Auf Tuchfühlung mit den Taliban
Terroristen als Verhandlungspartner?
Nach der Rückeroberung der südafghanischen Stadt Musa Kala spricht sich Großbritanniens Premierminister Gordon Brown für einen Versöhnungskurs in Afghanistan aus. Die Nato signalisiert Zustimmung. Unterdessen verlangen die Vereinigten Staaten und Großbritannien eine „faire Lastenteilung“ in Afghanistan.
In die Afghanistan-Politik kommt Bewegung. Großbritanniens Premierminister Gordon Brown lehnt zwar Verhandlungen mit den Taliban weiter ab. „Wie werden in keine Verhandlungen eintreten mit diesen Leuten“, sagte Brown am Mittwoch vor dem britischen Unterhaus mit Blick auf die Führung der Gotteskrieger. Für diejenigen, die ihre Waffen niederlegen und sich an Verfassung und Menschenrechte halten, müsse es aber einen Platz in Afghanistan geben.
Macht Brown jetzt den gemäßigten Kurt Beck? Der SPD-Vorsitzende hatte seinerzeit viel Prügel bezogen für den Vorschlag, mit „gemäßigten Taliban“ zu verhandeln. Brown will es nun der Regierung Karsai überlassen zu entscheiden, wer als moderater Taliban durchgehen könnte:
We will support the government in their efforts to reconcile all parties to Afghanistan’s democratic constitution.
Militärs halten es laut einem Bericht von „The Globe and Mail“ nun sogar für möglich, dass namentlich als Terroristen gesuchte Taliban Verhandlungspartner der afghanischen Regierung werden könnten.
Afghanistans Präsident Hamid Karsai hatte erst Ende September den Taliban-Chef Mullah Omar zu Verhandlungen aufgefordert. Dieser hatte Gespräche aber abgelehnt, solange noch ausländische Truppen im Land sind.
Rückendeckung bekam Gordon Brown ausgerechnet von einem US-General. Nato-Oberbefehlshaber John Craddock sagte am Freitag nach einem Treffen mit dem deutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, die afghanische Regierung müsse selbst entscheiden können, welche Taliban als gemäßigt anzusehen seien. Er unterschütze einen Versöhnungsprozess, wenn dieser transparent gestaltet sei.
Um die Frage, wer wie viel Soldaten an den Hindukusch schickt, gibt es inzwischen wieder Streit in der Nato. Gordon Brown kündigte an, Großbritannien werde auf unbestimmte Zeit rund 7.800 Soldaten in Afghanistan stationieren. Sein Verteidigungsminister Des Browne forderte zudem eine „fairere Verteilung der Lasten innerhalb der NATO-Länder“. Browne hatte sich am Freitag in Edinburgh mit Vertretern der anderen sieben Staaten getroffen, die Truppen in Südafghanistan haben. Neben Großbritannien sind das Australien, Dänemark, Estland, Kanada, Niederlande, Rumänien und die USA.
Auch US-Verteidigungsminister Robert Gates hatte kürzlich verlangt, dass die europäischen Nato-Staaten mehr Soldaten nach Afghanistan schicken. In Edinburgh bekräftigte Gates seine Forderung, sagte aber auch, er wolle dabei künftig die „politischen Realitäten“ in den jeweiligen Ländern im Auge behalten.
In Musa Kala in der südafghanischen Provinz Helmand ist es am Wochenende erneut zu Kämpfen gekommen, bei denen vier Taliban getötet wurden. Gemeinsam mit afghanischen Regierungstruppen hatten alliierte Soldaten kürzlich eine Offensive gestartet, um die Taliban zu vertreibe. Diese hatten Musa Kala im Februar besetzt. Vergangene Woche war Großbritanniens Premierminister Gordon Brown persönlich nach Afghanistan gereist und hatte Karsai seine Unterstützung zugesagt.
Inzwischen wehe wieder die afghanische Fahne im Zentrum von Musa Kala, so das britische Verteidigungsministerium. Aber von Frieden kann in der südafghanischen Provinz noch keine Rede sein. Tausende Zivilisten seien jetzt auf der Flucht, die sich vor den Kämpfen in Sicherheit bringen wollten, berichtet das Institute for War and Peace Reporting. Außerdem kontrollierten die Taliban noch weite Teile der Provinz.