Auch in Polen steht der Afghanistan-Einsatz zunehmend unter Kritik
Der Verteidigungsminister will mehr Soldaten an den Hindukusch schicken, während auch auf Seiten der Militärs Einsatz und vor allem Ausstattung hinterfragt werden
Am 11. August starb in Afghanistan der polnische Soldat Daniel Ambrozinski. Er ist das 10. Opfer, den die Polen am Hindukusch zu beklagen haben. Sein Tod löste in Polen nicht nur eine heftige Diskussion über den Sinn des Einsatzes in Afghanistan aus, sondern auch über die Ausstattung der polnischen Truppen, die mehr als unzureichend ist. Dies behauptet jedenfalls kein geringerer als der bisherige Befehlshaber des polnischen Heeres, der dem Verteidigungsministerium öffentlich vorwarf, die Soldaten unzureichend ausgestattet in einen Krieg zu schicken. Ein Vorwurf, der für den General nicht ohne Folgen blieb. Aufgrund des politischen Drucks trat er aus der Armee aus. Doch die Debatte und Kritik am Afghanistan-Einsatz sind bis heute nicht verstummt.
Der 15. August ist in Polen nicht nur wegen Mariä Himmelfahrt ein Feiertag. Am 15. August 1920 schlug die polnische Armee die auf Warschau vorrückende Rote Armee zurück, die "auf ihren Bajonetten die Revolution nach Polen bringen wollte", wie Jozef Pilsudski in seinen späteren Erinnerungen schrieb. Das Ereignis ging als das "Wunder an der Weichsel" in die Geschichte ein, an das im postkommunistischen Polen, anlehnend an die bis 1939 existierende II. Republik, mit dem "Tag der Armee" erinnert wird. An diesem Tag zeichnet der polnische Staatspräsident verdiente Soldaten aus, legt Blumen nieder vor dem Mahnmal des Unbekannten Soldaten und nimmt als Oberbefehlshaber der Streitkräfte eine Militärparade ab. "Eine starke Armee bedeutet für das Land mehr Sicherheit und Prestige", sagte Präsident Lech Kaczynski bei den diesjährigen Feierlichkeiten.
Doch trotz dieser selbstbewussten Worte, Feierstimmung wollte bei den Teilnehmern des Ehrentages nicht so recht aufkommen. Am 11. August verwickelten die Taliban eine polnisch-afghanische Patrouille in ein sechsstündiges Gefecht, das schwerste, sich die polnischen Truppen bisher am Hindukusch liefern mussten, bei dem vier Soldaten verletzt wurden und einer ums Leben kam. Der Vorfall überschattete den diesjährigen Feiertag des polnischen Militärs. Während seiner Rede erinnerte Kaczynski an den gefallenen Hauptmann Daniel Ambrozinski, der laut ihm in "einem Krieg" fiel, der notwendig ist. "Es ist unsere Verpflichtung, sowohl als Angehörige eines bestimmten Kulturkreises, als auch als polnische Patrioten", begründete das Staatsoberhaupt den Einsatz der Streitkräfte in Afghanistan.
Nicht anders denkt auch Premierminister Donald Tusk. "Polnische Soldaten, die ihre Gesundheit und ihr Leben gefährden, zahlen diesen hohen Preis, damit Polen und polnische Soldaten den selben Preis nicht zukünftig an der Weichsel zahlen müssen", erklärte der Regierungschef am Tag der polnischen Armee. Dies erklärte Tusk jedoch nicht in Warschau, sondern in Afghanistan, wo er überraschend die polnischen Truppen besuchte. "Ich verneige mich vor dem Mut und dem Heldentum der polnischen Soldaten in Afghanistan, sowie denen auf anderen Missionen. Im Namen aller Polen wollte ich mich bei euch vom ganzen Herzen für das bedanken, was ihr hier leistet", sagte der Premierminister in der Provinz Ghazna.
Aus den Worten lässt sich durchaus ein schlechtes Gewissen herausinterpretieren. Denn nach dem jüngsten Tod des polnischen Soldaten, das 10. Opfer insgesamt, das Polen seit dem Beginn der ISAF-Mission zu beklagen hat, brach im Land eine erneute Diskussion über den Afghanistaneinsatz aus, die erstaunlicherweise von der Regierung selbst ausgelöst wurde.
Schon einen Tag nach dem Tod des Soldaten wurde bekannt, dass Verteidigungsminister Bogdan Klich als Reaktion auf die immer heftiger werdenden Kämpfe mit den Taliban, das polnische Kontingent um weitere 200 Mann vergrößern möchte. Seit 2002, als die ersten polnischen Soldaten im Rahmen der ISAF in Afghanistan stationiert wurden, wurde die Truppe kontinuierlich verstärkt. Während es zur Beginn nur ca. 300 Soldaten waren, sind es mittlerweile 2.000 Mann. Die Truppenaufstockung wurde auch durch das Ende der polnischen Irak-Mission am 31. Oktober 2008 ermöglicht (Polen: Raus aus dem Irak, hinein nach Afghanistan).
Doch eine weitere Vergrößerung des polnischen Kontingents stößt in Militär- und Expertenkreisen auf geteilte Meinungen. "Die Amerikaner haben in einem ungefähr gleich großen Operationsgebiet doppelt so viele Soldaten. Um in Ghazna einigermaßen zurechtzukommen, müssen wir stärker werden. Dort ist die Lage sehr brenzlig, und dies nicht erst seitdem wir einen weiteren Soldaten verloren haben", erklärte der Gazeta Wyborcza ein nicht namentlich genannter Militär. Anderer Ansicht ist jedoch General Stanislaw Koziej. "Falls die Entsendung weiterer Soldaten nur eine Reaktion auf den jüngsten Vorfall ist, dann wäre dies nur ein Eingeständnis für unsere schlechte Militärstrategie", sagte der ehemalige Vize-Verteidigungsminister der renommierten Tageszeitung. "Eine Entsendung weiterer Soldaten wäre nur dann sinnvoll, wenn diese nur die Aufgabe hätten, die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan zu erhöhen", so Koziej weiter.
Kritik an der mangelhaften und fehlenden Ausrüstung
Und ähnlich scheint auch Premierminister Donald Tusk zu denken. Nachdem dieser erst einen Bericht des polnischen Militärs zu den Geschehnissen in Afghanistan abwarten wollte, sprach er sich ganz klar gegen eine Vergrößerung des polnischen Kontingents aus. "Nicht mehr Soldaten, sondern eine bessere Ausstattung brauchen unsere Truppen in Afghanistan", sagte Tusk am 13. August. Die Ankündigung bekräftigte der Regierungschef nicht nur bei seinem Truppenbesuch in Afghanistan, wo er den Soldaten mehr Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge versprach, sondern auch auf der Beisetzung des am Hindukusch gefallenen Daniel Ambrozinski.
Und wie dringend eine bessere Ausstattung der polnischen Truppen in Afghanistan ist, machte ausgerechnet ein ranghoher Militär deutlich. In einem Interview für die Tageszeitung Dziennik, das am 17. August publiziert wurde, kritisierte General Waldemar Skrzypczak in harschen Worten die Ausrüstung der nach Afghanistan entsandten Truppen. "Es fehlt an Ausrüstung, um die wir schon seit drei Jahren vergeblich kämpfen. Uns fehlen unbemannte Flugkörper, Hubschrauber mit geeigneter Bewaffnung. Ich weiß, wir haben jetzt eine Wirtschaftskrise. Doch früher, als Geld noch vorhanden war, wurde nicht das gekauft, was benötigt wurde. Dies, was in Operationsgebieten dringend gebraucht wurde, gelangte nie an die Front, weil das Geld für andere Sachen ausgegeben wurde", prangerte der Befehlshaber des polnischen Heeres in der Tageszeitung an. Für den Zustand machte der Drei-Sterne General die zivile Verwaltung des Verteidigungsministeriums verantwortlich, "die den Krieg nur aus Filmen kennt", und die der General am liebsten vor einem Gericht sehen würde. "Ich erwarte, dass sich jemand dafür vor der Justiz verantworten muss, dass wir keine entsprechende Bewaffnung haben, die unsere Soldaten schützt." Diesen Vorwurf wiederholte der General bei der Beerdigung des gefallen Hauptmanns noch einmal.
Das Interview löste in Polen ein politisches Erdbeben aus, auch deshalb, weil Skrzypczak Unterstützer fand. General Slawomir Petelicki, Gründer der militärischen Spezialeinheit GROM, bekräftigte die Aussagen seines Kollegen. Und auch Stanislaw Koziej, der sich wenige Tage zuvor gegen die Entsendung weiterer Soldaten nach Afghanistan aussprach, zeigte vollstes Verständnis für die Kritik Skrzypczaks. In einem Radiointerview bezeichnete er den Befehlshaber des Heeres als einen der "besten Offiziere der polnischen Armee", der sich aufgrund der möglichen Konsequenzen "für seine Soldaten aufopferte." Und wie Recht Koziej hat, offenbarte die Reaktion von Natalia Ambrozinska. In der polnischen Presse zeigte sie sich nicht nur dankbar für die Äußerungen des polnischen Generals, sondern bestätigte diese auch. "Vor ihrer Abreise in die Einsatzgebiete müssen sich die polnischen Soldaten die sehr teure Ausrüstung selbst besorgen. Den polnischen Truppen fehlt es fast an allem, sogar an Lebensmitteln", klagte die Witwe des gefallenen Hauptmanns.
Verteidigungsminister unter Beschuss, General tritt zurück
Ganz anders auf die Vorwürfe reagierten dagegen die verantwortlichen Politiker. Obwohl Premierminister Donald Tusk mit seiner Ankündigung, die polnische ISAF-Mission mit mehr Equipment auszustatten, die Vorwürfe des Generals eigentlich schon im Voraus bestätigte, zeigte sich der Verteidigungsminister Bogdan Klich erzürnt. "Nichts von dem, was der General heute behauptet, erwähnte er bei früheren Arbeitstreffen im Verteidigungsministerium oder in persönlichen Gesprächen mit mir", erklärte Klich auf einer Pressekonferenz und bezeichnete stattdessen die Kritik des Generals als einen Angriff auf die zivile Verwaltung des Verteidigungsministeriums. "Kein einziger Militär hat das Recht, sich in die politischen Angelegenheiten einzumischen. Ich bin davon ausgegangen, dass die Soldaten diesen Grundsatz verstehen. General Skrzypczak scheint dieses Prinzip jedoch nicht ganz verstanden zu haben."
Die Kritik ließ Waldemar Skrzypczak nicht auf sich sitzen. Bei einem Treffen mit Verteidigungsminister Klich räumte der General zwar ein, sich für seine Kritik einen ungeeigneten Ort und Zeitpunkt ausgesucht zu haben. Gleichzeitig stellte er aber auch klar, dass die Vorwürfe nicht an den Minister, sondern an die Beamten des Verteidigungsressorts gerichtet waren. Beteuerungen, die den General dennoch nicht davor bewahrten, Spielball der Politik zu werden. Nachdem das Präsidialamt von Verteidigungsminister Klich genauere Informationen zu den Vorwürfen verlangte, beriet Präsident Lech Kaczynski, in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Streikräfte, gemeinsam mit Verteidigungsminister Klich über die weitere Zukunft von General Skrzypczak. Dabei kamen beide überein, dass Skrzypczak seiner Funktion, die er eh nur noch bis zum Oktober innegehabt hätte, als Befehlshaber des Heeres nicht enthoben wird, obwohl auch Präsident Lech Kaczynski die Kritik des Generals als einen Angriff auf die zivile Verwaltung des Verteidigungsministeriums bezeichnete.
Doch zur Überraschung aller, zog Skrzypczak aus seinen Aussagen und dem daraus entstandenen politischem Rummel selber die Konsequenzen. Nur wenige Stunden, nachdem Kaczynski und Klich am 20. August über seine weitere Zukunft beraten haben, gab Skrzypczak seinen Austritt aus der Armee bekannt. "Ich will nicht behaupten, dass der Minister gelogen hat, aber seine Aussage, ich hätte meinen Fehler eingeräumt, ist eine Manipulation meiner Worte", gab Skrzypczak als Begründung für seine Entscheidung an. "Ich habe lediglich zugegeben, dass der Ort und der Zeitpunkt meiner Kritik nicht glücklich gewählt waren. Doch von meinen Worten und Vorwürfen habe ich mich nicht distanziert. Ich stehe weiterhin zu meinen Aussagen", so Skrzypczak weiter.
Bogdan Klich ist da jedoch anderer Auffassung. "Der Fall des General Skrzypczak ist abgeschlossen", erklärte Klich nur wenige Stunden nach dem Rücktritt des Generals. Doch hier irrt sich der Verteidigungsminister gewaltig. Denn trotz des Rücktritts diskutiert Polen weiterhin über den Zustand der polnischen Streitkräfte und den Sinn des Afghanistan-Einsatzes, und spart dabei nicht mit Kritik an Bogdan Klich, über dessen Entlassung bereits die polnische Presse spekuliert.
Denn die Tätigkeit Klichs ist bisher nicht von Erfolgen gekrönt. Die polnische Armee wird zwar mittlerweile in eine Berufsarmee umgewandelt, doch die Misswirtschaft im Verteidigungsministerium, die Klich von seinen Vorgängern übernommen hat, hat er nach zwei Jahren Amtszeit bis heute nicht in den Griff bekommen. Regelmäßig berichtet die Presse über unnötige Einkäufe und falsche Investitionen, für die das Ministerium, dessen Budget aufgrund des durch die Wirtschaftskrise entstandenen Haushaltsdefizits um 2 Milliarden Zloty gekürzt wurde, sein weniges Geld ausgibt.
Und von dieser Misswirtschaft ist besonders die polnische ISAF-Mission betroffen. Seit August 2007, nach dem Vorfall von Nangar Khel, als polnische Truppen ein Dorf beschossen und dabei sechs Zivilisten töteten, berichten die Medien sehr ausführlich über den Einsatz in Afghanistan. Dabei scheut sich weder die Presse noch die Politik, im Gegensatz zu Deutschland, von einem Krieg zu sprechen (In Afghanistan führt die Bundeswehr nach Verteidigungsminister Jung noch immer keinen Krieg). Den Krieg müssen die polnischen Soldaten mit wenigen Mitteln führen. Schon Ende 2007 wurde publik, dass die Vorgängerregierung von Jaroslaw Kaczynski es nicht vermocht hat, die Truppen in Afghanistan mit dringend benötigten Rosomak-Panzerwagen auszustatten.
Den Missstand hat auch die jetzige Regierung nicht behoben, wie es die jetzige Debatte beweist. Dafür bemühte sich der jetzige Verteidigungsminister Bogdan Klich um eine gute Publicity für den Afghanistan-Einsatz. Wie Ende Juli die Tageszeitung Rzeczpospolita berichtete, beauftragte das Verteidigungsministerium den Lobbyisten Businnes Centre Club, damit dieser einer Kampagne erarbeitet, mit dem der Afghanistan-Einsatz, den der Großteil der Polen ablehnt, in einem besseren Licht erscheint. Kostenpunkt: 400.000 Zloty.