Seit der Wahl von Donald Trump und seinen kritischen Äußerungen zur vermeintlichen bisherigen Sicherheitsgarantie und verstärkt seit dem Rauswurf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Weißen Haus Anfang März, debattieren viele Länder in Deutschland über Alternativen zur bisherigen Abschreckungspolitik mit Kernwaffen.

Keine ehrliche Bilanz der nuklearen Abschreckung

Es wird keine ehrliche Bilanz der vergangenen Politik gezogen. Abschreckung und Aufrüstung der Bundeswehr und anderer Länder, daran gemessen, dass dadurch Frieden gesichert sein soll, haben nicht funktioniert. Das wird aber nicht gesagt. Stattdessen sollen noch mehr Waffen, noch mehr Soldaten der Armee und damit noch mehr Zerstörungspotenzial den Frieden sichern. Und Deutschland kriegstüchtig machen.

Wirtschaftlich desaströse Folgen

Unser Gastautor ist Vorstandsmitglied der ICAN Deutschland e.V.

Das hat potenziell auch desaströse wirtschaftliche Folgen, da Waffen eine unproduktive Investition sind, die keinen Mehrwert schafft. Schulen, Universitäten, Ausbau der Energieinfrastruktur oder der Bau von Wohnungen dagegen schaffen Stabilität in den Ländern.

Und es wird von den Befürwortern der Abschreckung offen wie nie zuvor über europäische oder gar deutsche Atomwaffen und Kernwaffen gesprochen. Aber auch in Ländern wie Südkorea und Japan wird über eigene Atomwaffen geredet.

Kann die Bombe Frieden sichern?

Aber können Atomwaffen und Kernwaffen den Frieden sichern oder ist das eine Illusion von Sicherheit?

US-Präsident Trump hat nur offen gemacht, was schon lange auch für alle anderen US-Präsidenten galt: Warum sollten die USA einen Atomkrieg für Deutschland oder Europa riskieren? Chicago für Berlin? New York für Hamburg? Aus Freundschaft? Das würde sie nicht tun.

Illusion der Kriegspartnerschaft geplatzt

Jetzt, wo die Illusion einer verlässlichen Kriegspartnerschaft geplatzt ist und sich bei einigen sogar in eine Gegnerschaft zu den USA wandelt, bietet Frankreichs Präsident Macron zumindest für Europa eine "erweiterte Abschreckung" mit Kernwaffen an.

Andere fordern eigene deutsche Nuklearwaffen für die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium. Doch beides wäre ein "Weiter so" auf dem politisch-militaristischen Weg.

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Wir können eins objektiv feststellen: Abschreckung mit Atomwaffen funktioniert nicht zur Vermeidung von Kriegen oder zum Erhalt von Frieden.

Jeder Atomwaffenstaat war im Laufe der Jahrzehnte in Kriege verwickelt und hat diese auch, trotz Kernwaffen, verloren. Nur als Beispiele zu nennen: 1989 hat erst die damalige Sowjetunion und 2021 die USA und Nato den Krieg in Afghanistan ganz einfach verloren.

Das Vereinigte Königreich hat trotz Atomwaffen die Herrschaft über den Suezkanal verloren, die USA und Frankreich den Vietnamkrieg, Frankreich die Herrschaft über Algerien.

Es wird keinen "Atomschirm" geben

Auch wenn man annehmen würde, dass Abschreckung mit Atom-oder Wasserstoffbomben funktionieren könnte: politisch und praktisch ist ein gemeinsamer europäischer "Atomschirm" nicht machbar.

Die Befehlsgewalt über den Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen kann nur in einer Hand liegen. Langwierige Abstimmungen sind im Krisenfall zwischen den Ländern aufgrund der Zeit, verschiedener Einschätzungen und Interessenlagen kaum möglich.

Schon grundsätzliche Fragen nicht beantwortbar

Schon die Frage, wann durch wen ein Einsatzbefehl für Kernwaffen gegeben und welches Ziel mit den jeweiligen Atomwaffen anvisiert wird, wäre schwer mit den unterschiedlichen Gegebenheiten und politischen Kulturen der Länder abstimmbar.

Hinzu kommt, dass Frankreich und Großbritannien auch zusammen nicht über die Kapazitäten verfügen, um eine Eskalationsdominanz gegenüber Russland oder den USA zu erlangen. Oder gar eine glaubwürdige ausreichende Zerstörungskapazität durch einen potenziellen Zweitschlag mit Kernwaffen haben.

Britische Waffen ohne USA kaum einsetzbar

Die britischen Atom-U-Boote nutzen das von den USA geleaste Trident-System als Träger ihrer Atomsprengköpfe und das ist ohne Washingtons Zustimmung kaum eigenständig nutzbar.

Frankreich unterhält eine unabhängige nukleare Streitmacht, die zwar große Zerstörung anrichten könnte, aber nicht in der Lage wäre, einen vernichtenden Angriff mit Wasserstoffbomben auf das eigene Land oder gar Deutschland oder Europa zu verhindern.

Ein europäischer Atomschirm wäre somit strategisch unglaubwürdig.

Ist die Bombe bald in der Hand der Rechten?

Dazu kommt, dass die politische Entwicklung in Frankreich unsicher ist. Die mögliche nächste Präsidentin, Marine Le Pen, hat bereits angekündigt, dass sie einen französischen Atomschutzschirm für Deutschland und Europa ablehnen würde.

Der Brexit-Hasardeur Nigel Farage und sogar Keir Starmer selbst, haben innenpolitisch und wirtschaftlich ganz andere Herausforderungen, als die deutsche Demokratie zu retten.

Mejhr als 2.100 Atomsprengköpfe einsetzbar

Es sind aktuell über 2.100 Atomsprengköpfe im Alarmzustand und sofort einsatzbereit, alleine USA und Russland verfügen jeweils insgesamt über ca. 8.000 solcher Sprengköpfe für verschiedene Trägersysteme wie Raketen, Flugzeugen oder U-Booten.

Die davon ausgehende Gefahr durch Kernwaffen ist immens. Ein Atomkrieg wegen Fehlinformationen oder aus Versehen ist nicht ausgeschlossen.

Ein Vielfaches von Hiroshima und Nagasaki

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki in Japan, deren Sprengkraft im Vergleich zu heutigen Waffen gering war, töteten vor 80 Jahren direkt 200.000 Menschen. Ein Angriff mit nur einem modernen Sprengkopf einer Wasserstoffbombe würde, je nach Ziel, 500.000 bis eine Million Tote sowie bis zu drei Millionen Schwerverletzte verursachen. Nach einem solchen Atomschlag gäbe es keine Hilfe, da unterschiedslos alles Leben getötet wird. Keine Ärztin, keine Feuerwehr, keine Krankenwagenfahrer wären in dem betroffenen Gebiet oder könnten dorthin.

Und wie steht es mit deutschen Atomwaffen?

Die Bombe und Deutschland

Aktuell stellt Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe Lager, Flugplatz, Flugzeuge und Piloten für den Einsatz von US-Atombomben bereit. Diese Kernwaffen sind während des Friedens, aber unter der Kontrolle von hier stationierten US-amerikanischen Soldaten.

Deutschland als sogenannter Schwellenstaat könnte technisch gesehen nuklear aufrüsten. Unser Land verfügt über das Know-how und das Material, um eigene Atomwaffen für die Bundeswehr zu bauen. Mit dem Taurus-Marschflugkörper, für die Variante mit Multiple-Warhead- und Multiple-Payload-Fähigkeit geplant sind, gäbe es ein potenzielles Trägersystem für Kernwaffen.

Die Verbindungen zur Bombe

Bereits jetzt sind die konventionellen Taurus-Systeme im Rheinland-Pfälzischen Büchel stationiert, wo auch die US-Atomwaffen in Deutschland lagern, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe durch deutsche Piloten der Armee eingesetzt werden könnten.

Und Deutschland kann U-Boote bauen. Diese werden mutmaßlich von den israelischen Streitkräften schon als Atomwaffenträgern genutzt.

Im Ernstfall gibt es keinen Schutz

Was bislang in der ganzen Diskussion viel zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass es keinen militärischen Schutz in einem Atomkrieg gibt. Es gibt und wird nicht ausreichend Luftabwehrsystem geben, um gesichert alle Atomsprengköpfe von Wasserstoffbomben zu eliminieren. In Zeiten von Drohnenkrieg, Hyperschallwaffen und eventuell um die Erde kreisenden Trägersystemen mit jederzeit von dort zu startenden Atomraketen ist das unmöglich.

Deutschland ist aber auch völkerrechtlich an eine nukleare Neutralität gebunden. Deutschland hat 1975 den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1968, der die Weiterverbreitung von Kernwaffen beschränkt, ratifiziert. Er verbietet es, Atomwaffen zu besitzen und anzustreben.

Erinnerung an den Zwei-plus-Vier-Vertrag

Im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung von 1990 bekräftigte Deutschland noch einmal völkerrechtlich verbindlich, keine Atomwaffen anzustreben.

Jedes Streben nach Atomwaffen Europas oder Deutschlands würde einen Bruch dieser Verträge und eine massive Eskalation darstellen. Wie die Reaktion Russlands und Chinas aussehen würde, ist nicht abzusehen.

Grenzen des Nichtverbreitungsvertrags

Dass der Nichtverbreitungsvertrag seine Grenzen hat, zeigt die Realität: Länder wie Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea besitzen heute Kernwaffen. Dennoch hält er die meisten Länder dieser Welt von eigenen Atomwaffen ab.

Aber, wegen der Nichteinhaltung der Verpflichtung der Atomwaffenstaaten ernsthafte Verhandlungen zur Reduzierung und vollständigen Abrüstung einzugehen, verabschiedeten 122 Staaten in der UN-Vollversammlung 2017, gegen den Widerstand der Atommächte und ihrer direkten Verbündeten, den Atomwaffenverbotsvertrag. Deutschland war nicht dafür.

Bundeswehr, CDU, SPD und Grüne beschwören die Kriegsgefahr

Trotz der von Militärs der Bundeswehr und CDU, SPD und Grünen beschworenen Kriegsgefahr, hat sich die Mehrheit der Befragten in einer Forsa-Umfrage vom Februar dieses Jahres gegen deutsche Atomwaffen ausgesprochen. 57,8 Prozent der Befragten waren gegen, und nur 29,5 Prozent waren für deutsche Kernwaffen.

Ein deutscher Vorstoß für eine nukleare Aufrüstung oder die Beteiligung an einem französisch/europäischen Schutzschirm mit Wasserstoffbomben hätte gravierende Folgen:

1. Ohne Abrüstungsinitiativen dieser oder der wahrscheinlich zukünftigen Regierung wäre ein Streben danach eine massive Eskalation.

2. Wenn Deutschland atomar aufrüstet, werden andere Länder wie Polen, Südkorea, die Türkei und Saudi-Arabien oder Japan sehr wahrscheinlich auch nach Atomwaffen streben

3. Die EU-Staaten haben unterschiedliche Sicherheitsinteressen – ein partieller Atomschirm könnte zu einer Spaltung führen. Länder wie Österreich und Irland, die eine strikte Abrüstungspolitik verfolgen, würden eine europäische Nuklearstrategie kaum mittragen.

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4. Ein begrenztes europäisches Atomarsenal wäre militärisch nicht abschreckend, aber politisch destabilisierend.

5. Eine nukleare Aufrüstung wäre eine Eskalation und könnte zu massiven, eventuell auch präventiven Reaktionen vonseiten Russlands – oder sogar der USA führen.

6. Die Menschen in Deutschland sind gegen deutsche Kernwaffen

7. Wer glaubt, Atomwaffen könnten Frieden garantieren, ignoriert die historische Realität: Sicherheit entsteht nur durch Akzeptanz und Stabilität – und immer nur miteinander.

Deutsche Atomwaffen hätten die Problematik der militärischen und politischen Begrenztheit und Unsicherheit, aber zusätzlich noch die historische Dimension:

Wer kann wirklich akzeptieren, dass unser Land, verantwortlich für zwei Weltkriege mit 100 Millionen Toten, wieder eine Militärmacht wird, welche die Welt in den Abgrund reißen kann? Auch hier in Deutschland ist die politische Entwicklung unsicher. Es ist nicht klar, ob eine teilweise rechtsradikale Partei demnächst die Regierung mitbestimmt.

Deutschland sollte, statt sich der falschen Illusion von Sicherheit durch Aufrüstung und Atomwaffen hinzugeben, Schritte und Initiativen zur Abrüstung machen. Ein erster wichtiger Schritt wäre der Abzug der US-Atombomben.

Alle, die jetzt für die Sonderschulden und unbegrenzte Aufrüstung stimmen, müssen im Blick haben, dass sie damit auch künftigen Regierungen ermöglichen, mit dieser Ermächtigung Kriege vorzubereiten.

Die Abgeordneten des alten und des neuen Bundestages sollten gegen die Änderung des Grundgesetzes und gegen die grenzenlose Aufrüstung und Eskalation stimmen.

Christoph von Lieven hat in Hamburg Volkswirtschaft studiert und 20 Jahre bei Greenpeace gearbeitet. Er gehört dem amtierenden Vorstand der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN e.V.) an. Er ist seit vielen Jahren in der Friedensbewegung engagiert und kommt aus der Bewegung für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Von LIeven hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.