Atommächte am Abgrund: Indien und Pakistan eskalieren Konflikt

Lars Lange
Flugzeugträger INS Vikrant

Flugzeugträger INS Vikrant. Foto: Government of India / Government Open Data License - India (GODL)

Terroranschlag erschüttert Kaschmir. Indien und Pakistan suspendieren Abkommen, reduzieren Diplomatie. Die Lage bleibt stark angespannt.

Die Beziehungen zwischen den Atommächten Indien und Pakistan haben in den letzten Tagen einen neuen Tiefpunkt erreicht. Auslöser der aktuellen Krise war ein Terroranschlag am vergangenen Dienstag in der Touristenregion Pahalgam in indischen Kaschmir, bei dem 26 Menschen ums Leben kamen.

Die mutmaßlich von pakistanischem Territorium aus operierenden Terroristen hatten gezielt Touristen angegriffen.

In der Folge haben beide Staaten in einer beispiellosen Eskalation fundamentale Abkommen suspendiert, die über Jahrzehnte als Grundpfeiler ihrer ohnehin fragilen Beziehungen galten. Die diplomatischen Verbindungen wurden auf ein Minimum reduziert, während gleichzeitig militärische Aktivitäten an den Grenzen und im Arabischen Meer zunehmen.

Die geopolitischen Implikationen dieser Krise reichen weit über die Region hinaus und könnten auch Auswirkungen auf die Beziehungen zu China und anderen Großmächten haben.

Indiens Reaktion

Nach dem Anschlag in Pahalgam reagierte Indien mit einer Reihe von harten diplomatischen und militärischen Maßnahmen gegen Pakistan. Wie Al Jazeera berichtet, brach der indische Premierminister Narendra Modi eigens seinen Besuch in Saudi-Arabien ab, um die Reaktion seines Landes zu koordinieren.

Nach Angaben des Indian Express kündigte die indische Regierung am Mittwoch umgehend die Suspendierung des Indus-Wasservertrags von 1960 an.

Laut der Wirtschaftszeitung Mint ordnete Indien darüber hinaus die Schließung des wichtigen Grenzübergangs Attari-Wagah an.

Ausweisungsdrohung an Pakistaner in Indien

Die im Rahmen des SAARC-Abkommens gewährten Visa-Erleichterungen für pakistanische Staatsangehörige wurden widerrufen, und pakistanische Staatsbürger, die sich auf Grundlage dieser Visa in Indien aufhalten, wurden aufgefordert, das Land innerhalb von 48 Stunden zu verlassen.

"Alle pakistanischen Staatsangehörigen, die sich derzeit in Indien aufhalten, müssen Indien vor Ablauf der Visa verlassen", wird das Außenministerium in Neu-Delhi von der deutschen Tagesschau wiedergegeben.

Zudem soll Indien das diplomatische Personal in beiden Ländern auf jeweils 30 Personen reduziert und die militärischen Attachés Pakistans ausgewiesen haben (Print).

"Wir werden sie bis ans Ende der Welt verfolgen"

Der Indian Express hebt besonders die Ansprache von Premierminister Modi am Donnerstag hervor. Bei einer Veranstaltung im Bundesstaat Bihar wechselte er ungewöhnlicherweise mitten in seiner Rede ins Englische – ein klares Signal, dass seine Botschaft für ein internationales Publikum bestimmt war.

"Vom Boden Bihars aus sage ich der Welt, dass Indien jeden Terroristen und dessen Hintermänner identifizieren, verfolgen und bestrafen wird", erklärte Modi auf Englisch. "Wir werden sie bis ans Ende der Welt verfolgen ... Terrorismus wird nicht ungestraft bleiben."

In einem parallel verlaufenden militärischen Signal entsandte die indische Marine den Flugzeugträger INS Vikrant ins Arabische Meer. Das Schiff, das erste indische Kriegsschiff dieser Größe, soll laut einem Medienbericht, Pakistan das Fürchten lehren. Es ist mit MiG-29K-Kampfjets und Angriffshelikoptern ausgestattet.

Pakistans Gegenreaktion

Die Reaktion Pakistans auf Indiens Maßnahmen erfolgte prompt: Laut Business Standard trat das Nationale Sicherheitskomitee Pakistans (NSC) – das höchste Entscheidungsgremium des Landes in Sicherheitsfragen – zu einer mehr als zweistündigen Sitzung zusammen, um die pakistanische Antwort zu formulieren.

In einer Entscheidung von enormer Tragweite verkündete Pakistan nach Angaben der Zeitung die Suspendierung des Simla-Abkommens von 1972 – einem Friedensvertrag, der nach dem Krieg von 1971 unterzeichnet wurde und unter anderem die Kontrolllinie (LoC) in Kaschmir festlegte.

Pakistan ergriff zudem weitere symmetrische Gegenmaßnahmen. So schloss das Land die Wagah-Grenze für den Handel, setzte die SAARC-Visa-Befreiungen für indische Staatsbürger aus und wies indische Militärdiplomaten aus. Sie wurden zu "personae non gratae" erklärt.

"Kriegsakt"

Besonders scharf reagierte Pakistan auf die Aussetzung des Indus-Wasservertrags. Nach Angaben von Business Standard bezeichnete das Nationale Sicherheitskomitee jeden Versuch, Pakistans Anteil am Indus-Wasser zu stoppen oder umzuleiten, als "Kriegsakt" und erklärte, dass es Indiens Ankündigung, den Vertrag auszusetzen, "vehement ablehnt".

Parallel zu den diplomatischen Maßnahmen begann Pakistan auch mit militärischen Aktivitäten. Laut India Herald startete das pakistanische Militär Schießübungen im Arabischen Meer, insbesondere Raketenabschussübungen in der Nähe des Hafens von Gwadar.

Diese Übungen wurden am Donnerstag, einen Tag nach Indiens diplomatischer Offensive, durchgeführt.

Trotz der massiven Gegenmaßnahmen betonte Pakistan laut Business Standard, dass es "dem Frieden verpflichtet bleibt" und seinen Wunsch nach Dialog bekräftigt – allerdings nur unter Bedingungen, die es als fair und rechtmäßig erachtet.

Gleichzeitig bestritt der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif in einem von NPR zitierten Interview jede Beteiligung seines Landes an dem Angriff in Pahalgam und behauptete, die Täter seien "hausgemachte Rebellen" Indiens.

Erosion der diplomatischen Grundlagen: Indus-Wasservertrag und Simla-Abkommen

Die gegenseitige Suspendierung des Indus-Wasservertrags durch Indien und des Simla-Abkommens (manchmal auch "Shimla" geschrieben) durch Pakistan markiert einen historischen Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen beider Länder. Diese Abkommen bildeten über Jahrzehnte das diplomatische Fundament ihrer Beziehungen – trotz wiederkehrender Krisen und Konflikte.

Der Indus-Wasservertrag von 1960 überstand vier Kriege, Jahrzehnte grenzüberschreitenden Terrorismus und eine lange Geschichte der Feindseligkeit zwischen beiden Ländern, bevor er nun zum ersten Mal von Neu-Delhi ausgesetzt wurde.

Das Abkommen regelt die Aufteilung der Wasserrechte des Indus-Flusssystems: Indien erhält die uneingeschränkte Nutzung der "östlichen Flüsse" Sutlej, Beas und Ravi, während Pakistan die "westlichen Flüsse" Indus, Jhelum und Chenab zugesprochen werden.

Die möglichen Auswirkungen der Suspendierung sind existenziell für Pakistan. Mit der Aufhebung des Vertrags erhält Indien theoretisch die Möglichkeit, den Wasserfluss nach Pakistan zu kontrollieren und zumindest Teile des Wasserstroms umzuleiten oder zu speichern. Eine solche Ableitung würde nach Angaben vom X-Kanal Indo-Pacific News die Landwirtschaft in Pakistan erheblich beeinträchtigen, insbesondere in den Provinzen Punjab und Sindh.

Die Landwirtschaft trägt 21 Prozent zum BIP Pakistans bei und beschäftigt 45 Prozent der pakistanischen Arbeitskräfte. Ferner drohen Stromausfälle, da Pakistan Flusswasser für die Wasserkrafterzeugung nutzt. Pakistan hat Indiens Schritt entsprechend als potenziellen "Kriegsakt" eingestuft, wie Business Standard berichtet, was die existenzielle Dimension dieser Maßnahme unterstreicht.

Das Simla-Abkommen ist ein Friedensvertrag, der nach dem Krieg von 1971 zwischen Indien und Pakistan geschlossen wurde. Ein wichtiges Ergebnis des Abkommens war die Schaffung der Kontrolllinie (LOC) in Kaschmir war, die die Region zwischen Indien und Pakistan teilte.

Bemerkenswert an beiden Abkommen ist das Fehlen von Ausstiegsklauseln. Der Indian Express weist darauf hin, dass der Indus-Wasservertrag keine Ausstiegsklausel hat, was bedeutet, dass weder Indien noch Pakistan ihn einseitig rechtlich aufkündigen können. Der Vertrag hat kein Enddatum, und jede Änderung erfordert die Zustimmung beider Parteien.

Hintergründe und historischer Kontext

Der aktuelle Konflikt zwischen Indien und Pakistan kann nicht losgelöst von seiner komplexen historischen Vorgeschichte betrachtet werden. Zentral ist dabei der Kaschmir-Konflikt, der seit der Teilung des indischen Subkontinents 1947 andauert.

Sowohl Indien als auch Pakistan beanspruchen Kaschmir in seiner Gesamtheit für sich, kontrollieren aber jeweils nur einen Teil. Seit der Unabhängigkeit haben beide Staaten drei Kriege um diese Region geführt.

Ein wichtiges infrastrukturelles Element in Indiens Strategie ist die Jammu-Baramulla-Bahnlinie, die seit Januar 2025 fertiggestellt ist. Diese Eisenbahnlinie verbindet Kaschmir mit dem indischen Eisenbahnnetz.

Wie ETV Bharat berichtet, sollte der indische Premierminister Modi am 19. April den ersten direkten Vande Bharat-Zug von Katra nach Srinagar in Betrieb nehmen, doch dieser Besuch wurde offiziell "aufgrund ungünstiger Wettervorhersagen" verschoben – nur wenige Tage vor dem Anschlag in Pahalgam.

Besonders brisant sind die jüngsten Spannungen an der Kontrolllinie (LoC), die Indien und Pakistan in Kaschmir trennt. The Print meldete am 25. April, dass pakistanische Armeetruppen an einigen Stellen entlang der LoC das Feuer eröffneten, was eine sofortige Vergeltung der indischen Armee auslöste.

"Kleinwaffenfeuer an einigen Stellen an der Kontrolllinie, eingeleitet von der pakistanischen Armee. Effektiv beantwortet von der indischen Armee. Keine Opfer", zitierten sie indische Armeebeamte.

Ausblick und Fazit

Die aktuelle Krise zwischen Indien und Pakistan hat ein Eskalationsniveau erreicht, das in den letzten Jahrzehnten selten zu beobachten war. Die gegenseitige Suspendierung grundlegender Abkommen, die Reduktion diplomatischer Beziehungen und die gesteigerte militärische Aktivität lassen eine weitere Verschärfung des Konflikts befürchten.

Die Suspendierung des Indus-Wasservertrags könnte einen gefährlichen Präzedenzfall für China schaffen, das derzeit einen gewaltigen Staudamm plant und den Brahmaputra-Fluss, der für Indien lebenswichtig ist, kontrollieren könnte.

Dies könnte zu einem neuen geopolitischen Konflikt zwischen China und Indien führen – obwohl beide Länder im Rahmen der BRICS-Gruppe in anderen Kontexten als Verbündete agieren.

Besonders die Suspendierung des Simla-Abkommens durch Pakistan ist als eine kaum verhüllte Kriegsdrohung zu verstehen, da damit die grundlegende friedliche Koexistenz beider Staaten infrage gestellt wird. Beide Maßnahmen zusammen signalisieren eine beispiellose Erosion des diplomatischen Fundaments, das die feindselige Koexistenz der beiden Nuklearmächte über Jahrzehnte hinweg ermöglicht hat.

Die langfristigen Auswirkungen auf die regionale Stabilität sind schwer absehbar, doch die Gefahr einer weiteren militärischen Eskalation zwischen zwei Nuklearmächten gibt Anlass zu ernster Besorgnis.

Der Kaschmir-Konflikt, der im Zentrum der Spannungen steht, erscheint weiterhin unlösbar, und die jüngsten Ereignisse haben die Aussichten auf eine friedliche Lösung eher verschlechtert als verbessert.