Auch wenn die AfD verliert, kann die Rechte gewinnen
Landratswahl im Saale-Orla-Kreis: Wie die Linke sich überflüssig macht, wenn sie im Kampf gegen Rechts nur auf die AfD schielt. Ein Kommentar.
Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen war in den letzten Tagen so häufig in den Medien wie sonst nie. Denn dort hatte bei der Landratswahl der CDU-Kandidat einen als Favoriten geltenden AfD-Mann knapp überrundet. Einige haben aus dem Wahlergebnis in einer Gegend, die bisher wenig Beachtung gefunden hatte, sofort eine Schlacht im Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie gemacht.
Andere Beobachter ein realistischeres Bild gezeichnet. Der AfD-Kandidat hat mit mehr als 48 Prozent gegenüber seinem Wahlergebnis in der ersten Runde noch mal zugelegt. Der CDU-Kandidat konnte nur siegen, weil in einer Art Neuauflage der "Nationalen Front" alle anderen Parteien von der CDU bis zur Partei Linke direkt oder indirekt zu seiner Wahl aufgerufen hatten. Damit erreichte er in der Stichwahl über 52 Prozent.
Die AfD hat verloren, aber ein Rechter hat gewonnen
Was bedeutet es, wenn alle anderen schon im Vorfeld aufgeben und mit dem Schlachtruf "Hauptsache gegen die AfD" auf jede Kritik an der aktuellen Gesellschaft und den sie tragenden Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, und Grüne verzichtet wird?
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Denen ist es nämlich ganz recht, wenn die AfD zum absoluten Bösen stilisiert wird, damit ihre Herrschaft als das kleinere Übel gilt und dann nicht mehr kritisiert wird. Welche Auswirkungen das hat, zeigte sich im Saale-Orla-Kreis. Dort hat der AfD-Kandidat verloren, aber trotzdem hat ein rechter Kandidat gewonnen.
Der CDU-Mann Christian Herrgott hatte sich gegen Bürgergeld für angeblich "faule" Menschen, für schnellere Abschiebungen und gegen Windräder ausgesprochen. Damit unterscheidet er sich politisch wenig von der AfD – und trotzdem wurde sein Sieg über diese Rechtspartei bis in linke Kreise hinein gefeiert.
Wer hat in letzter Zeit effektiv rechte Politik gemacht?
Das rührt von dem Missverständnis her, eine Niederlage der AfD zwangsläufig eine Niederlage der Rechten sei. Dabei müsste doch eigentlich weitgehend klar sein, dass SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU in unterschiedlichen Konstellationen bisher die effektivste rechte Politik gemacht haben.
Sie wollen weiter unter sich bleiben und zeigen die Stacheln gegen den neuen rechten Aufsteiger, der in ihren Revier wildern will.
Historisches: Warum niemand von der Harzburger Front reden will
Dazu muss jeder Vergleich der Politik der AfD mit der der anderen Parteien verhindert werden. Da wird bei den Framing des rechten Potsdamer Privattreffens besonders deutlich. Wenn dort gegen alle Erkenntnisse der Antisemitismusforschung die Wannsee-Konferenz und nicht die Harzburger Front als passende historische Analogie bezeichnet wird, hat das einen klaren Zweck.
Bei der Wannsee-Konferenz wurden die Details des Massenmordes an den europäischen Juden besprochen. Jeder Vergleich mit der aktuellen Politik verbietet sich deshalb.
Das Beispiel der Harzburger Front zeigt dagegen, wie zwei Jahre vor dem Machtantritt Hitlers Rechtskonservative und einige Kapitalkreise die Vorbereitungen für die Machtübernahme trafen. Es ist offensichtlich, dass dies sehr an das Potsdamer Treffen erinnert.
Faschisten brauchten immer Kapital, um an die Macht zu kommen
Wenn aber die Harzburger Front nicht erwähnt wird, dann auch deshalb um nicht, um nicht über die Kapitalistenkreise und ihre Beziehungen zu rechten Parteien und Bewegungen zu reden, die historisch in aller Welt nötig waren, um Faschisten an die Macht zu bringen.
Deshalb ist das politisch-mediale Framing des Potsdamer Treffens verräterisch. Zudem wird immer über ein Treffen zwischen AfD-Mitgliedern und Rechtsextremisten geredet, als hätte es da bis dato nicht viele Überschneidungen gegeben.
Korrekt aber wäre die Beschreibung, dass es sich in Potsdam um ein Treffen von Rechtsextremisten innerhalb und außerhalb der AfD mit Rechtskonservativen, darunter auch CDU-Mitgliedern und Unternehmern gehandelt hat.
Versagen der gesellschaftlichen Linken
Mit einer solchen korrekten Bestreichung wäre eben nicht nur die AfD, sondern die Rechte insgesamt in den Fokus der Kritik geraten. Es ist auch ein Versagen der gesellschaftlichen Linken, genau diese Diskussion nicht vorangetrieben zu haben.
Der langjährige politische Aktivist und Antirassist Chris Grodotzki bringt es in einem Beitrag in der Wochenzeitung Kontext auf den Punkt: "Für ernstgemeinten Antifaschismus gebe es Wichtigeres zu tun, als Forderungen an jene Regierung zu formulieren, auf deren Mist der braune Mob gewachsen ist", schreibt er.
Erinnerung: Auch Kanzler Scholz will im großen Stil abschieben
Er gehört zu den wenigen, die die Agenda des rechten Treffens in Potsdam mit der aktuellen Regierungspraxis abgleichen:
Entschuldigung, "im großen Stil abschieben" ist natürlich die völlig faschismus-unverdächtige Forderung unseres SPD-Bundeskanzlers, bezogen auf die absolut rechtsstaats-konforme Säuberung Deutschlands von abgelehnten Asylbewerber:innen.
Chris Grodotzki, Wochenzeitung Kontext
Ähnlich hat sich mit der North-East-Antifa auch eine der ältesten Berliner Antifagruppen positioniert, wenn sie sowohl den Remigrationsplänen der AfD und ihrer Verbündeten als auch denen der Ampel-Regierung den Kampf ansagt.
Für eine schwache gesellschaftliche Linke wäre es dagegen politischer Selbstmord, sich nur auf den Kampf gegen die AfD zu konzentrieren und sich dann zu freuen, wenn im Saale-Orla-Kreis rechte Politik nun von einem CDU-Mann durchgesetzt wird.
Aggressiver Eigentümerblock
Es müsste eine linke Banalität sein, zu erkennen, dass der Kampf gegen Rechts sich eben nicht im Kampf gegen die AfD erschöpfen darf. Wer die Linie, "Alles gegen die AfD" folgt, lässt jegliche linken Forderungen fallen, weil es ja jetzt gilt, niemanden zu verschrecken.
Damit mag man manchem AfD-Politiker eine Niederlage beibringen, aber das ist kein Beitrag zum Kampf gegen rechte Politik, wie sich im Saale-Orla Kreis zeigte. Denn eigentlich war Linken einmal klar, dass rechte Politik im Interesse des Kapitals auch von der Union, der FDP, von großen Teilen der SPD und den Grünen praktiziert wird.
Diese Parteien könnte man den Eigentümerblock nennen, weil sie die kapitalistische Ordnung auf allen Ebenen verteidigen. Eine gesellschaftliche Linke, die dagegen ankämpfen will, müsste aufzeigen, dass dieser Eigentümerblock sich politisch längst nicht so stark von der AfD unterscheidet, wie die Kampagne gegen die AfD suggeriert.
Die meisten Parteienvertreter bekämpfen die AfD nicht wegen ihrer rechten Politik, ihres Rassismus und ihres Antifeminismus. Sie bekämpfen sie als Konkurrenten um Stimmen von Wahlberechtigten.
Links heißt auch gegen Krieg und Aufrüstung
Eine gesellschaftliche Linke sollte hingegen ein System infrage stellen, das immer wieder Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und auch Kriege produziert. Das gilt für parteiförmige Linke, mehr aber noch für Gruppen und Einzelpersonen, die sich im Alltag politisch engagieren.
Ob im Kampf gegen hohe Mieten, für gewerkschaftliche Rechte, für feministische, antirassistische und antimilitaristische Forderungen: Es muss dabei immer um mehr als eine Abwehr der AfD gehen. Hier fangen aber die innerlinken Probleme schon an.
So wird auf manchen Kundgebungen gegen Rechts ganz selbstverständlich die ukrainische Nationalflagge gezeigt, so beispielsweise beim Anti-Rechts-Bündnis B96, das rund um Bautzen einem rechtsoffenen Bündnis Kontra geben will, das dort schon seit Längerem auch mit russischen Fahnen demonstriert.
Guter Nationalismus, schlechter Nationalismus?
Doch dabei wird nur ein Nationalismus gegen einen anderen ausgetauscht. Sowohl der russische wie auch der ukrainische Nationalismus schließen faschistische Gruppen mit ein.
Ein antifaschistisches Bündnis hingegen dürfte nicht hinter die Erkenntnisse einer Linken zurückfallen, die sich während des Ersten Weltkriegs gegen die Patrioten und Sozialpatrioten aller Länder für eine Zusammenarbeit der Kriegs- und Militärgegner über Grenzen hinweg eingesetzt hat.
Ein Aufruf zum Desertieren an allen Fronten und politisches Asyl für die Wehrdienstflüchtigen wäre die Mindestforderung. Damit würde man deutlich machen, dass es nicht nur gegen die AfD, sondern gegen die Rechten in allen Partei geht.
Dazu gehören auch Rüstungslobbyistinnen wie die FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, an erster Stelle. Sie wird nicht umsonst als "Eurofighterin" bezeichnet.
Eigene Akzente
Vor 30 Jahren, als sich in Kapitalkreisen und Gesellschaft eine "rot-grüne" Linie durchzusetzen begann, entstand für kurze Zeit eine bundesweite Initiative für radikale Linke, die mit Kongressen, Publikationen und auch Demonstrationen eigene Akzente gegen die "rot-grüne Besoffenheit" setzen wollte.
Sie war nach der Maueröffnung und dem Golfkrieg 1991 mit völlig neuen Fragen konfrontiert, die zu einem baldigen Ende führte. Heute wäre eine Initiative nötig, die mit dem Ziel, die rechte Politik des aller bürgerlichen Parteien einschließlich der AfD zu bekämpfen. Das müsste eine Lehre aus dem Wahlergebnis vom Saale-Orla-Kreis sein, wo ein AfD-Kandidat verlor, die Rechte aber gewann.